Das "Mia san mia"-Phänomen
10. Oktober 2017Als Uli Hoeneß 1979 wegen einer Verletzung mit dem Fußball aufhören musste und mit 27 Jahren zum jüngsten Manager der Geschichte der Fußball-Bundesliga aufstieg, hatte er eine klare Vision: "Ich war immer der Meinung, dass der FC Bayern München von einem kleinen Verein zu einer Weltmarke zu führen ist", verrät er im neuen Fernsehstudio des vereinseigenen Senders "FCB TV" an der Säbener Straße. Hinter ihm, auf der anderen Seite einer großen Glasscheibe, trainieren Weltstars mit einem Marktwert von circa 580 Millionen Euro. Alleine diesen Sommer kamen durch Transfers wie James Rodriguez, Corentin Tolisso und Kingsley Coman noch mehr als 120 Millionen dazu.
Die Bundesliga ist nicht genug
Deutschlandweit steht der Rekordmeister schon lange für Dominanz - getreu seinem Motto: "Mia san mia" ("Wir sind wir."). Der Spruch - ein geflügeltes Wort auch in ganz Bayern - stammt ursprünglich aus der österreichischen Armee und soll Überlegenheit und Selbstbewusstsein signalisieren. Das zeigt Wirkung, meint Ex-Torwart Oliver Kahn "Das heißt auch den Neid und die Missgunst einer halben Nation auf den Schultern zu tragen."
Bei 27 Meistertiteln und 18 gewonnenen DFB-Pokalen ist Deutschland aber längst nicht mehr genug: "Ich würde alle anderen Titel hergeben, um mit den Bayern die Champions-League zu gewinnen", verriet Bayern-Trainer Carlo Ancelotti noch Anfang des Jahres. Damit scheiterte er und ist seit dem 29. September vereinslos. So läuft das weltweite Fußballgeschäft, das weiß auch die 24-jährige Camila aus einem Vorort von Rio de Janeiro ist seit Jahren FC-Bayern -Fan. Sie erinnert sich noch genau, warum: "Als ich Oliver Kahn vor zehn Jahren das erste Mal sah, da war es um mich geschehen!" Sie schwärmt weiter: "Oliver Kahn ist der Mann meines Lebens, der größte der Welt, es gibt keinen wunderbareren Menschen als ihn auf der ganzen Welt." Ihr größter Traum: Oliver Kahn persönlich zu treffen.
Kuffours schwerste Stunden
Neben dem Erfolg als Weltmarke ist es Manager Uli Hoeneß besonders wichtig, den inneren Zusammenhalt des Klubs zu betonen: "Wir sind längst nicht mehr nur ein Fußballverein, sondern für viele Menschen in unserer Gemeinschaft so etwas wie eine Heimat, wie ein Familienersatz." Wenn es eine Person gibt, die das mit ihrem persönlichen Schicksal bestätigt, dann Samuel Osei Kuffour. Am Pool vor seiner Villa in Accra spricht der ehemalige Bayern-Verteidiger sofort über die tragische Geschichte von 2003: "Einer der schwersten Momente in meinem Leben war, als ich meine Tochter verloren habe."
Das damals 15 Monate alte Mädchen war bei einem Unfall in Kuffours Heimat Ghana ertrunken. Sofort seien Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, ehemaliger Stürmer und schon damals Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München AG, zu ihm nach Hause gekommen, um ihn zu trösten. "Sie organisierten innerhalb von zwei Stunden einen Privatjet, damit ich nach Ghana fliegen konnte", erinnert sich Kuffour, "und der Privatjet blieb in Accra, bis ich alles erledigt hatte." Für ihn ist klar: "Das sagt dir, dass diese Leute für dich da sind."
Eine internationale Erfolgsgeschichte
Den Grundstein des internationalen Erfolgs legte Franz "Bulle" Roth vor 50 Jahren mit dem einzigen und alles entscheidenden Tor in der Verlängerung im Finale des Europapokals der Pokalsieger gegen die Glasgow Rangers. Er spielte damals unter anderem gemeinsam mit "Kaiser" Franz Beckenbauer, Torwartlegende Sepp Maier und Torjäger Gerd Müller. In seinem Sportgeschäft im malerischen Bad Wörishofen im Allgäu erinnert sich der 71-jährige an die Trophäe. Er habe "den Pokal über Nacht an meinem Bettkästchen gehabt" und habe ihn dann angeschaut: "Die ganze Nacht!"
Insgesamt 60 nationale und internationale Titel hat der "Stern des Südens" seit diesem legendären Wettbewerb eingefahren, darunter fünf Champions-League-Titel. Damit ist der FC Bayern München einer der erfolgreichsten Sportvereine der Welt - und einer der größten dazu: Rund 300.000 Mitglieder gehören zur Klub-Familie. Zum Vergleich: Real Madrid zählt rund 100.000, FC Barcelona & Manchester United jeweils rund 150.000 Mitglieder. "Wir haben damals mit 20 Mitarbeitern und zwölf Millionen Mark Umsatz angefangen", sagt Präsident Uli Hoeneß, "und jetzt haben wir 630 Millionen Euro Umsatz und fast tausend Mitarbeiter."
Was ist das "Mia san mia"-Phänomen?
Um die Bedeutung dieser Zahlen greifbar zu machen und um dem internationalen FC-Bayern-Phänomen ein Gesicht zu verleihen, sind die DW-Autoren Niels Eixler und Manuel Vering insgesamt 50.000 Kilometer um die Welt gereist. Im Gepäck hatten sie neben ihren Kameras vor allem brennende Fragen: Was macht die Faszination des Vereins aus? Ist "Mia san mia..." ein ernst gemeinter Schlachtruf oder nur ein Werbeslogan? Warum hat sich der FC Bayern in Brasilien genauso in die Herzen seiner Fans gespielt, wie in London, New York, Japan, Ghana oder Tel Aviv? Was sind seine Makel?
Die 85-minütige Dokumentation "Das "Mia san mia"-Phänomen" der Deutschen Welle feierte am Dienstagabend im Berliner Babylon Kino Weltpremiere. Mit dabei waren rund 500 geladene Gäste, darunter Bayern-Größen wie Klaus Augenthaler, Hans Pfügler und Bulle Roth. Der Film zeigt Spieler und Verantwortliche des Vereins ganz nah, aber auch Bayern Fans in aller Welt - von denen einige ebenfalls mit im Berliner Premierenkino saßen und sich selbst auf der großen Leinwand bestaunten. Wie sehr sie "ihren" Verein leben, zeigt, dass Uli Hoeneß' einstige Vision von einem kleinen Verein, der zu einer Weltmarke wird, längst in Erfüllung gegangen ist.