FDP-Chef Lindner: "Kein Sekt mit Erdogan!"
25. September 2018Das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland ist extrem schwierig. Präsident Erdogan lässt Journalisten und Oppositionelle verhaften, auch Deutsche. Zuletzt aber hat er seine grobe Rhetorik auch gegen deutsche Politiker zurückgefahren. Einige Deutsche kamen aus der Haft frei. Am Wochenende kommt das türkische Staatsoberhaupt zu Besuch nach Deutschland, inklusive Bankett und militärischer Ehren zum Empfang. Obwohl eingeladen, bleibt FDP-Chef Lindner dem Festessen mit dem Autokraten fern. Wie viele andere deutsche Politiker auch. Im DW-Interview mit Jens Thurau sagt er, warum.
DW: "Herr Lindner, warum wollen Sie nicht am Staatsbankett für den türkischen Präsidenten Erdogan am kommenden Wochenende teilnehmen?"
Lindner: "Ein Staatsbesuch ist großes Protokoll, das ist auch eine Ehrbezeugung, es ist Ausdruck von besonderen Beziehungen. Ich halte das gegenwärtig für das falsche Signal. Es hat ein Referendum in der Türkei gegeben, durch das sich dieses Land leider in Richtung einer autoritär geführten Diktatur entwickelt.
Herr Erdogan selbst hat sich in nicht akzeptabler Weise auch über deutsche Politiker geäußert. Und vor allen Dingen: In der Türkei ist die Bürgerrechts- und Menschenrechtslage alles andere als gesichert, wenn etwa Journalistinnen und Journalisten inhaftiert sind. Da wäre ein Arbeitsbesuch, um Kritisches anzusprechen, sinnvoller gewesen. Aber nicht ein Staatsbesuch. Ich möchte nicht mit Sekt mit Herrn Erdogan anstoßen."
DW: "Das sehen sicher viele Ihrer Kollegen aus vielen Parteien auch so. So würde zum Beispiel der frühere Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, das unterschreiben, was Sie da sagen. Aber er sagt auch: Ich nehme ganz bewusst am Staatsbankett teil, weil Erdogan aushalten muss, dass es in Deutschland Oppositionelle gibt, die Ihn kritisch sehen. Das klingt doch schlüssig, oder?"
Lindner: "Im speziellen Fall von Herrn Özdemir ja. Herr Özdemir hat ja familiäre Wurzeln in der Türkei. Und ist dort als Erdogan-Kritiker auch bekannt. Und deshalb finde ich es ganz gut, wenn er als spezielle Stimme an dieser Veranstaltung teilnimmt. Ansonsten aber bleibt die Große Koalition in Deutschland mit Herrn Erdogan weitgehend unter sich."
DW: "Ist denn die gegenwärtige Annäherung zwischen Deutschland und der Türkei nicht das Beste, was im Moment möglich ist, auch für die noch inhaftierten Deutschen?"
Lindner: "Da bin ich unschlüssig. Es muss schon klar sein, dass wir eine ganz eindeutige Haltung haben. Ich bin für Annäherung, ich bin auch für Partnerschaft, auch zweifelsohne für den Dialog. Auch mit schwierigen Akteuren muss man den Austausch und auch den Ausgleich suchen. Das ist die Geschichte etwa der deutsche Ostpolitik gewesen, die am Ende zur Deutschen Einheit geführt hat. Aber: Die Grundlage der Werte muss klar sein. Und es muss deutlich sein, dass wir Erwartungen haben.
Und gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung in der Türkei, die ja in eine andere Richtung gegangen ist. Es ist ja nicht so, dass wir in der Türkei eine vorsichtige Öffnung sehen. Sondern unter dem Druck wirtschaftlicher Nöte hat sich Herr Erdogan in seiner Rhetorik gemäßigt. Aber wenn man die Entwicklung der letzten drei, vier Jahre sieht, hat es eine deutliche Verschlechterung der demokratischen Qualität und auch der Rechtsstaatlichkeit gegeben. Und darüber muss man sprechen. Bei einem Arbeitsbesuch, aber nicht bei einem offiziellen Staatsbesuch mit militärischen Ehren und Bankett."
DW: "Nun ist ja dieses Staatsbesuch auch von deutscher Seite mit Vorsicht gehandhabt worden. Die Bundeskanzlerin etwa nimmt auch nicht am Staatsbankett teil. Und Kanzlerin und Bundespräsident nehmen auch nicht an der Einweihung einer Moschee teil. Das hatte sich Herr Erdogan gewünscht. Wird dadurch nicht klar gemacht, wie schwierig die Lage zwischen Deutschland und der Türkei gerade ist?"
Lindner: "Das, was Sie beschreiben, ist doch eine große Verdruckstheit. Also entweder macht man großes Protokoll und Staatsbesuch oder nicht. Und jetzt wird unter dem Druck auch einer öffentlichen Debatte versucht, es im Protokoll so klein wie möglich zu machen. Im Nachhinein hätte sich die Große Koalition, hätten sich Bundeskanzleramt und Außenministerium diese Peinlichkeit ersparen können, wenn sie von vornherein einen anderen Weg gewählt hätten, den Weg des Austausches, der klaren Ansprache. Bei einem Arbeitsbesuch. Da hätte man dann das große Protokoll gar nicht bemühen müssen. Es hat dazu genug kritische Hinweise auch aus dem Deutschen Bundestag gegeben."