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FDP: Die größte Kanzler-Kritikerin kandidiert für Europa

Veröffentlicht 27. Januar 2024Zuletzt aktualisiert 28. Januar 2024

Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist die nach Minister Boris Pistorius bekannteste deutsche Verteidigungspolitikerin. Nun strebt sie ins Europaparlament. Ihr Ziel: mehr Unterstützung für die Ukraine.

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Marie-Agnes Strack-Zimmermann steht auf dem Europaparteitag der FDP am Rednerpult; an der Wand hinter ihr steht in großformatigen Buchstaben das Motto der Veranstaltung: "Streitbar in Europa".
"Streitbar in Europa" will Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Abgeordnete auch im Europäischen Parlament sein Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz wird vielleicht erleichtert sein, wenn Marie-Agnes Strack-Zimmermann nach der Europawahl am 9. Juni 2024 von Berlin nach Straßburg wechselt. Die Chancen dafür stehen gut.

Denn die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag wurde auf dem Europaparteitag der Freien Demokratischen Partei (FDP) in Berlin mit gut 90 Prozent zur Spitzenkandidatin gewählt. Ein Mandat im Europäischen Parlament ist ihr auch deshalb so gut wie sicher, weil es in Deutschland bei dieser Wahl keine Sperrklausel gibt. 

Für Scholz könnte es dann zumindest im Bundestag etwas weniger Kritik geben, wenn es um Waffenlieferungen an die Ukraine geht. Denn Strack-Zimmermann ist innerhalb der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP die schärfste Kritikerin des Kanzlers.

Auf dem Wunschzettel: Taurus-Marschflugkörper

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 wirft sie ihm immer wieder vor, zu zögerlich zu sein. Erst forderte sie Kampfpanzer, jetzt sind es Marschflugkörper vom Typ Taurus.

Scholz befürchtet, die Lenkwaffen mit einer Reichweite von rund 500 Kilometern könnten von der Ukraine auch auf russisches Territorium abgefeuert werden und eine weitere Eskalation des Krieges auslösen.

"Taurus für die Ukraine" steht auf einem Plakat, mit dem ein Demonstrant in Berlin die Lieferung von Marschflugkörpern dieses Namens fordert. Neben ihm stehen Frauen und Männer, die weitere Plakate sowie ukrainische und deutsche Fahnen in den Händen halten.
Demonstration für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine vor dem Kanzleramt in BerlinBild: Annette Riedl/dpa/picture alliance

"Auf was wartet der Bundeskanzler in Gottes Namen? Er alleine blockiert diese Entscheidung innerhalb der Koalition. Das ist verantwortungslos", kommentierte Strack-Zimmermann schon im September 2023 auf der Plattform X, die früher Twitter hieß.

Doch auch wenn die 65-Jährige künftig im Europaparlament sitzen wird, muss Scholz mit Attacken von ihr rechnen: in sozialen Medien, Interviews und TV-Talkshows.

Beliebter als der Chef 

Wie populär sie in ihrer eigenen Partei ist, war schon beim Dreikönigstreffen Anfang Januar in Stuttgart zu spüren. Auf dieser Veranstaltung stimmt sich die FDP traditionell auf das neue Jahr ein.

Angesichts schlechter Umfragewerte keine leichte Übung. Aber Strack-Zimmermann gelang es, sogar dem redegewandten Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner die Show zu stehlen.

Tosender Beifall schlug der nach Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bekanntesten Verteidigungspolitikerin Deutschlands entgegen, als sie die Bühne im barocken Stuttgarter Staatstheater betrat. Ihre Reaktion: "Ich habe ja noch gar nichts gesagt. Aber ich merke, Sie sind gut drauf."

Auf einem Mottowagen des Düsseldorfer Karnevals wird Bundeskanzler Olaf Scholz mit der Aufschrift "Scholz der Zauderer" von einer Ziege mit der Aufschrift "Strack-Zimmermann" angestoßen; am Schwanz des Tiers weht die blau-gelbe Fahne der Ukraine.
Im Karneval 2023 wurde Marie-Agnes Strack-Zimmermann in Form einer Ziege als unermüdliche Antreiberin von Olaf Scholz dargestelltBild: Federico Gambarini/dpa/picture alliance

20 Minuten ein Thema: Europa und die Ukraine

Und dann redete Strack-Zimmermann 20 Minuten über ein Thema: "Die Ukraine braucht Europa, und Europa braucht die Ukraine, damit wir in Frieden und Freiheit auch in Zukunft leben können." 

Auf dem Europaparteitag bekräftigte sie ihre Forderung, bei der Unterstützung nicht nachzulassen: "Das Gebot der Stunde heißt unübersehbare und unüberhörbare Entschlossenheit."

Dass die Ukraine den Krieg gegen Russland gewinnen kann, davon ist Strack-Zimmermann überzeugt: "Aber nur dann, wenn wir sie weiter unterstützen – wirtschaftlich, humanitär, ja auch mit Waffen."

Auch eine diplomatische Lösung hält sie für möglich: "Aber diese Diplomatie wird nur und ausschließlich aus der Stärke heraus erfolgreich sein. Unterwerfung ist kein Frieden."

Marie-Agnes Strack-Zimmermann ballt ihre linke Faust, als sie beim Europaparteitag der FDP mehr Unterstützung für die Ukraine im Kampf gegen Russland fordert.
Spitzenkandidatin für die Europawahl 2024: Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Im Europäischen Parlament will sich Strack-Zimmermann für eine gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Union (EU) einsetzen. Langfristig hält sie eine europäische Armee für unverzichtbar.

Mehr noch: Sie unterstützt den Vorstoß des Verteidigungsministers, die Bundeswehr auch für Menschen ohne deutschen Pass zu öffnen. Wenn man europäisch denke, könne es keine Rolle mehr spielen, welche Nationalität ein Soldat oder eine Soldatin habe, sagte die Militärexpertin gegenüber der DW.

Und wenn Trump erneut US-Präsident wird?

Besonders wichtig ist ihr, dass Europa seine Abhängigkeit von den USA verringert. Dabei denkt sie auch an die Möglichkeit, dass Donald Trump nach der Präsidentschaftswahl im November 2024 ein zweites Mal das Weiße Haus in Washington erobert. Der Republikaner würde die Unterstützung der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland wohl drastisch reduzieren oder ganz einstellen.   

Wäre Donald Trumps Wiederwahl eine politische Zeitenwende?

Strack-Zimmermann macht sich da keine Illusionen: "Immer dieses Hinstarren auf die USA, wie das Kaninchen auf die Schlange, halte ich sowieso für problematisch."

Deutschland als viertstärkste Volkswirtschaft der Welt müsse in Europa das Signal aussenden, "dass wir noch mehr tun für die Ukraine". Und dabei erwartet sie von den anderen EU-Mitgliedern mehr Unterstützung.

Ausnahmsweise mal einer Meinung mit Olaf Scholz

"Zwischen Deutschland und den europäischen Staaten besteht ein deutliches Ungleichgewicht", sagte Strack-Zimmermann in einem Interview mit dem "Tagesspiegel" im Hinblick auf die Ukraine-Hilfe.

Deshalb ist sie, was selten vorkommt, hier an der Seite des Bundeskanzlers: Olaf Scholz will bis Anfang Februar wissen, welche Waffen die anderen EU-Länder liefern wollen.

In der Ukraine genießt die FDP-Politikerin wegen ihres unermüdlichen Engagements höchstes Ansehen. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sie deshalb mit einem Verdienstorden ausgezeichnet. Diese Ehre wurde auch der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock und dem Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter (beide Grüne) zuteil.

Ukraine plant Befestigungsanlagen

Ein Orden aus der Ukraine als Ansporn

"Sehr berührt" sei sie, sagte Strack-Zimmermann zu der Würdigung. "Sie ist gleichzeitig Ansporn für mich, weiter unverbrüchlich an der Seite unserer tapferen Freundinnen und Freunde zu stehen." Und sie werde weiter dafür eintreten, dass die Ukraine die Unterstützung bekomme, die sie im Kampf gegen den russischen Angriff benötige.

Der Verteidigungspolitikerin schlagen aber auch kritische Töne entgegen. Tenor: Immer mehr Waffen bedeuten zugleich immer mehr Tote.

Am schärfsten geht Deutschlands bekannteste Feministin, Alice Schwarzer, mit der Freidemokratin ins Gericht: In der von ihr herausgegebenen Zeitschrift "Emma" bezeichnete sie Strack-Zimmermann als "Busenfreundin der Waffenindustrie".

Verbale Attacken ist die Rheinländerin allerdings längst gewohnt - und reagiert darauf gelassen: "Klar polarisiere ich." In der Politik könne man es schlichtweg nicht jedem recht machen. "Wenn Sie das verstanden haben, können Sie befreit aufschlagen."

Dieser Artikel wurde erstmals am 27.01.2024 veröffentlicht und am 28.01.2024 aktualisiert. 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland