Fehlende Vielfalt in deutschen Redaktionen
11. Mai 2011Deutsche Welle: Warum gibt es eigentlich relativ wenige Menschen mit Migrationshintergrund unter den Journalisten in Deutschland?
Marjan Parvand: Ich glaube, es gibt zwei Gründe: Es hat sicherlich mit den Migranten und der Berufsauswahl zutun. Wenn man Migrant aus einer etwas besser gebildeten Familie ist, werden die eigenen Eltern einem nicht sagen: 'werde Journalist'. Sondern: 'werde Arzt, Jurist oder Ingenieur'. Sie versuchen stärker angesehene Berufe für ihre Kinder auszusuchen. Es kann aber auch sein, dass viele Menschen sich diesen Beruf gar nicht aussuchen, weil sie sich ausmalen, dass sie da gar keine Chancen haben.
Gibt es auch Vorbehalte in den Redaktionen?
Vorbehalte nicht, aber so etwas wie einen blinden Fleck. Es gibt relativ viele Journalisten, die gar nichts dagegen hätten, wenn mehr Journalisten mit Migrationshintergrund kämen. Aber wenn es dann darum geht, das aktiv zu fördern, passiert relativ wenig. Ich denke, wenn man mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Redaktionen will, müsste man die schon bei der Ausbildung, bei der Auswahl oder der Fortbildung bewusst fördern und dafür sorgen, dass sie in die Redaktionen reinkommen.
Ändert sich das denn gerade, kommen mehr Journalisten mit nicht-deutschen Wurzeln in die Redaktionen?
Ich kann es an einem Beispiel deutlich machen. Es gibt das Bildungswerk Kreuzberg mit crossmedialer Ausbildung für Radio, Fernsehen und Online. Die Studenten, die dort ausgebildet werden, sind überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund. Für die sorgt unser Verein "Neue deutsche Medienmacher" in Form von Mentorenprogrammen. Das heißt, wir versuchen Leute zu finden, die in den Redaktionen in relativ hohen Positionen sitzen und bereit sind, für den einen oder anderen als Mentor aufzutreten. Im Grunde genommen gibt es aber immer noch zu wenige Initiativen. Ein bisschen achten beispielsweise die Öffentlich-Rechtlichen Sender darauf, dass sich in ihren Volontärsjahrgängen tatsächlich das breite Spektrum der Gesellschaft niederschlägt. Ich halte aber nichts davon, wenn man die Leute fördert, die dann aber gar nicht in die Hauptredaktionen reinkommen, wo der Mainstream der Bevölkerung schaut. Zum Beispiel die "Tagesschau" oder "Tagesthemen". Stattdessen bleiben diese Leute in Nischenprodukten hängen. Mein Problem ist, dass in den Redaktionen, die für das Gross der Gesellschaft produzieren, die Vielfalt fehlt.
Würde die Darstellung von Migranten in den deutschen Medien auch anders aussehen, wenn mehr Journalisten mit ausländischer Herkunft in den Redaktionen arbeiteten?
Ja, davon bin ich überzeugt. Ich bin in meiner Redaktion ARD-Aktuell nicht auf Integrationsthemen festgelegt, aber ich übernehme sie oft, wenn sie aufkommen. Denn wenn ich in meiner Redaktion die Debatte um Thilo Sarrazin und seine Thesen über Migranten betreue, dann kommt dabei ein anderer Beitrag heraus. Das hat nichts damit zu tun, dass die Kollegen unsauber arbeiten. Sondern mit einer Sensibilität gegenüber diesem Thema und im Umgang mit Klischees. Nur weil wir Migranten zeigen wollen, müssen wir nicht permanent Frauen mit Kopftüchern zeigen oder den Gemüsestand in Berlin-Kreuzberg. Sondern es gibt auch andere Bilder. Und auch in der redaktionsinternen Diskussion gäbe es eine größere Meinungsvielfalt, wenn es mehr von meiner Sorte gäbe.
Marjan Parvand ist Vorsitzende des Vereins und Netzwerks "Neue deutsche Medienmacher", der sich für mehr Vielfalt in deutschen Medien einsetzt. Sie ist Deutsche mit iranischen Wurzeln. Derzeit arbeitet sie in der Fernsehredaktion ARD-Aktuell, die für Nachrichtensendungen wie "Tagesschau" oder "Tagesthemen" produziert.
Die Fragen stellte Klaudia Prevezanos
Redaktion: Arne Lichtenberg