Deutschlands energieautarkes Dorf
20. Juni 2015Fragen Sie einmal die Einwohner von Feldheim, wie sie ihre Gemeinde beschreiben würden, und Sie hören immer wieder dieselbe Antwort: ruhig. In dem Dorf, etwa 60 Kilometer südwestlich von Berlin, leben 128 Einwohner. Was auf den ersten Blick nicht zu sehen ist: unter Feldheims Straßen befindet sich ein Netzwerk von elektrischen Kabeln und Heizungsrohren - und die transportieren ausschließlich erneuerbare Energie.
Die Dorfbewohner sind sehr stolz auf das, was sie erreicht haben. "Es ist einzigartig, dass alle in so kurzer Zeit an Bord gekommen sind, und jeder die Chance hatte, bei der Verwirklichung zu helfen", sagt die 51 Jahre alte Petra Richter. Sie wohnt schon ihr Leben lang in Feldheim und fungiert im Dorf quasi als eine Art Bürgermeisterin.
Wind-, Biogas- und Solarenergie
Feldheims-Energieexperiment begann 1995, als der Unternehmer und Ingenieursstudent Michael Raschemann vorschlug, Windkraftanlagen mithilfe lokaler langwirtschaftlicher Kooperationen zu errichten. Die flache und windige Gegend eignete sich dafür ideal.
Zusammen mit seinem Unternehmen Energiequelle, das auf erneuerbare Energien spezialisiert ist, erweiterten die Bewohner Feldheims ihren Windpark nach und nach, bis auf seine heutige Größe mit 47 Turbinen.
"Ursprünglich war das Projekt nicht so geplant wie es heute ist - es wuchs stetig", sagt Kathleen Thompson, eine britische Auswandererin, die in der Nähe wohnt und Führungen durch Feldheim anbietet.
Allein die neueste und größte der Turbinen könnte bald neun Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr erzeugen: Das ist mehr als genug, um das gesamte Dorf mehrfach zu versorgen. Der eigene Windpark produziert so viel Energie, dass 99 Prozent davon auf dem Energiemarkt verkauft werden.
Angesichts der steigenden Energiekosten beschloss die landwirtschaftliche Genossenschaft, eine Biogasanlage zu bauen. Sie wandelt seit 2008 Mais und Getreidesilage - inklusive einer Mischung aus Schweine- und Rindergülle - in Methan um. Mit einem Gasheizkraftwerk heizen die Bewohner nun ihre Wohnhäuser. Andererseits wirft es noch mehr Strom ab.
Im selben Jahr, in dem die Biogasanlage in Betrieb genommen wurde, kam dann noch ein Solarpark hinzu - auf dem Gelände eines verlassenen sowjetischen Militärstützpunktes. Die Solarzellen produzieren nun genug Strom für 600 Haushalte.
Neues Netz
Trotz der rasanten Entwicklung der erneuerbaren Energiequellen in und um Feldheim gab es aber immer noch ein großes Hindernis für die völlige Energieautonomie: Das Versorgungsunternehmen E.ON weigerte sich, Stromnetze an das Dorf zu vermieten oder gar zu verkaufen.
Feldheim reagierte mit dem Aufbau eigener paralleler Strom- und Fernwärmenetze - finanziert mit EU-Mitteln, Darlehen und Beiträgen der Dorfbewohner von je 3.000 Euro.
Das Netz wurde Ende 2010 zugeschaltet. Seitdem kann sich Feldheim "vollständig klimaneutral" nennen. Außerdem sind die lokalen Energiepreise um rund ein Drittel gesunken.
Dieser klimaneutrale Namenszusatz muss allerdings mit Vorsicht genossen werden, denn nur Eigenheimbesitzer können nach bisheriger Gesetzeslage an das ortseigene Stromnetz angeschlossen werden. Wohnungsmieter etwa können dadurch außen vor bleiben. Wer nicht angeschlossen ist, bezieht seinen Strom deshalb weiter über den großen Energieversorger - und damit nicht ausschließlich aus erneuerbaren Quellen.
Aber Thompson sagt, die Gemeinde sei guter Hoffnung, dass sich das Gesetz irgendwann ändern werde, um alle Bewohner des Dorfes einzubeziehen.
Zurzeit installiert Feldheim noch eine große Batterie, die genug Strom speichern kann, um das Dorf für zwei Tage zu versorgen. Sie soll im Herbst in Betrieb genommen werden.
Ein Vorbild?
Der Medienrummel um Feldheim hat das Dorf auch zu einem Touristenziel gemacht. Etwa 3000 Besucher kommen pro Jahr - einige auch aus Japan, wo die Menschen nach der Atomkatastrophe von Fukushima alternativen Energiequellen suchen.
Lyn Hovey, eine australische Umwelt-Aktivistin, die vor kurzem eine Tour durch Feldheim gemacht hat, war besonders von der Fähigkeit der Bewohner beeindruckt, ihr eigenes Netz zu konstruieren. Dies wäre in ihrer Heimatstadt Riddells Creek weitaus schwieriger - aufgrund der Größe der Stadt und der Macht der ansässigen Energieunternehmen.
"Der Klimawandel ist etwas, das diese Generation lösen muss, und in Australien können wir uns nicht auf die Regierung verlassen", sagte sie. "Es liegt an den Menschen. Und so musst du es selbst in die Hand nehmen, und dir woanders abschauen, wie es funktioniert."
Die Bewohner von Feldheim und die an dem Energie-Projekt beteiligten wissen, wie schwierig es ist, den Erfolg ihres Dorfes in andere Teile der Welt zu übertragen. Aber Thompson vertraut auf die Stärke der Gemeinschaft: "Es ist so viel einfacher, etwas zu verändern, wenn jeder in dieselbe Richtung zieht."