Fenster, Brücken und Cafés
3. August 2006DW-WORLD.DE: Hossein Derakhshan, Sie leben in Kanada und nicht in Ihrem Heimatland Iran - ist daran ihre Arbeit als berühmter Webloger schuld?
Hossein Derakhshan: Nein, nicht wirklich. Ich habe erst mit dem Bloggen angefangen, als ich schon ein paar Monate in Kanada gelebt habe. Deshalb hatte ich anfangs keine Probleme in den Iran ein- und wieder auszureisen. Erst vor etwa zwei Jahren, als das Bloggen immer bekannter wurde und mein eigener Blog dann die Aufmerksamkeit der iranischen Behörden auf sich zog, fingen sie an, Blogs zu filtern und zu zensieren, die sich mit politischen Themen beschäftigen. Aber ich denke, ich wäre nie auf die Idee gekommen, einen Weblog zu schreiben, wenn ich nicht aus dem Iran weggezogen wäre, denn hier in Kanada hat man Zugang zu allen Informationen und eine sehr schnelle Internetverbindung.
Iran hat eine sehr lebhafte Blogger-Szene. Was passiert mit Bloggern im Iran, die nicht mit der Politik der Regierung in Einklang stehen?
Die neue Strategie der iranischen Regierung is es, die Blogger vorzuladen und ihnen dann mitzuteilen, dass sie entweder nicht mehr über politische Dinge oder andere bestimmte Tabus im Blog schreiben dürfen oder mit dem Schreiben ganz aufhören müssen. Und dann geben sie einem den Tip, niemanden zu erzählen, dass dieses Gespräch überhaupt stattgefunden hat. Das ist genau das, was sie mit mir auch gemacht haben, als ich das letzte Mal im Iran war, im letzten Sommer. Als ich den Iran verlassen wollte, haben sie mich am Flughafen angehalten und jemand vom Ministerium für Information sagte mir, ich sollte noch eine Woche länger bleiben. Nach einigen Tagen haben sie mich dann verhört und von mir verlangt, über bestimmte Dinge nicht mehr in meinem Blog zu schreiben. Sie haben auch verlangt, dass ich mich für das, was ich bisher geschrieben habe, entschuldige und das auch schriftlich bestätigen müsse, sonst dürfte ich nicht das Land verlassen.
Sie haben sich also entschuldigt?
Sie haben mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass wenn ich ihren Anweisungen nicht folge, also wenn ich mich nicht schriftlich entschuldige, für das, was ich geschrieben habe und nicht aufhöre zu schreiben, dann werden sie mich verhaften. Ich habe eine Entschuldigung geschrieben, das Land verlassen und dann in meinem Blog meinen Lesern alles erklärt und die Entschuldigung wieder zurückgezogen.
Trotz der Gefahr, gefiltert, zensiert oder sogar verhaftet zu werden, hat der Iran eine der lebhaftesten Blogger-Szenen weltweit. Wie kommt das?
Weil viele der Blogger nicht berühmt genug sind, als dass sie der Regierung gefährlich werden könnte. Sie beobachten nur diejenigen, die für ihr Bloggen berühmt sind und die über Politik oder andere Tabuthemen schreiben. Aber die meisten Blogs, mehr als 90 Prozent, sind total unpolitisch und kennen auch die Tabugrenze. Die meisten Blogger zensieren sich selbst, um so Ärger mit der Regierung zu vermeiden.
In ihrem Blog schreiben Sie hauptsächlich über den Iran. Aber Sie wohnen seit sechs Jahren in Kanada. Inwieweit können Sie da überhaupt beurteilen und darüber schreiben, wie die Situation im Iran zurzeit aussieht?
Ich bin wahrscheinlich nicht so nah dran wie jemand der zurzeit im Iran lebt. Aber ich habe Zugang zu allen Zeitungen im Internet, ich kann die Radio- und Fernsehprogramme aus dem Iran hören und sehen. Ich lese dieselben Sachen, die ich auch im Iran gelesen habe. Darüber hinaus werden im Iran sehr viel Internetseiten gefiltert und zensiert, deshalb habe ich im Moment sogar Zugang zu Informationen, die ich im Iran nicht bekommen hätte. Aber was ich natürlich vermisse, das sind diese unoffiziellen, zwanglosen sozialen Gespräche, aber auch Gerüchte, diese Art von Dingen vermisse ich sehr, diesen direkten Kontakt mit den Iranern. Aber das ist ja das Tolle am Weblog: Es ermöglicht, dass zumindest eine bestimmte Gruppe von Menschen, wo immer sie auch gerade sind, miteinander interaktieren und sich austauschen können.
Was ist Ihre Motivation und Ihr Ziel beim Webloggen?
Ich mag es, wenn ich Einfluss auf etwas nehmen kann. Ich habe eine verhältnismässig große Leserschaft, die etwa so groß ist, wie die einer kleinen Zeitung im Iran. Mein Blog besteht aus zwei unterschiedlichen Formaten. Einmal bediene ich meine Leser mit Informationen über das, was gerade so passiert und von denen ich denke, dass sie meine Leser interessieren. Bei dem anderen gibt es längere Artikel, Meinungen und Analysen von mir über bestimmte Ereignisse - geschrieben natürlich aus der Perspektive eines im Ausland lebenden Iraners.
Ihr Weblog gehört zu einem der einflussreichsten Blogs in der persischen Sprache. Darin haben sie unter anderem Schritt-für-Schritt erklärt, wie man einen eigenen Weblog erstellt, und Tausende von Iraner haben daraufhin angefangen, ihren eigenen Blog zu schreiben. Welchen Einfluß hat der Weblog auf die iranische Bevölkerung?
Es gibt drei Funktionen und Auswirkungen, die Weblogs im Iran und wahrscheinlich überall auf der Welt haben. Um das zu erklären benutze ich gerne drei Metaphern: das Fenster, die Brücke und das Café. Durch das Fenster bekommt man Informationen - über sein eigenes Land und über das was im Ausland passiert. Wie bei einem Fenster kann man etwas sehen, aber nicht direkt eingreifen. Bei der Brücke geht es um den Austausch zwischen unterschiedlichen Gruppierungen, es verbindet die Menschen. Die dritte Funktion und die politischste von allen ist das Café. Dort hat man die Möglichkeit, sich über bestimmte Themen auszutauschen und zu reden, um zu debattieren. Es ist sehr wichtig, dass es diesen Raum für Dabatten gibt, um politische Veränderungen und Fortschritte zu erreichen. Deshalb ist die iranische Regierung über die Cafés auch wesentlich mehr besorgt als über die Fenster oder Brücken.
Worüber schreiben die iranischen Blogger?
Über das, worüber Blogger in der ganzen Welt schreiben. Meistens schreiben sie über den Alltag, sie benutzen es als eine Art Tagebuch. Manchmal schreiben sie auch über politische oder soziale Dinge, aber die meisten Blogs, über 90 Prozent, sind unpolitsch.
Was sind das für Leute, die Blogs schreiben?
Meiner Meinung nach die Mittelschicht, die gebildeten jungen Leute, kaum einer aus den unteren Schichten. Studenten, die Zugang zum Internet in den Computerlaboren an ihrer Uni haben.
Bedeutet das, dass die Inhalte der Blogs nicht repräsentativ sind für die iranische Bevölkerung?
Die Inhalte der Weblogs geben hauptsächlich wieder, wie unterschiedliche mächtige Gruppen über bestimmte Themen denken. Es ist klar, dass du nichts über die Forderungen von Bauern lesen kannst oder was Fabrikarbeiter denken. Aber man bekommt ein Idee davon, wie beispielsweise radikale, anti-israelische Anhänger von Ahmadinedschad denken, denn sie schreiben sehr viele Weblogs. Man kann lesen, was die Reformer denken, was die Liberalen denken, was die jungen Kleriker denken. Meiner Meinung nach bekommt man wahrscheinlich nie einen vollständigen Eindruck davon, was die einfachen Menschen denken, weil sie keinen Zugang haben. Aber die Meinung von den einflussreichen, intellektuellen Menschen findet man in den Weblogs.
Am Donnerstag ist Ahmadinedschad ein Jahr im Amt. Was hat sich seitdem verändert?
Was die Außenpolitik betrifft hat er uns vollständig isoliert. Er hat das Image vom Iran, das größtenteils durch die letzten beiden Präsidenten wieder mühsam aufpoliert wurde, beschädigt. Wir sind beschämt über das, was Ahmadinedschad von sich gibt. Aber gleichzeitig ist er bei der ungebildeten Bevölkerungsschicht sehr beliebt. Ganz schlimm steht es auch um unsere Wirtschaft, da hat er uns soviel versprochen. Die Inflation ist ziemlich schlimm, aber mit seinen radikalen Äußerungen schafft er es, von vielen Dingen abzulenken. Ich denke, es dauert bestimmt noch ein Jahr, bis die Bevölkerung begreift, wer der wahre Ahmadinedschad ist.
Sind die Iraner der Politik überdrüssig?
Sie sind nicht wirklich der Politik überdrüssig, sie sind es einfach leid, dass es keine konstante, keine klare Politik gibt. Sie wollen einfach nur ein normales, stabiles Leben führen, aber das war ihnen in den letzten fast 30 Jahren nicht gegönnt. Es gab immer etwas, worum sich die Leute sorgen mussten, was sie nervös gemacht hat. In der Hinsicht sind sie der Politik überdrüssig. Aber was wichtige Dinge und Entscheidungen in der Politik betrifft, haben die Iraner meiner Meinung nach nicht ihr Interesse verloren. Aber sie würden es vorziehen, ein normales Leben zu führen, in dem die Politik nur eine kleine, untergeordnete Rolle spielt.
Denken Sie, dass sich mit Hilfe von Weblogs die politische Situation im Iran ändern könnte?
Ich denke, dass Weblogs helfen können, um Menschen und Gruppen eine Stimme zu geben, die sonst keine Stimme haben und nur wenig Macht haben. Aber das wichtigste ist, dass Weblogs einen Raum bieten für öffentliche Diskussionen und Debatten, die für eine representative, transparente und rechenschaftspflichte Demokratie notwendig sind.