Tragische Karriere
18. Februar 2010Der deutsche Spielfilm "Jud Süß" erzählt das historische Schicksal des württembergischen Finanziers und Hofjuden Joseph Süß Oppenheimer auf grotesk verzerrte Art und Weise. Seit 1945 ist er nicht mehr öffentlich gezeigt worden. Nur im Rahmen von Universitätsseminaren und Forschungskongressen wurde das 1940 entstandene antisemitische Hetzwerk nach dem Krieg noch aufgeführt.
Das hat seinen berechtigten Grund: "Jud Süß" war eines der perfidesten Machwerke der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie und spielte innerhalb des antijüdischen Vernichtungsfeldzugs eine mitentscheidende Rolle. Der Bundesgerichtshof bezeichnete das Werk des Regisseurs Veit Harlan als "volksverhetzend, verfassungswidrig und beleidigend".
Starke Tabuisierung
Wie rund 1.100 andere Filme aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 darf "Jud Süß" deshalb nicht mehr im Kino oder im Fernsehen gezeigt werden. Die Wiesbadener Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung wacht streng darüber, wer die NS-Propagandafilme sichten darf. Das hat auch Nachteile, denn dieses fast komplette Verschwinden aus der Öffentlichkeit hat zu einer starken Tabuisierung geführt: Versteckte Filme führen auch immer zu Begehrlichkeiten... Umso wichtiger sind also Bücher, die sich mit dem Phänomen Propagandafilm beschäftigen.
Der Medienwissenschaftler Friedrich Knilli, ausgewiesener Experte in Sachen Holocaust & Medien, beschäftigt sich seit Jahren mit "Jud Süß". Sein neues Buch stellt den Hauptdarsteller des Films, den Schauspieler Ferdinand Marian, in den Mittelpunkt.
Keinerlei negative Folgen
Knilli hebt direkt zu Beginn seine Intention hervor: Ihm sei es nicht um üble Nachrede gegangen, auch um keine Ehrenrettung, sondern um den biographischen Versuch, einen Mann von einem Gesicht zu befreien, das eigentlich nicht das seine gewesen sei, sondern erst zu seinem zweiten Gesicht gemacht wurde.
Die Mitwirkung an "Jud Süß" hatte für die meisten daran Beteiligten keinerlei negativen Folgen. Sogar Regisseur Veit Harlan, der die Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten am gehorsamsten umsetzte, kam ungeschoren davon. Er wurde 1950 freigesprochen: ein erschreckendes Beispiel für den willkürlichen Umgang der Alliierten mit deutschen Kulturschaffenden.
Detailreich und spannend
Anders erging es Ferdinand Marian, dem 1902 in Wien geborenen Schauspieler der Titelrolle. Er starb, kaum ein Jahr nach Kriegsende, bei einem Autounfall: Ein versteckter Selbstmord, wie einige seiner Freunde und Kollegen damals vermuteten. Marian war zu diesem Zeitpunkt dem Alkohol verfallen, tablettenabhängig, psychisch ein Wrack.
Wie es dazu kam und warum Marian die Rolle des Jud Süß überhaupt übernahm, nachdem er sich lange verweigert hatte, das beschreibt Knilli detailreich und auch spannend - Knilli ist kein trocken wissenschaftlicher Biograph. Vom persönlichen Einsatz Goebbels, der Marian als beste Wahl für die Hauptrolle vorschlug, bis hin zu umjubelten Premieren in Venedig und Berlin, schildert Knilli ein dunkles Stück deutsche Kulturgeschichte mit einem tragisch gescheiterten Hauptakteur.
Friedrich Knilli: "Ich war Jud Süß. Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marian." Mit einem Vorwort von Alphons Silberman. Henschel-Verlag, Berlin 2000.
Autor: Jochen Kürten, Redaktion: Conny Paul