Berber-Fotograf Ferhat Bouda erhält Stipendium
26. Oktober 2020Eine junge Frau kniet auf dem Boden und säubert ihr Gewehr. Über ihrem Kopftuch trägt sie eine Schirmmütze in den Tarnfarben des Militärs. Es ist die beeindruckende Aufnahme einer Polizistin der Tuareg im Norden des westafrikanischen Staates Mali, angefertigt vom Fotografen Ferhat Bouda.
"Ich habe mir die Fotografie nicht aus Spaß ausgesucht", erklärt Ferhat Bouda. Seine Stimme ist warm, sein Tonfall leidenschaftlich. Beim Interview via Webcam sitzt er in seinem Arbeitszimmer; es ist strahlend weiß gestrichen. Hinter ihm hängt eine breite Pinnwand aus Kork. An sie hat Bouda seine Fotografien geheftet, alle in Schwarz-Weiß. Er trägt eine Brille mit runden Gläsern und braunem Gestell, sowie einen dunkelblauen Pullover. "Ich fotografiere, weil ich etwas für meine Kultur tun will, die Kultur der Berber, oder der Imazighen, wie wir uns selbst nennen."
Eine 2500-jährige Kultur bewahren
Ferhat Bouda wächst im Dorf Bouzegene in der Kabylei im nördlichen Algerien auf. Die Berbersprache, seine Muttersprache, darf er damals in der Schule nicht sprechen. 1994 lehnt er sich mit seinen Mitschülern dagegen auf. Ihr Schulstreik soll Druck auf die algerische Regierung ausüben. "Ich fühle mich stolz, wenn ich daran denke, was wir erreicht haben", sagt er. "Die Berbersprache ist nun eine offizielle Sprache in Algerien."
Mit der Hochschulreife im Gepäck lässt er im Jahr 2000 seine Familie in Algerien zurück und geht nach Paris, um Film zu studieren. "Meine Großmutter konnte nicht ein einziges Programm verstehen, das in Algerien im Fernsehen lief, denn sie waren alle auf Arabisch", erklärt er. "Ich wollte studieren, um Filme für sie zu machen, in ihrer Sprache." Seine Großmutter ist vor vier Jahren gestorben. Ihr Name war Akli Tassadit. Bouda bricht die Stimme, als er von ihr spricht: "Ich habe früh meinen Vater und Großvater verloren. Sie war Großmutter, Großvater und Vater für mich. Sie war so eine starke Frau."
In Paris wechselt er vom Film zur Fotografie, fünf Jahre später zieht er mit seiner Frau nach Frankfurt, aber sein Antrieb ist derselbe geblieben: Seit zehn Jahren reist Ferhat Bouda zu den Imazighen, die über ganz Westafrika verteilt leben. So entstand auch das Foto von der Polizistin der Tuareg, eines der Berbervölker, die seit 2500 Jahren ein Territorium von Algerien bis Burkina Farso besiedeln. Er fotografiert die Menschen und ihre Lebensweise, bannt sie auf Papier, um sie für die Zukunft zu bewahren: "Darum geht es: Ich möchte aus diesen Bildern ein Buch machen, ein Buch, das in Bibliotheken auf der ganzen Welt steht, in Bayern, Berlin, New York."
Die letzten Worte einer Großmutter
Dabei helfen könnte ihm das Ellen-Auerbach-Stipendium für Fotografie, das er im Herbst 2020 erhält. Das mit 20.000 Euro dotierte Stipendium ist eine wichtige Auszeichnung, verliehen von der Akademie der Künste, die von der Bundesrepublik Deutschland getragen wird. Seine Werke wurden unter anderem bei Geo France veröffentlich und in Paris ausgestellt. Zwei Monate vor dem Tod seiner Großmutter erhielt er den französischen Boulat-Preis. Als sie 2016 im Sterben liegt, reist er ins Krankenhaus nach Algerien. Ihre letzten Worte an ihn sind: "Mach weiter."
Ferhat Bouda macht weiter: Eine Ausstellung in Frankfurt ist für 2022 angesetzt, dann soll auch das erste Buch erscheinen. Darin soll auch eine weitere junge Tuaregfrau zu sehen sein, die Bouda in Agadez bei einer Hochzeitsfeier fotografiert hat, einer Stadt im westafrikanischen Niger. "Ich wollte ein Porträt einer Tuaregfrau machen." Er lacht. "In den Ländern, in denen sie leben, ist Polygamie weit verbreitet, aber das käme für eine Tuaregfrau nicht infrage. Wenn eine Frau nein sagt, heißt das nein. Die Frau sucht sich den Ehemann aus, nicht umgekehrt. Einmal habe ich einen Tuaregmann gefragt, ob ich Fotos machen dürfe. Er druckste herum. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um zu begreifen, dass er erst seine Frau um Erlaubnis bitten musste, aber nicht wusste, wo er sie finden kann. Tuaregfrauen sind immer unterwegs, immer im Freien."
Während er sich an diese Frau erinnert, wird seine Stimme leiser. "Tuaregfrauen sind so stolz. Und sie sind schön. Das wollte ich festhalten." Es liegt etwas Schweres in seiner Stimme, als er fortfährt, obwohl er mit großer Dringlichkeit spricht: "Das ist das große Ziel: Wir dürfen diese Kultur nicht verschwinden lassen." Seine nächsten Satz sagt er erst auf Französisch. Dann wiederholt er ihn auf Deutsch: "Wir dürfen nicht eines Tages verschwunden sein."