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Enorme Interessen

Das Interview führte Christian F. Trippe13. Mai 2008

Welche Themen stehen auf der Agenda des fünften EU-Lateinamerika-Gipfels? Wie steht es um die Beziehungen zwischen den beiden Regionen? Darüber sprach DW-TV mit der EU-Außenkommissarin Ferrero-Waldner.

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EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner, Quelle: dpa
Ferrero-Waldner: "Was unsere gemeinsamen Werte betrifft sind wir uns sehr nahe."Bild: picture-alliance/dpa

DW-TV: Am Freitag (16.05.2008) beginnt in Lima der EU-Lateinamerika-Gipfel? Welche Interessen hat die Europäische Union in Lateinamerika?

Ferrero-Waldner: Kulturell, historisch und auch was unsere gemeinsamen Werte betrifft, sind sich Lateinamerika und Europa sehr nahe. Aber wir Europäer sind auch der erste Investor in Lateinamerika und der zweite Handelspartner dieses großen Kontinents. Daher haben wir natürlich enorme Interessen.

Vor dem Gipfel in Lima schickt sich die Europäische Union (EU) an, den USA Konkurrenz zu machen, die diese Region traditionell als ihren Hinterhof betrachten.

Wir beginnen nicht erst jetzt. Es gibt bereits seit vielen Jahren Gipfel, die die strategische Ausrichtung einer Annäherung Europas mit Lateinamerika vorantreiben. Ich war auf allen - der letzte Gipfel war in Wien. Lateinamerika hat immer mehr die Themen nachgezogen, die wir in Europa für sehr wichtig halten.

Auf dem letzten Treffen dieser Art in Wien vor zwei Jahren hat Venezuelas Staatschef Hugo Chavez fast die gesamte Veranstaltung geschmissen mit seinen Mäzchen. Haben Sie nicht Sorgen, dass das jetzt wieder passieren wird?

Das liegt vor allem in der Verantwortung der Medien. Die Medien haben zu wenig über das berichtet, was auf dem Gipfel stattgefunden hat. Wir haben dort ein wirklich ausgezeichnetes Programm vorgestellt - das ist viel zu wenig kommuniziert worden. Ich hoffe, dass dasselbe nicht wieder in Lima passieren wird - das wäre schade. Denn wir haben zwei große Themenbereiche: Der erste Bereich ist die Frage der sozialen Kohärenz, das heißt der Kampf gegen die Armut. Der zweite Bereich ist die Vernetzung dieses Themas mit dem Klimawandel und der Frage der Energiesicherheit. Aber auch Fragen der Migration werden eine Rolle spielen.

Kann das Treffen von Lima Impulse für die festgefahrenen Welthandelsgespräche liefern?

Das kann es ganz sicher. Es wird am Rande von Lima auch echte Verhandlungen geben. Mein Kollege Peter Mandelson wird dort sein. Und die Verhandlungen sind gar nicht so festgefahren. Wir haben drei verschiedene Verhandlungsrunden: eine mit Zentralamerika, eine mit dem so genannten Anden-Pakt und eine mit Mercosur. Die einzige, die derzeit sozusagen gleichgehalten wird, ist Mercosur. Aber mit Zentralamerika und dem Anden-Pakt haben wir Verhandlungsrunden, die sehr gut laufen. Hier müssen wir natürlich versuchen, zügig weiterzuverhandeln.

Aber Tatsache ist doch, dass in Lima die Europäer, die in der Wirtschaftspolitik sehr weit integriert sind, und die Lateinamerikaner, die zersplittert sind in drei unterschiedliche einander nicht gerade befreundete Wirtschaftssysteme, dort aufeinander zulaufen.

Sie haben Recht. Das ist auch die Schwierigkeit. Aber deshalb wurde im Vorfeld der Veranstaltungen auch viel gemacht. Wir wollen ganz bewusst Verhandlungen von Region zu Region, um die Integration dieser Regionen dort auch voranzutreiben.

Welches konkrete Ziel möchten Sie auf diesem Gipfel von Lima erreichen?

Dass die Staaten Lateinamerikas das Wirtschaftswachstum auch wirklich dem einzelnen Menschen zugute kommen lassen. Gleichzeitig wichtig ist klar zu machen, dass die großen globalen Themen unserer Zeit erstens Gefahrenfaktoren sein können, auch für die soziale Kohärenz, und dass wir zweitens gemeinsam dagegen Maßnahmen ergreifen müssen.

Nichtregierungsorganisationen sagen, dass die Nachfrage der Europäer nach Biosprit, also nach pflanzlich erzeugtem Treibstoff, den Hunger in Lateinamerika vergrößert, weil dort in Lateinamerika immer weniger Anbaufläche für Nahrungsmittel genutzt werde. Stimmt diese Gleichung?

Diese Ansicht ist leider überhaupt nicht fundamentiert. Was wir erreichen wollen, ist Folgendes: Nur zehn Prozent der erneuerbaren Energie, vor allem im Transportbereich, soll in den Biosprit gehen. Die zweite Frage ist, um welchen Biosprit es geht: Er soll aus nachhaltiger Erzeugung kommen. Das was angebaut wird, muss so angebaut werden, dass es nichts anderes zerstört. Hier spielt zum Beispiel Brasilen eine große Rolle. Brasilien hat noch riesige Flächen, die derzeit für die Viehzucht verwendet werden, die in Zukunft in Anbauflächen umgewandelt werden.

Nun regieren in vielen lateinamerikanischen Ländern Linkspopulisten und neomarxistische Regime - wohingegen der Grundton in der europäischen Union eher liberal-konservativ ist. Finden Sie immer im politischen Gespräch zueinander?

Wir bemühen uns darum. Ich glaube, der Dialog ist die einzige Möglichkeit. Natürlich gibt es unterschiedliche Anschauungen. Aber für uns ist doch das Wichtigste, dass die Führungspersönlichkeiten aus einem demokratischen Prozess in ihren Ländern hervorgegangen sind. Und wir müssen natürlich die wirtschaftlichen aber auch die sozialen Umstände in diesen Ländern sehen, die bewirkt haben, dass dort zunehmend Führer der Linken am Zug sind.

Soll sich die EU auf Kubas neue Regierung von Raol Castro zu bewegen und das Gespräch suchen, wie das etwa Spanien fordert?

Ich bin dafür, dass wir einen konstruktiven Dialog mit Kuba führen. Aber wir erwarten natürlich auch von den Kubanern echte Schritte. Tatsächlich hat Raoul Castro einige der Dissidenten, die viele Jahre im Gefängnis saßen, freigelassen. Das sind erste Schritte. Außerdem gab es gewisse Liberalisierungen, zum Beispiel im Telekombereich. Aber wir erwarten natürlich viel mehr Antrieb.

So ein konstruktives Engagement stößt zum Beispiel bei Tschechen und anderen ehemals kommunistischen Ländern auf scharfe Ablehnung. Die sagen, mit einer kommunistischen Diktatur sollten wir Europäer uns besser gar nicht einlassen.

Es gibt unterschiedliche Meinungen im Rat. Das ist richtig. Tschechien ist eines dieser Länder. Aber wir sprechen ja gleichzeitig die Frage der Menschenrechte an. Man muss zeigen, dass wenn sich Kuba bewegt, auch wir uns bewegen. Natürlich in kleinen Schritten. Man muss nicht sofort von Null auf Hundert gehen. Aber ich glaube, man erwartet hier eine Bewegung, und man sollte Bewegung unterstützen.

Wie ist Ihre persönliche Position: Soll die EU die Sanktionen gegen Kuba endgültig aufheben?

Ich bin nicht für eine endgültige Aufhebung. Aber ich bin dafür, dass man zwar auf der einen Seite Sanktionen aufrechterhält, aber langsam in die Richtung geht, negative Schritte wegzunehmen, wenn es von Kuba positive Schritte gibt. Noch ist es nicht so weit. Aber es hat erste positive Ansätze gegeben. Jetzt müssen wir auch zeigen, dass wir das positiv sehen.

Die EU hat das Problem, dass zu viele EU-Mitglieder die Außenpolitik mitbestimmen. Sie sind eine Stimme, eine wichtige Stimme, aber es gibt auch andere, die wir jetzt gar nicht nennen wollen. Das soll sich im nächsten Jahr ändern, wenn eine Art europäischer Außenminister eingerichtet werden soll. Der heißt anders, wird aber im Kern diese Funktionen haben. Wer könnte das sein?

Das ist eine Frage! Ich glaube, es ist noch viel zu früh, über diese Dinge nachzudenken. Schauen Sie, wenn ich denke, was ich allein an Aufgabenbereichen habe, da hab ich noch so viel zu tun, dass ich mich mit diesen Fragen eigentlich nicht auseinandersetzen kann.

EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner Vielen Dank für Ihre Antworten.

Sehr gerne. Danke vielmals.