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Festhalten an der Heimat

Aya Bach2. Dezember 2012

In Palästina waren sie anfangs unbeliebt: Deutsche Juden, die vor Hitler flohen. Doch dann halfen sie beim Aufbau Israels. Ein Museum erinnert nun an sie. Und kümmert sich um ihre Nachlässe: Geschichte ganz privat.

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Geschirr und Häkeldeckchen deutschsprachiger Juden, die vor der NS-Verfolgung nach Palästina flüchteten. Exponate des Jeckes-Museums Tefen, Israel (Foto: DW/Sarah Hofmann)
Jeckes-Museum in Tefen IsraelBild: DW

Ein enger fensterloser Raum, bis unter die Decke stapeln sich graue Kisten in Regalen. Weder Tageslicht noch frische Luft dringen hinein. Doch Nili Davidson liebt ihren Arbeitsplatz, denn in den Kisten verbergen sich unzählige Lebensgeschichten. Sorgfältig bewahrt sie hier Briefe, Fotos oder unscheinbare Notizen auf. "Ich schmeiße kaum was weg", sagt sie, und man spürt, dass es ihr eine Herzensangelegenheit ist: "Auch das kleinste Zettelchen kann der Schlüssel für eine tolle Sache sein".

Immer wieder kommen Menschen zu Nili Davidson, um ihr Dokumente zu übergeben, die Verwandte hinterlassen haben. Denn das Museum der deutschsprachigen Einwanderer in Tefen im Norden Galiläas hat nicht nur Ausstellungsräume, in denen die Geschichte der so genannten "Jeckes" sichtbar wird, sondern auch ein Archiv, das Familien-Nachlässe aufbewahrt und erschließt. Was auf den ersten Blick unspektakulär scheinen mag, entpuppt sich beim genaueren Hinsehen mitunter als kleine Sensation.

Nili Davidson, Archivleiterin des Jeckes-Museums Tefen (Israel) vor Regalen mit Kartons, in denen Nachlässe aufbewahrt werden (Foto: DW/Sarah Hofmann)
Kennt unzählige Menschen- Geschichten: Archivleiterin Nili DavidsonBild: DW

Deutsche Patrioten

Sorgfältig öffnet Nili eine Kiste und fischt ein Telegramm heraus: "Das ist von 1888, aus Düsseldorf. Darin ist genau aufgeführt, wie es dem Kaiser geht, der im Krankenhaus liegt. Stell dir das vor: Die Vorfahren dieses Jungen haben das Telegramm aufbewahrt, und er hat das bei seiner Emigration nach Israel mitgebracht! Soll ich das wegschmeißen? Nein! Das gibt ein tolles Bild von dieser Familie! Der Patriotismus schreit heraus!"

Während Nili Davidson als Archivleiterin im Verborgenen arbeitet, präsentiert das Museum in lichten, großzügigen Ausstellungsräumen die Geschichte der Jeckes. Kuratorin Ruthi Ofek floh selbst als Kind mit ihren Eltern aus Salzburg nach Palästina und hat miterlebt, was es bedeutete, völlig neu anzufangen: "Es war wirklich schwierig hier zu sein, nicht nur wegen der klimatischen Situation. Die Sprache, die Mentalität, das neue Leben – und dass die Familien in Deutschland geblieben sind. Hier war nichts ideal!"

Ausschnitt aus dem 'Illustrirten Koch Notiz-Buch', das deutsche Juden in den 1930er Jahren bei ihrer Auswanderung nach Palästina mitnahmen. Heute wird es im Archiv des Jeckes-Museums Tefen, Israel, aufbewahrt (Foto: DW/Sarah Hofmann)
"Besser ein Gericht Kraut mit Liebe, als ein gemästeter Ochse mit Hader" - deutsche Lebensweisheiten in einem Koch- und Haushaltsbuch im Archiv von TefenBild: DW

Blüthner-Flügel und Topflappen

Mit einem so genannten "Lift", einer Art Container, brachten die Einwanderer ihr Hab und Gut per Schiffspassage mit. Oft passten die Möbel aus deutscher Eiche samt Ehebett oder Blüthner-Flügel nicht in die neuen Wohnungen hinein. Doch man versuchte, ein Stück Heimat aus Deutschland mitzubringen, dem mörderischen Rassenwahn Hitlers zum Trotz. Nudelholz und Häkeldeckchen, Topflappen und Kochbücher – in Tefen erzählen authentische Gegenstände davon, wie stark die jüdische Bevölkerung in der deutschen Alltagskultur verwurzelt war und sie mitprägte.

In der Öffentlichkeit Palästinas aber war vielen Jeckes ihre Herkunft und Muttersprache unangenehm. Ihre Sprache war schließlich auch die der nationalsozialistischen Täter. "Damals sagte man mir: Deutsch wird nur leise gesprochen", erinnert sich Ruthi Ofek, "man fühlte sich immer so unter Druck". Auch wegen der Animositäten zwischen den Jeckes und den jüdischen Einwanderern aus Osteuropa: Diese hatten lange vor 1933 in Palästina Fuß gefasst und blickten nun auf die Neuankömmlinge herab. Der damals abschätzig gemeinte Begriff "Jecke" soll übrigens darauf beruhen, dass die deutschen Emigranten in ihrer bürgerlichen Steifheit selbst bei Wüstenhitze ihr Jackett nicht ablegten.

Küche mit dickwandigem Eisschrank, rustikalen Holzmöbeln, rot-weiß karierter Decke auf dem Tisch, Milchkannen und traditionellen Küchenutensilien (Foto: DW/Sarah Hofmann)
So ähnlich lebten viele der Jeckes, die vor der NS-Verfolgung nach Palästina flohen: eine wiederaufgebaute Küche im Museum von TefenBild: DW

Stolz auf Israel

Auch politisch gab es Differenzen: Die aus Osteuropa stammenden Juden waren mehrheitlich Zionisten, die einen jüdischen Nationalstaat aufbauen wollten. Anders die meisten deutschsprachigen Emigranten: "Sie sind hierhergekommen, weil sie woanders nicht hingehen konnten", sagt Ruthi Ofek, "Amerika und andere Staaten waren nicht bereit, sie zu nehmen. Das heißt aber nicht, dass sie nachher nicht Zionisten geworden sind. Sie waren sehr stolz auf das, was sie in Israel aufgebaut haben."

Wie sehr sie Teil dieses Aufbaus waren, zeigt das Museum, das ausdrücklich kein Holocaust-Museum sein will. Dass es überhaupt existiert, ist einem Unternehmer aus dem Schwarzwald zu verdanken: Stef Wertheimer, 1926 geboren und 1937 mit den Eltern emigriert, gründete die Metallverarbeitungs-Firma "Iscar". Er soll damit der reichste Mann Israels geworden sein. Was ihm ermöglichte, Industrieparks zu gründen – so wie die Anlage in Tefen, die neben Betrieben attraktive Museen beherbergt.

Ruthi Ofek, Kuratorin des Jeckes-Museums Tefen, in einem der Ausstellungsräume (Foto: DW/Sarah Hofmann)
Ruthi Ofek, Kuratorin des Jeckes-Museums Tefen, in einem der AusstellungsräumeBild: DW

Kaum genug Patienten

Wertheimer ist kein Einzelfall: Schon 1933 gründeten die Jeckes in Palästina weit über hundert Firmen, vor allem in Bereichen wie Chemie, Lebensmittel, Textil und Metall. Auch in der Medienbranche waren sie aktiv: Die Tageszeitung Ha'aretz wurde 1937 vom deutschen Geschäftsmann Salman Schocken gekauft und ist noch heute zu 75 Prozent in Familienbesitz, geführt von Schockens Enkel Amos. "Zum Jeckes-Treffen", erzählt Ruthi Ofek, "hat er so groß annonciert, wie wir es uns nie hätten leisten können".

Wichtige Aufbauarbeit leisteten deutschsprachige Emigranten auch in Bildung und Wissenschaft – etwa in der Medizin: "Es gab vorher keine Fachärzte in Israel", sagt Ruthi Ofek, "Aber dann kamen so viele Ärzte hierher, dass es kaum genug Patienten gab." Gelegenheit, das Gesundheitssystem zu modernisieren – inklusive Krankenversicherung nach deutschem Muster.

Geiger als Lebensretter

Auch in Kunst, Theater, Tanz, Musik waren die Jeckes prägend: Im "Palestine Symphony Orchestra", aus dem später das weltberühmte Israel Phiharmonic Orchstra hervorging, spielten vorwiegend deutschsprachige Flüchtlinge. Gründer Bronislaw Huberman, ein Pole, hatte lange in Berlin und Wien gelebt. Er sah den Holocaust kommen und überzeugte zahlreiche Musiker, auszuwandern wie er selbst: "Er hat ihnen das Leben gerettet!" konstatiert Ruthi Ofek.

Lichtdurchfluteter Raum mit Exponaten in Glasvitrinen (Foto: Tefen Open Museum)
Großzügige Ausstellungsräume: Das Jeckes-Museum in TefenBild: Tefen Open Museum

Schließlich die Architektur: Neben Tel Aviv, der "weißen Stadt am Meer", tragen auch etliche Kibbuzim die klare Handschrift der Bauhaus-Architekten. Zu den berühmtesten im Land zählten Deutsche wie Munio Weintraub und der für kurze Zeit im Jerusalemer Exil lebende Erich Mendelssohn. "Danach kamen andere Architekten, die das Bauhaus weitergeführt haben", sagt Kunsthistorikerin Ofek, "da gab es schon den Einfluss aus Deutschland."

Damen Mitte 80

Wer den Weg nach Tefen auf sich nimmt – etwa zweieinhalb Autostunden von Tel Aviv– wird belohnt durch eine Vielzahl an Objekten, Dokumenten und Videos, die Ruthi Ofek und ihr Team in unermüdlicher Arbeit zusammengetragen haben. Und sie haben große Zukunftspläne; auch für das Archiv. "Wir wollen alle Dokumente scannen", sagt Nili Davidson. Rund 30.000 sind es derzeit, pro Monat kommen zwei bis vier neue Nachlässe hinzu. Das alles soll der Wissenschaft zugänglich gemacht werden, denn gerade jüngere Leute interessieren sich wieder für die Geschichte der Jeckes. "Aber sie können die deutsche Sprache nicht! Ich hätte gerne jemanden hier, der Ivrit und Deutsch kann", wünscht sich die Archivleiterin. Doch um Dokumente zu erfassen, würde auch das nicht genügen: "Manchmal sind sie in Altdeutsch oder Sütterlin geschrieben, da haben wir Schwierigkeiten. Dann helfen uns freiwillig Damen Mitte 80. Die können das immer noch lesen."