Filmfestival - durch und durch politisch
10. Februar 2005"Stars? - Kommen auch, jede Menge!", sagt Berlinale-Chef Dieter Kosslick. Und rattert ohne Punkt und Komma zahllose Namen internationaler Filmgrößen herunter: Gerard Depardieu, Glenn Close, Keanu Reeves, Kevin Spacey und Catherine Deneuve und George Michael und und und. Die Schaulustigen an den roten Teppichen werden also etwas zu sehen bekommen und die vielen Berliner Cineasten auch: 343 Filme in 10 Tagen, vom Kurzfilm für die ganz Kleinen über das junge ambitionierte Weltkino bis hin zum Internationalen Wettbewerb, in dem in diesem Jahr 21 Filme um Goldene und Silberne Bären konkurrieren.
Eröffnet wird das Festival am 10. Februar mit dem historischen Abenteuerepos "Man to Man" des französischen Regisseurs Régis Wargnier, in dem sich eine Gruppe europäischer Anthropologen um das Jahr 1870 auf eine Forschungsreise nach Südafrika begibt und dabei den Stamm der Pygmäen entdeckt.
Fokus Afrika
Dieter Kosslick betont, dass es dieses Jahr einen regionalen Fokus gibt: Afrika. Zehn Jahre nach dem Genozid in Ruanda gibt es gleich zwei Filme im Wettbewerb zu diesem Thema: "Hotel Rwanda" des Briten Terry George, ein Film, der von den Dramen erzählt, die sich in einem von Tutsi-Flüchtlingen belagerten Hotel abgespielt haben, und die US-amerikanische Produktion "Sometimes in April", in der zwei Brüder aufeinander treffen, die sich neun Jahre zuvor, während des Bürgerkriegs, an der Front als Feinde gegenüberstanden.
Freilich konzentriert sich der politische Film im Wettbewerb keineswegs auf Afrika: "Paradise Now" von Hany Abu-Assad etwa beschäftigt sich mit den letzten 48 Stunden im Leben zweier palästinensischer Selbstmordattentäter; der russische Regisseur Aleksandr Sokurov präsentiert mit "The Sun" den Abschluss einer Trilogie über die Psychologie der Macht; und der deutsche Beitrag "Sophie Scholl - Die letzten Tage" fragt, woher Mut und zutiefst verwurzelter Humanismus der jungen Münchener Widerstandskämpferin kamen, die 1943 von den Nazis hingerichtet wurde.
Trend zu ernsthaften Themen
Natürlich, sagt Dieter Kosslick, laufen bei dieser Berlinale auch Produktionen, die einfach Spaß machen, Komödien oder Filme über Sex und Fußball. Aber das Bedürfnis, sich mit ernsthaften Themen auseinander zu setzen, nehme schon zu, befindet auch Wieland Speck, Leiter von der "Panorama-Reihe", das Arthouse-Kino der Berlinale. Und benennt drei Beispiele aus der von ihm betreuten Berlinale-Sektion:
"'Weiße Raben', da geht es um Tschetschenien. Es geht in 'Lost Children' um die Kinder in Uganda und Sudan. Und es geht in 'Massaker' um junge Libanesen, die vor 15 Jahren in den bürgerkriegsähnlichen Zuständen dort, in jugendlichen Jahren zu Mördern gemacht wurden."
Talent-Campus
Das Kino zeigt, was das Fernsehen immer mehr vermissen lässt: tief gehende Auseinandersetzungen mit brisanten Themen. Und das Publikum dankt es den Filmemachern. Nie zuvor ist das Interesse an Dokumentarfilmen so groß gewesen wie heute, heißt es seitens der Berlinale, und selten haben so viele Spielfilme Wirklichkeit gedeutet.
Während der Berlinale kann man darüber auch diskutieren - mit Schauspielern und Regisseuren und nicht nur nach den Vorstellungen für junge Kinogänger. Denn mehr als andere Filmfestivals legt die Berlinale Wert auf Austausch und hat sich darüber hinaus auch der Nachwuchsförderung verschrieben. Zum "Talent-Campus", vor drei Jahren von Dieter Kosslick begründet, werden in diesem Jahr 530 junge Filmemacher aus aller Welt erwartet. Dass die von den Workshops und Gesprächen mit den Profis der Branche wirklich profitieren, belegt aufs Schönste das Programm der diesjährigen Berliner Filmfestspiele. Es präsentiert nämlich gleich mehrere Produktionen von Nachwuchsfilmemachern, die in den Vorjahren Gäste des Talent-Campus waren.