Filmnation Polen auf dem Vormarsch
26. April 2015Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass das "goEast"-Festival in Wiesbaden eine gute Spürnase besitzt. Und, dass es selbst Hollywood und die große Berlinale auf filmische Großtaten und Entwicklungen aufmerksam macht.
Schon im letzten Jahr hatte das Festival den polnischen Streifen "Ida" als Eröffnungsfilm gezeigt. Das Werk von Regisseur Paweł Pawlikowski eroberte als "bester fremdsprachiger Film" im Februar den Oscar in Hollywood. Ein paar Tage zuvor hatte die polnische Regisseurin Małgorzata Szumowska für ihren neuen Film "Body" einen Silbernen Bären der Berliner Filmfestspiele gewonnen. Ein doppelter Triumph für den Film in Polen.
Aufschwung in Polen
Das polnische Kino glänzte auch in diesem Jahr in Wiesbaden und sorgte für filmische Höhepunkte. Das mag daran liegen, dass bei unseren Nachbarn im Osten der Mut der Regisseurinnen und Regisseure größer ist als in anderen Ländern Mittel- und Osteuropas - und vielleicht das Elend ein wenig kleiner.
Die Festival-Filme aus Rumänien, Bulgarien oder der Slowakei bemühen sich redlich, den Schrecken des Alltags nachzuzeichnen: handwerklich gut umgesetzt und ohne Verklärung. Ungeschminkt erzählen die Filmemacher von den Problemen der Menschen ihrer Heimatländer.
Der rumänische Regisseur Tudor Giurgiu erzählt in "Warum ich?" detailreich von den Nöten eines jungen, idealistischen Staatsanwalts in einer korrupten und verlogenen Gesellschaft. Der bulgarische Film "Die Lehrstunde" (vom Regieduo Kristina Grozeva/Petar Valchanov) stellt eine Lehrerin vor, die in finanzielle Geldnot gerät und so nach und nach die Strukturen der Gesellschaft kennenlernt - auch hier: überall nur Korruption und gesellschaftliches Elend.
Vom Ende der Sportlaufbahn
Der aus der Slowakei kommende Regisseur Ivan Ostrochovsky zeichnet in "Koza" den Abstieg eines ehemaligen Box-Stars in die Niederungen seines Sports nach - wobei der Sport als Spiegelbild für eine emotional verkrüppelte und ausbeuterische Gesellschaft steht. Weitere Filmbeispiele ließen sich aufzählen, aus Kroatien und Russland, aus Serbien oder Ungarn.
"Nicht nur Düsteres, auch Komödien und leichte Filme finden ihren Platz", sagt Festivalleiterin Gaby Babic. Das Auswahlkomitee habe in der Gesamtauswahl der Filme darauf geachtet, ein genreübergreifendes Programm zusammenzustellen, bei dem für jeden etwas dabei ist.
Dennoch hat man als Zuschauer das Gefühl, dass Ernsten und Gesellschaftskritisches das Programm dominiert. Und, dass Werke in der Überzahl sind, die die Traumas der jeweiligen Länder verarbeiten. Um nicht missverstanden zu werden: All diese Filme sind wichtig - für ihre Heimatländer sowieso. Sie geben allesamt interessante Einblicke in die jeweiligen Regionen und Gesellschaften. Sie würden auch andere Filmfestivals schmücken. In der geballten Präsentation nehmen sie sich aber in ihrer Fixierung auf das Elend und ausweglose Situationen gelegentlich etwas von der angestrebten Intention.
Witz und Ironie aus Polen
Umso erleichterter ist man als Zuschauer, wenn man dann auch auf Filme trifft, die nicht nur von bedrückenden gesellschaftlichen Zuständen und Protagonisten ohne Zukunft berichten, sondern auch mal das eigene Medium reflektieren, genrehaft für ein paar spielerische Momente sorgen und Ironie und Witz Raum geben. Dafür war in diesem Jahr zuvorderst das polnische Kino zuständig.
Zwei Millionen Polen sahen in der Heimat in den letzten Monaten den Film "Bogowie" ("Götter", unser Foto oben) - ein Kassenhit. Regisseur Łukasz Palkowski erzählt die authentische Geschichte des Herz-Chirurgen Dr. Religa. Als erstem Arzt seines Landes gelang es Mitte der 80er-Jahre, erfolgreich Herz-Transplantationen durchzuführen. Die Widerstände bürokratischer oder und moralischer Natur, die er dabei zu überwinden hatte, zeigt der rasant geschnittene Film: eine Mischung aus Wissenschafts-Thriller und filmischer Fortschritts-Philosophie.
Zuschauerboom in Polen
Auch "Obywatel" ("Bürger") war in Polen an der Kasse sehr erfolgreich. Regisseur Jerzy Stuhr, gleichzeitig sein eigener Hauptdarsteller, stellte sein Werk in Wiesbaden persönlich vor. In "Bürger" fächert er episodenhaft die Geschichte seines Landes der vergangenen 60 Jahre auf: garniert mit satirischen Spitzen. Vor Kritik ist da keiner sicher: Nicht nur die Kommunisten und die Moskau-hörige Warschauer Politelite werden hart angegangen, auch Gewerkschaften, Kirche und Bildungselite werden nicht geschont.
Schließlich war nach seiner Deutschland-Premiere bei der Berlinale auch "Body" noch einmal in Wiesbaden zu sehen. Regisseurin Małgorzata Szumowska ist ein wunderbar hintergründiger Film mit vielen verschiedenen Facetten über die aktuelle polnische Gesellschaft geglückt. Im Mittelpunkt: ein griesgrämiger Kriminologe, dessen magersüchtige Tochter sowie eine esoterisch veranlagte Therapeutin, die Kontakt mit Verstorbenen aufnimmt. Szumowska verschließt die Augen vor den Missständen in ihrem Land nicht, präsentiert sie dem Zuschauer aber so, dass auch die Liebhaber der Filmkunst auf ihre Kosten kommen. Zu viel Elend auf der Leinwand in geballter Form führt nicht immer zum Ziel. Das Festival, das am 28.04. endet, würdigte die Regisseurin bereits im letzten Jahr mit einer Retrospektive.
So bestätigten die Regisseurinnen und Regisseure aus dem Nachbarland, dass Polen derzeit tatsächlich zu den aufregendsten Kinonationen Europas zählt. Das hat selbst Hollywood inzwischen mitbekommen. In Wiesbaden darf man zu Recht darüber stolz sein.