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Woody Allens Hommage an das Radio

Jochen Kürten
2. November 2011

Woody Allens Hommage an das Radio, als es noch der Mittelpunkt des Wohnzimmers war: "Radio Days". Ein schwelgerischer Rückblick in vergangene Zeiten. Aber auch ein Film über die Macht der Medien.

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DVD Cover des Films Radio Days von Woody Allen mit Mia Farrow (Foto: Verleih MGM)

Natürlich ist der Film voller Pathos und Nostalgie. Wie Woody Allen die Geschichte einer jüdischen Großfamilie im Brooklyn der 1930er und 40er Jahre inszeniert, die kleinen Siege und Niederlagen des Alltags erzählt, das hat etwas von Vergangenheitsseligkeit, einem Goldkranz der Erinnerungen. Und doch: Wer so erzählen kann wie Woody Allen, so witzig und absurd komisch, wer sich so liebevoll um seine Filmfiguren kümmert, dass man ihnen als Zuschauer am liebsten stundenlang zuschaut, der hat jedes Recht auf Verklärung und Nostalgie.

Szene aus 'Radio Days' mit Seth Green, Michael Tucker, Julie Kavner, Dianne Wiest hinten: Renee Lippin, Josh Mostel, William Magerman (Foto: picture alliance)
Im Wohnzimmer vorm RadioBild: picture-alliance

Und Woody Allen tut ja nicht nur das. Er erzählt auch von der Macht der Medien. Nicht anklägerisch und bissig, sondern voller Enthusiasmus und Sympathie. Das Radio macht es ihm dabei natürlich leicht. Die Geschichten und Anekdoten, die aus dem schwarz-braunen Kasten im Wohnzimmer der Familie Needleman kommen, die vielen Musik- und Quizsendungen, um die sich immer wieder andere Angehörige der Großfamilie scharen, sind meist lustig und unterhaltend, anrührend und romantisch.

Radiogeschichte: "Krieg der Welten"

Und wenn diese Radiogeschichten einmal so grausam und unerklärlich sind wie jene, die von Marsmenschen berichtet, die die Vereinigten Staaten heimsuchen, dann sind sie schlicht und einfach erstunken und erlogen. Ein anderer Großer der Filmgeschichte hatte sie sich erdacht: Orson Welles in seinem 1938 ausgestrahlten berühmt-berüchtigten Hörspiel "Krieg der Welten", einer fiktiven Reportage, die die ahnungslosen amerikanischen Zuhörer für authentisch hielten.

Szene mit Mia Farrow aus 'Radio Days' (Foto: picture alliance)
"Wer, verdammt, ist Pearl Harbor?"Bild: picture-alliance

Geschichten, die tatsächlich wahr sind, wie die vom Angriff japanischer Bomber auf amerikanische Schiffe im Hafen von Pearl Harbor 1941, lösen sich in Allens Film im Nu auf in einem Gag: "Wer ist dieser verdammte Pearl Harbor?" fragt die verdutzte Mia Farrow ihre Kollegen bei der Aufnahme eines Hörspiels im Rundfunkstudio, die wegen der Kriegsnachricht unterbrochen wird, ausgerechnet in dem Moment, in dem die verzweifelte Mia ihren ersten Einsatz hat.

Woody Allens fünfzehnter Film "Radio Days" gehört nicht zu seinen stärksten, erzählt er doch seine vielen kleinen Geschichten wie an einer Perlenkette ohne große dramaturgische Höhepunkte. Leidenschaft kommt da selten auf. In einer Szene jedoch dürfte jedem Zuschauer auch heute noch der Atem stocken - eine Szene, die sehr genau von der Macht des Radios erzählt. Für einen kurzen Moment wird da der Atem der Weltgeschichte angehalten, ganz Amerika sitzt vor dem Radio.

Die Welt hört zu...

Irgendwo in den unendlichen Weiten des Landes ist ein kleines Mädchen in ein tiefes Loch gefallen, und Scharen von Helfern, Feuerwehr und Sanitäter, Polizisten und Verwandte, bemühen sich, ihr wieder herauszuhelfen. Journalisten und Fotografen sind an den Unglücksort geeilt - und die Reporter übertragen das Ereignis live im Radio. Eine ganze Nation hört zu. Wird die Bergung des Mädchens gelingen? Wird die Kleine den tiefen Sturz in das Erdloch ohne Blessuren überstehen?

Für einen kurzen Moment herrscht Stille, bei den Needlemans in Brooklyn, aber auch bei den Zuschauern des Woody-Allen-Films. Am Ende ist die Kleine tot, ihr lebloser Leichnam wird aus der Röhre gezogen, das Entsetzen ist lähmend und groß. Die Stimme des Reporters schweigt für einen Moment, und all die, die für Stunden vor den Radioapparaten verharrt und mitgefiebert haben, sind starr vor Schrecken.

Das Radio und die Konkurrenz

Doch Woody Allen wäre nicht Woody Allen, wenn er seine Filmfiguren, und mit ihnen uns Zuschauer, nicht wieder aufrichten würde. Mit einem nächsten Gag, mit seinem unnachahmlichen, melancholischen und von Lebensweisheit durchtränkten Humor.

Am Ende dann, in der letzten Filmsequenz, bricht das Neue Jahr an, man feiert das Silvesterfest 1944. Im Radio zählt der Moderator die Sekunden, die es noch dauert, bis wieder eine neue Zeit anbricht, die diesmal auch die Nachkriegszeit ist, eine neue Epoche, die ganz andere Medien bringen wird. Das Radio wird zwar dann nicht tot sein, muss sich aber neuer Konkurrenz stellen.

Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Cornelia Rabitz