"Flüchtling ist nicht meine Identität"
10. Mai 2017DW: Sie sind einer der Autoren des Projekts "Weiter Schreiben", das jetzt an den Start gegangen ist. Ziel ist es, Texte von Autoren zu publizieren, die ihre Heimat verlassen mussten und nun in Deutschland leben. Genauso wie Sie. Sie mussten aus Syrien fliehen und leben nun in Köln. Wie wichtig ist es für Sie, hier Texte veröffentlichen zu können?
Ramy Al-Asheq: Für mich als Autor ist es eines der wichtigsten Dinge überhaupt. Ich weiß nicht, wie man ein Haus baut oder ein Restaurant eröffnet. Alles, was ich kann, ist schreiben. Alles, was ich tue, ist mit Sprache verbunden, was ich denke, schreibe, veröffentliche. In einem Gedicht von mir kommen die Zeilen vor: "Du warst ein Vogel/bist ausgewandert in ein anderes Land/ das die Sprache nicht begreift/ Die du zwitscherst." Für mich ist es das Wichtigste, auch hier in Deutschland weiterzuschreiben, so wie ja auch das Projekt im Titel heißt. Und ich möchte, dass meine Texte übersetzt werden.
Der erste Text, der von Ihnen auf der Plattform veröffentlicht worden ist, heißt „Fatma trägt zwei Wunden in der Hand". Das Gedicht handelt von einer Frau, die -wie andere Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Nordafrika vor ihr - den gefährlichen Weg übers Meer wagt. Warum haben Sie gerade dieses Gedicht als Start in das Projekt ausgewählt?
Fatma ist meine Mutter, deshalb geht mir dieses Gedicht besonders nah. Es ist sehr persönlich, zugleich aber auch universell, denn es handelt von einer Erfahrung, die jeder Flüchtling macht. Als ich das Gedicht 2015 schrieb, wusste ich nicht, ob Fatma überleben würde. Ich war traumatisiert und wartete auf ein Lebenszeichen von ihr. Dieses Gefühl kennt jeder, der auf jemanden wartet. Die gute Nachricht ist: Fatma hat überlebt. Sie wohnt mittlerweile in Mühlheim an der Ruhr. Ich mag das Gedicht aber noch aus einem ganz anderen Grund: Es ist sehr rhythmisch. Ich hoffe, das trifft auch auf die deutsche Version zu!
Sie mussten aus Syrien fliehen, nachdem Sie als Journalist über die Demonstrationen zu Beginn der syrischen Revolution 2011 berichtet hatten. Sie hatten auch einige Texte für Revolutionslieder geschrieben. Inwiefern hat die Politik nicht nur ihr Leben, sondern auch Ihr Schreiben beeinflusst?
Alles beeinflusst mein Schreiben: der Tod, die Flucht, die Heimat, Politik und Krieg. Derzeit schreibe ich nicht darüber, aber als Autor benutze ich diese Bausteine. Doch die Frage ist, in welcher Form ich das mache. Wenn ich über Politik schreibe, dann tue ich das als Journalist. Ich bin schließlich ein kritischer Geist - übrigens auch gegenüber Deutschland. Aber mit meinen Gedichten ist es etwas ganz anderes. Literatur braucht Zeit, hier muss man die Gefühle erst in den Griff bekommen, bevor man beginnt zu schreiben. Ich kenne beide Arten des Schreibens, als Journalist und als Schriftsteller.
Als ich die Songtexte schrieb, war ich noch in Damaskus, ich war bei den Demonstrationen mitten drin. Heute bin ich weit weg, und schon gefallen mir die Texte nicht mehr. Doch ich weiß, unter welchen Umständen sie entstanden sind, und in diesem Zusammenhang finde ich sie okay. Es macht nämlich einen großen Unterschied, ob man selbst in einer bestimmten Situation steckt oder sie von außen betrachtet. Angst ändert alles – auch das eigene Schreiben. Als meine Mutter beispielsweise draußen vor dem Gefängnis auf mich wartete, hatte sie viel mehr Angst als ich, der ich drinnen festsaß. Hier im Exil haben wir viel mehr Angst als diejenigen, die noch immer in Syrien sind. Ich frage mich wirklich, was Literatur in diesen schrecklichen Zeiten bewirken kann. Die Zerstörung ist real, das Blut ist real. Die Wirklichkeit ist zurzeit verrückter als die Fiktion.
Sie sind im "Yarmouk"-Flüchtlingslager für Palästinenser in Damaskus aufgewachsen. Man könnte also sagen: Sie wurden bereits als Flüchtling geboren – lange bevor der Krieg in Syrien ausbrach. Was heißt es für Sie, Flüchtling zu sein?
Ich bin ein Flüchtling, ich wurde als Flüchtling geboren, mein Vater wurde als Flüchtling geboren. Ich schäme mich nicht dafür. Aber es ist eine Schande für die Welt, dass es derzeit rund um den Globus rund 60 Millionen Flüchtlinge gibt. Ich glaube nicht an Grenzen. Ich bin kein Syrer, ich bin kein Palästinenser, ich bin kein Deutscher. Ich habe kein Problem mit dem Begriff "Flüchtling", aber dies ist nicht meine Identität. Ich bin ein Autor. Flüchtling zu sein, beschreibt nur die Situation, in der ich mich befinde. Deshalb ist das Projekt "Weiterschreiben" ja so wichtig, weil es uns nicht als Flüchtlinge behandelt, sondern als Autoren.
Zur Idee von "Weiterschreiben" gehört es, dass Autorenduos zusammenarbeiten – ein deutscher Autor und ein Autor, der seine Heimat verlassen musste. Ihre Tandem-Partnerin ist Monika Rinck. Wie muss ich mir so eine Zusammenarbeit vorstellen?
Dies ist das eigentlich Interessante an dem Projekt: das Tandem, nicht die Veröffentlichungen. Als ich mich das erste Mal mit Monika getroffen habe, hatte ich nicht erwartet, dass sie sofort anfangen würde zu arbeiten. Ich dachte, wir quatschen erstmal ein bisschen, diskutieren über Bücher und die Literaturszene. Ich fragte mich: Meint sie das ernst? Ich habe über diese Erfahrung auch geschrieben. Schon bei unserem zweiten Treffen übersetzte sie eines meiner Gedichte aus dem Englischen und redeten über die Bilder und ihre Bedeutung. Wir lesen auch viel zusammen und sie erklärt mir, wie in Deutschland der Literaturbetrieb funktioniert. Dieser Austausch ist sehr hilfreich, denn hier bekomme ich nicht nur Hilfe, sondern bin auch in der Lage, etwas zurückzugeben. Die Idee ist es eben nicht, Flüchtlingshilfe zu leisten, sondern Menschen auf einer Augenhöhe zusammenzubringen und beide Seiten weiterzubringen.
Rami Al-Asheq ist syrisch-palästinensischer Schriftsteller, Dichter und Journalist. Zu Beginn der syrischen Revolution 2011 berichtete er über die Demonstrationen und schrieb auch mehrere Texte für Revolutionslieder. Im Juli 2011 wurde er vom Assad-Regime verhaftet. Nach seiner Freilassung floh er nach Jordanien, wo er sein erstes Buch "Walking on Dreams" veröffentlichte. Mithilfe eines Stipendiums der Heinrich-Böll-Stiftung konnte er nach Köln ausreisen, wo er seit November 2014 lebt.
Das Gespräch führte Sarah Judith Hofmann.