Flüchtlinge: Rückkehr nach Athen
8. Dezember 2015Rush Hour in der Athener Metro. Bijan Mortazavi und seine Freunde sind zu Scherzen aufgelegt, vergleichen die Länge ihrer Bärte. Die sind stark gewachsen, während sie an der Grenze im Norden kampierten. "Wir waren zwei Wochen dort", sagt Mortazavi. "Aber wenn ich in Deutschland bin, lasse ich mir den Bart schneiden."
Der junge Mann und seine fünf Freunde, alle aus dem Iran, alle frisch von der Uni, sind unterwegs zum olympischen Hockeystadion im Athener Vorort Elliniko. Hockey wird dort nicht mehr gespielt, seit das Stadion zum Flüchtlingslager umfunktioniert wurde. Die sechs Flüchtlinge kommen gerade aus Idomeni, einer Stadt nahe der mazedonischen Grenze. Dort gibt es immer wieder Ausschreitungen, seit mehrere Balkan-Staaten Asylsuchende aus "Nicht-Konfliktländern" wie Iran, Pakistan und Marokko nicht mehr einreisen lassen.
Von Camp zu Camp
Seit dem 18. November dürfen nur noch Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan nach Mazedonien. Rund 2000 Asylsuchende aus anderen Ländern kampieren an der Grenze. In den vergangenen Wochen hat sich die Lage dort mit dem Wintereinbruch weiter verschlechtert. 150 bis 200 Menschen verlassen laut Angaben einer Nichtregierungsorganisation seit dem täglich die Grenze und kehren um nach Süden, nach Athen.
In der griechischen Hauptstadt landen also neben Neuankömmlingen aus der Türkei auch Rückkehrer aus dem Norden. Das beunruhigt einige Helfer, die sich in Athen um Flüchtlinge kümmern.
Zerbrochenes Glas
"Das Lager hier ist voll, wir haben keinen Platz für diese Jungs", sagt Kristoff, ein freiwilliger Helfer im ehemaligen Hockeystadion. Seinen Nachnamen will er nicht nennen. Trotzdem begrüßt er Mortazavi und seine Freunde und führt sie in die iranische Ecke des Lagers, wo sie auf dem Boden schlafen, auf Decken.
Das Hockeystadion ist eines von mehreren Lagern, in dem Rückkehrer aus Idomeni landen. Von der UN gecharterte Busse bringen sie dorthin. Laut Marios Karagiannakis, griechischer Beamter und Koordinator für das Camp im Hockeystadion, sind dort zurzeit 400 Menschen untergebracht. Alleinstehende Männer aus Nordafrika und dem Iran sind in der Mehrzahl. Viele sind verärgert und frustriert hier angekommen. Zerbrochene Glasscheiben erzählen von diesem Frust.
Ein Kinderspiel
Karagiannakis, der griechische Beamte, versucht, gleichzeitig zu telefonieren, mit einem Übersetzer zu sprechen und Kette zu rauchen. Seine blauen Augen sind gerötet. Der Übersetzer erzählt etwas von einem Teenager, der Blut spucke. Schon der fünfte Fall möglicher Tuberkulose-Symptome in den vergangenen Tagen.
Drei Stunden pro Nacht komme er noch zum Schlafen, erzählt Karagiannakis, umklammert seine Zigarette noch etwas fester und sagt, dass das alles schlimmer aussehe, als es sei. "Das ist ein Kinderspiel im Vergleich zur Situation auf Samos vor zwei Jahren. Wir haben jetzt ein Aufnahmesystem und viel mehr Erfahrung. Schließlich machen wir das jetzt schon seit einer ganzen Weile."
Taekwando ohne Matratze
Etwas weiter nördlich hat vergangenen Monat ein weiteres Flüchtlingslager im viel größeren olympischen Taekwondo Stadion aufgemacht. Dort ist Koutsianas Panos als Koordinator zuständig. Man könne bis zu 1700 Menschen beherbergen, sagt er. Aus Sicherheitsgründen wolle er jedoch nur bis zu 1000 Flüchtlinge aufnehmen. Hier gebe es drei Mahlzeiten täglich, zubereitet von der griechischen Marine und Freiweilligen.
"Man muss Menschen wie Menschen behandeln, dann geht alles einfacher", so Koutsianas. Um dann einzuschränken: "Ich glaube nicht, dass dieser Ort als Flüchtlingslager geeignet ist." Journalisten dürfen das Stadion nicht betreten. Von 20 Flüchtlingen, die den Ausgang passierten, sagte jedoch nur einer, dass er eine Matratze zum Schlafen habe. Der Rest sprach von Decken, die auf dem Fußboden ausgebreitet seien. "Ich bin krank, schlafe nicht, stehe nur herum", sagte Ahmed Abdu Mohammed aus Somalia. "Mir tut alles weh."
Noch mehr Stadien
In anderen Lagern soll die Lage besser sein. Mahmoud Abdelrasail ist Flüchtlingskoordinator in Eleonas: Bislang war unser Lager voll und 300 Menschen mussten auf der Straße schlafen. Jetzt haben wir ausreichend Platz, selbst für weitere Neuankömmlinge und Rückkehrer. Es gibt noch Stadien, die umgewidmet werden können."
Wer es sich leisten kann, übernachtet in Hotels. Zudem bieten die Hausbesetzer-Szenen in Athen und Thessaloniki Asylsuchenden Unterschlupf. Und manch einer will eigentlich überhaupt keine Nacht mehr in Griechenland verbringen.
"Es wird nicht klappen"
Zwei Nächte lang hat Bijan Mortazavi im Hockeystadion kein Auge schließen können. Jetzt sitzt er am Viktoria-Platz in der Athener Innenstadt. Zwischen Betrunkenen, Obdachlosen und Bettlern geht er seine Optionen durch.
"Das Leben in Europa ist hart. Wasser kostet Geld, ein Schlafplatz kostet Geld. Alles kostet Geld. Man braucht einen Job, und den gibt es hier in Griechenland nicht." Er habe auch mit Schleppern über den Weg nach Deutschland gesprochen, sagt Mortazavi. 1000 Euro hätten sie verlangt. Einen syrischen Pass, einen gefälschten, verkaufen Straßenhändler für 150 Euro. Seine Freunde würden weiter versuchen, nach Norden zu gelangen, sagt er. "Das wird nicht klappen. Man wird sie aufgreifen und zurückschicken." Deshalb werde er zurückgehen in den Iran.