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Italien ist überfordert

Karl Hoffmann13. Mai 2014

Italiens Marine rettet viele Flüchtende aus Seenot, kann sie dann aber an Land nicht mehr betreuen: Es fehlt an geeigneten Aufnahmezentren und Personal für die Behandlung von Asylanträgen.

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Flüchtlinge im Hafen von Augusta (Foto: Reuters)
Die Flüchtenden werden auch in den Hafen von Augusta gebrachtBild: Reuters

Ein älterer Herr bleibt vor dem ehemaligen Frauenkloster in der Via Oberdan in Palermo stehen. "Es sieht zwar verlassen aus, aber seit kurzem ist es bewohnt", sagt er. "Ausländer und Obdachlose leben in dem Gebäude. Mindestens 50 Familien verstecken sich hier drin." Dort wo einst die Töchter des Heiligen Joseph gebetet und gefastet haben sind Familien aus Palermo, Eritrea und Somalia eingezogen, ohne eine Genehmigung. Sie berufen sich auf einen Vorschlag des Papstes. Franziskus hatte im vergangenen Jahr gesagt, man solle die vielen leerstehenden Klöster in Italien für die Einwanderer öffnen. In Sizilien herrscht überall Notstand und man will die Gäste nicht einfach auf die Straße setzen. Daher drückt der örtliche Bischof von Palermo einfach ein Auge zu.

Seit Jahresbeginn sind etwa 25.000 Menschen mit Booten vor allem über Libyen Richtung Italien gefahren. Die meisten hat die italienische Marine weit vor der sizilianischen Küste aufgelesen und sicher an Land gebracht, um eine erneute Tragödie wie die vor Lampedusa am 3. Oktober 2013 mit 336 Toten zu verhindern. Seither sind keine Menschen mehr auf die kleine Insel geflüchtet. Das Lager dort ist geschlossen, die so genannten Boat People werden direkt nach Sizilien gebracht und auf vier kleine Hafenstädte verteilt: Augusta im Südwesten, Pozzallo und Porto Empedocle im Süden und Trapani an der Westküste. Die dortigen Erstaufnahmelager sind seither restlos überfüllt und können mit dem Ansturm längst nicht mehr fertig werden. Nicht selten kommen tausend Menschen auf einmal an Land. Sie müssen ärztlich untersucht und mit Nahrung und Kleidung ausgestattet werden. Dann folgt die Identifizierung und schliesslich die Bearbeitung von Asylbegehren. Solche Prozeduren dauern in Italien oft Monate, manchmal sogar Jahre. Wenn alle ankommenden Flüchtlinge in Italien bleiben wollten, wäre die Situation noch dramatischer.

Marine rettet Flüchtlinge aus Afrika (Foto: DPA)
Immer wieder rettet Italiens Marine ankommende FlüchtendeBild: picture-alliance/ROPI

Das Ziel ist nicht Italien

In diesem Jahr häufen sich flüchtenden Menschen aus Syrien. Der Weg über Libyen und den Kanal für Sizilien ist für sie die einzige Möglichkeit, zu Verwandten und Freunden - meist in Nordeuropa - zu gelangen, bei denen sie Zuflucht finden. Viele sind wohlhabende Familien, die es sich leisten könnten mit dem Flugzeug nach Europa zu kommen, aber an den strengen Einreisebestimmungen scheitern. Nur auf dem lebensgefährlichen Seeweg können diese überwunden werden. Wenn die Menschen erst einmal sizilianischen Boden betreten haben, erhalten sie in der Regel die Erlaubnis, aus humanitären Gründen in Europa zu bleiben. Allerdings wollen sie nicht unbedingt in Italien bleiben, so wie es das Abkommen von Dublin eigentlich vorschreibt. Doch daran halten sich viele nicht. Vor allem junge Immigranten aus afrikanischen Kriegsgebieten versuchen deshalb, die Identifizierung in Italien zu vermeiden und schleunigst auf eigene Faust zu Verwandten nach Mittel- und Nordeuropa zu kommen. Bei dem derzeitigen Chaos in den Aufnahmelagern haben sie leichtes Spiel. Man kann sie, viele von ihnen Menschen mit Recht auf Schutz und Unterstützung, nicht einsperren. Bestehende Vorschriften verhindern die Möglichkeit, sie geordnet aufzunehmen und in Europa dort einzugliedern, wo sie am besten aufgehoben wären.

Italien wird ab dem kommenden Juli die EU- Präsidentschaft übernehmen. Das Thema Immigration wird zu einem Hauptanliegen werden. Italien will die Dublin-Bestimmungen ändern, fordert mehr Unterstützung für die Grenzüberwachung und größere Freizügigkeit für Immigranten, die in Italien nur anlanden, aber nicht bleiben wollen. Die europäischen Partner halten dagegen: In Italien werden erheblich weniger Asylanträge gestellt als in anderen EU-Ländern, ein Drittel der deutschen Anträge, nicht mal die Hälfte der Asylsuchenden in Frankreich. Die EU hält Mittel bereit, um Italien zu helfen. Die römische Regierung hat jedoch bisher keine konkreten Wünsche geäußert. Gleichwohl deuten Innenmister Angelino Alfano und Regierungschef Matteo Renzi jetzt mit dem Finger auf Brüssel und behaupten, Europa lasse Italien wieder mal im Stich. Wahlkampfparolen zum Thema Immigration, das man bisher herunterzuspielen versucht hat, um den anti-europäischen Populisten der Lega Nord und der 5-Sterne-Partei von Beppe Grillo Wind aus den Segeln zu nehmen.

Junge Einwanderer - die zukünftigen Europäer

Die Jugendlichen, die vor der Sporthalle von Augusta stehen und sich unterhalten, interessiert der Europa-Wahlkampf herzlich wenig. Sie sind gerade glücklich gelandet und geniessen die neue Freiheit. Süleiman aus dem Senegal und Ali aus Gambia wollen vielmehr wissen, wo der nächste Bahnhof ist. Der eine hat einen Schwager in der Nähe von Paris, der andere einen Bruder in Düsseldorf. Sind sie dort erst einmal angelangt, dann beginnt ihr neues Leben. Sie wollen Europäer werden, sagen sie.