"Flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl"
12. November 2012Es ist ein bizarres Bild. 50.000 halbwüchsige Hitlerjungen stehen diszipliniert aufgereiht in einem gigantischen Stadion und lauschen gebannt der - laut Manuskript - sicherlich eine Stunde dauernden Rede eines kleinen, wenig attraktiven Mannes mit akribisch zugeknöpftem Kragen und einer seltsamen, engen Uniform. Ab und an unterstreicht er seine Worte zackig mit der geballten Faust. Immer öfter muss er seine Sätze wegen der lauten "Sieg Heil!"-Rufe aus dem Publikum unterbrechen. Die Jugendlichen begeistern sich für die Rede, je länger sie dauert. Adolf Hitler spricht von der Verweichlichung der Jugend in der Weimarer Republik und formuliert das "neue" Ideal der Nazis: "flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl" so soll die Jugend ab sofort sein.Ob die jungen Zuhörer wirklich alle von der Rede so begeistert waren, ob sie sie überhaupt verstanden oder nur von dem Gemeinschaftserlebnis mitgerissen wurden, das lässt sich anhand der Bilder nicht sagen. Die erhalten gebliebenen Aufnahmen von Hitlers Rede an die Hitlerjugend während des Reichsparteitages in Nürnberg am 14. September 1935 sind inszeniert - ganz im Stil von Leni Riefenstahls berüchtigtem Propagandafilm "Triumph des Willens" über den Reichsparteitag in Nürnberg ein Jahr zuvor. Nahaufnahmen von blonden Jungen, Bilder vom gefüllten Riesenstadion und dem über allen thronenden "Führer und Reichskanzler" erzeugen die Atmosphäre eines heidnischen Gottesdienstes und sind genauso kalkuliert wie die spektakulären Massenaufmärsche, die das Bild des Nationalsozialismus und die Reden Adolf Hitlers prägten. Othmar Plöckinger arbeitet am Münchener Institut für Zeitgeschichte an einer kritischen Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf" und hat lange über die Reden Adolf Hitlers geforscht. "Hitler war sicherlich ein erfolgreicher Redner", schränkt Plöckinger ein, "vor allem in der Frühzeit seines Aufstiegs. Seit 1930, vor allem jedoch seit 1933 wurden seine Reden immer mehr von deren Inszenierung überlagert." Bereits für die Wahlkämpfe 1932 lasse sich zeigen, sagt Plöckinger, dass vor allem die Darstellung und Inszenierung der Reden in der rechten Presse ihre Wirkung entfaltet habe.
Perfekt inszenierte Propaganda
Welch ungeheure, heute grotesk anmutende Organisationsleistung hinter diesen Großveranstaltungen steckte, hat der linke expressionistische Schriftsteller Franz Jung in einem beklemmenden Augenzeugenbericht von den 1.Mai-Paraden kurz nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten 1933 festgehalten: "Zum ersten Mal in der Geschichte sollte - wie es in der Presseverlautbarung hieß - auf dem Tempelhofer Feld eine Masse von anderthalb Millionen Menschen auf einem einzigen Platz versammelt werden. Aus dem Propagandaministerium wurde dazu der folgende Lagebericht veröffentlicht: Bei einer Breite von sechs Gliedern können von einem Sammelplatz 18.000 Menschen in einer Stunde abgelassen werden. [...] Die Spitze der ersten Züge erreicht um 14 Uhr das Tempelhofer Feld, um 20 Uhr wird die Kundgebung beginnen."
Dass Hitlers Reden auch die gewünschte Wirkung erzeugten, dafür sorgte die perfekte mediale Verbreitung über die gleichgeschalteten Medien: Fast alle großen Tageszeitungen druckten schon am darauf folgenden Tag den Wortlaut der Rede ab, im Radio war sie die Hauptmeldung, die Filmaufnahmen liefen wenig später in der Wochenschau in den deutschen Kinos. Auch Hitlers Forderung an die Jugend, "flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl" zu werden, wurde auf diesem Weg populär und zu einem geflügelten Wort, das noch heute ab und an in Deutschland achtlos zitiert wird - dass es von Adolf Hitler stammt, ist über die Jahre in Vergessenheit geraten.
Militarisierung der Gesellschaft
Zäh wie Leder? Hunde als Vorbilder für die Jugend? Es sind seltsame Ideale, die Hitler in seiner Rede aufzählt. Nicht nur das Fehlen der klassischen Tugenden der Aufklärung wie Bildung, Weisheit und Gerechtigkeit fällt auf. Hitler hat die Formulierung nicht für die Rede vor der Hitlerjugend 1935 erfunden - er verwendete sie auch schon zehn Jahre früher in seiner Programmschrift "Mein Kampf". Dort bezeichnet er sie ausdrücklich als "militärische(n) Tugenden", ohne aber damit erzieherische Ziele zu verbinden, wie Othmar Plöckinger betont. "Eine direkte Verbindung zur Ausbildung oder Erziehung von Jugendlichen ist in "Mein Kampf" noch nicht vorhanden, wenngleich dabei natürlich Hitlers Wertschätzung für militärische Denk- und Verhaltensweisen deutlich wird. So gesehen liegt natürlich im Militärischen ein wesentlicher Bezugspunkt einer nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung."
Und nur als solche machen sie auch Sinn. 1935 war Hitlers Herrschaft gefestigt, die NSDAP hatte 3,9 Millionen Mitglieder, die Opposition war ausgeschaltet. Jetzt konnten die Nationalsozialisten an die Ausweitung ihrer Macht denken. Kurz zuvor hatten sie die Allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt - und damit das letzte Hemmnis aus der Zeit der Versailler Verträge beseitigt, mit denen die Siegermächte des 1. Weltkrieges ein militärisches Wiedererstarken Deutschlands verhindern wollten.
Und Hitlers Worte an die Jugendlichen in Nürnberg hatten Folgen. 1936 wurde die Hitlerjugend per Gesetz zur einzigen Jugendorganisation in Deutschland, 1939 wurde die Mitgliedschaft Pflicht. Fast acht Millionen Jugendliche ab dem 10. Lebensjahr marschierten seitdem in Uniformen, exerzierten auf Schulhöfen und nahmen an Schießübungen und Fahnenappellen teil - einzig mit dem Ziel, einmal flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl zu werden und im 2. Weltkrieg zu töten und zu fallen.