Fluch oder Segen?
18. Dezember 2003Irak, der Kongo, Liberia: jedes Jahr brechen auf der Welt neue Konflikte aus und Menschen werden in die Flucht getrieben. Der Großteil der weltweit geschätzten 175 Millionen Migranten sind allerdings nicht vor Kriegen oder politischer Verfolgung geflohen, sondern vor wirtschaftlicher Armut. Sie hoffen, in der neuen "Heimat" ihren Lebensstandard zu verbessern. Unabhängig von den Gründen für Migration ist eines offensichtlich: Die große Zahl der Migranten erfordert eine weltweit abgestimmte Migrationspolitik.
Diese zu erreichen ist das Ziel der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Dabei beginnen die Probleme aber schon bei der Erstellung von genauen Migrationsstatistiken, und selbst die Experten der IOM werden immer wieder von neuen Migrationstrends überrascht.
Frauen und Viren auf Weltreise
Jüngstes Beispiel: der Weltmigrationsbericht 2003. Darin verabschieden die Experten das Bild des jungen, männlichen Wirtschaftsmigranten, der ins Ausland geht, um seine daheimgebliebene Familie zu versorgen: Fast die Hälfte aller Migranten sind inzwischen Frauen. Für IOM-Experte Bernd Hemingway eine Folge der weltweit voranschreitenden Emanzipation: Immer mehr Frauen übernähmen die Rolle des Familienversorgers, auch durch monatelanges Arbeiten im Ausland. Da Frauen eher Opfer von Gewalt und illegalen Schlepperbanden würden, müsste die internationale Gemeinschaft besondere Schutzmechanismen für weibliche Migranten schaffen, fordert Hemingway.
Schutzmechanismen wären auch gegen einen unerwünschten Parasiten der weltweiten Migration angebracht: die Krankheitserreger. Denn wie die Ausbreitung von SARS deutlich gemacht hat, kann die rasant angestiegene Mobilität der Menschheit die Verbreitung von Krankheiten zumindest beschleunigen.
Nur zusammen sind wir stark
Sowohl illegale Einwanderung wie auch die Ausbreitung von Kranheiten kann aber nicht von einem Land alleine verhindert werden. Das erfordert internationale Zusammenarbeit. Insbesondere in der Europäischen Union, in der die Grenzen zwischen den demnächst 25 Mitgliedsstaaten fast nur noch im Atlas existieren, wäre eine gemeinschaftliche Regelung von Migrations- und Asylfragen angebracht. Die EU stehe diesbezüglich aber noch am Anfang, sagt Rita Süssmuth, die Vorsitzende des Deutschen Zuwanderungsrates: "Wir haben das Problem erkannt, aber wir handeln noch nicht entsprechend."
Vorhande Ressourcen besser nutzen
Geht es nach dem Willen der IOM, dann soll die weltweite Migration durch eine international abgestimmte Politik nicht verhindert, sondern nur besser genutzt werden. Ein riesiges Potential birgt zum Beispiel die Tatsache, dass Migranten ihren daheim gebliebenen Familien inzwischen mehr als doppelt so viel Geld überweisen, wie von den Industriestaaten als offizielle Entwicklungshilfe gezahlt wird. Der Großteil des privaten Geldtransfers wird dabei gar nicht erfasst: Viele Migranten überweisen das Geld nicht über eine Bank, sondern schicken es mit Freunden und Verwandten oder über private Geldkurierdienste nach Hause.
Bisher wird dieses Geld von den Familien überwiegend für den täglichen Konsumbedarf ausgegeben. Die IOM will das ändern. Durch den Aufbau von Vertrauen zwischen Migranten und den staatlichen Behörden ihrer Ursprungsländer soll mehr Geld in produktive Investitionen fließen. Und auch am Know-How Transfer arbeitet die IOM. Wenn auch in kleinen Schritten: In einem Pilotprojekt auf den kapverdischen Inseln helfen ehemalige Inselbewohner, die jetzt in Belgien leben, beim Bau einer Kläranlage.