Trümmerfeld mit Symbolkraft
20. Januar 2015"Es gib keinen Krieg, den man gewinnen kann." Die Zeile stammt aus dem 1985 veröffentlichten Antikriegslied "Russians" des britischen Rockmusikers Sting. Er verarbeitet darin Musik des sowjetischen Komponisten Sergej Prokofjew. 30 Jahre später steht Prokofjews Name in Zusammenhang mit einem anderen Krieg. Der nach ihm benannte Flughafen im ostukrainischen Donezk ist Schauplatz der Kämpfe zwischen den prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee. Die bisherige Bilanz: Hunderte Tote auf beiden Seiten, eine zerstörte Infrastruktur und kein klarer Sieger. Seit Mitte Januar wird besonders hart gekämpft. Dutzende Panzer und schwere Artillerie sind im Dauereinsatz.
Das Flughafengelände erinnert an apokalyptische Szenen aus Computerspielen: eingestürzte Gebäudeteile, grauschwarze ausgebrannte Trümmer, verbogene Stahlkonstruktionen. Am Montag (19.01.2015) gelang es den Separatisten, Teile des ersten Stockwerks im neuen Terminal in die Luft zu jagen. Eine Woche zuvor brach der Kontrollturm nach einem besonders schweren Beschuss zusammen.
Zwei schicksalhafte Dörfer
Auf der Internetseite des Flughafens merkt man nichts davon. Dort scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Unter der Rubrik "Flughafen heute" sieht man den 2012 anlässlich der Fußball-Europameisterschaft eröffneten neuen Terminal mit seiner gigantischen Glasfassade. Eine kurze Notiz von Ende Mai informiert, dass es keine Flüge gebe und dass der Flughafen unter Kontrolle der ukrainischen Armee sei. Sie führe dort einen "Antiterroreinsatz" durch.
Die ukrainische Regierung in Kiew sagt, es sei auch heute so. Die prorussischen Separatisten jedoch widersprechen. "Wir haben den Flughafen zu 95 Prozent unter unserer Kontrolle", sagte Alexander Sachartschenko, Anführer der selbst ernannten Donezker Volksrepublik. Solche Siegesmeldungen gab es von ihm auch früher. Sie erwiesen sich als verfrüht.
Diesmal scheint es anders. Separatisten haben die Angriffe auf den Flughafen zuletzt deutlich intensiviert und konnten dabei offenbar Erfolge erzielen. Die ukrainische Armee reagierte darauf mit einer Gegenoffensive. Der Ausgang ist noch offen. Die ukrainischen Kämpfer konnten bisher vor allem in unterirdischen Anlagen am Flughafen den schweren Beschuss aushalten. Hart gekämpft wird auch um zwei nahegelegene Dörfer - Piski und Awdijiwka - die bisher von ukrainischen Truppen als Versorgungsrouten gehalten wurden. Dort dürfte sich das Schicksal des Flughafens entscheiden.
Günstige Lage am Stadtrand
Derzeit ist der Flughafen in Donezk der am härtesten umkämpfte Ort im Konflikt in der Ostukraine. Seine Lage macht ihn zu einer Art Schlüssel zu der Millionenstadt Donezk, dem Herzen des Kohlereviers Donbass. Der Flughafen liegt nur zehn Kilometer von der Stadtmitte entfernt und wurde für rund 870 Millionen US-Dollar renoviert. Er konnte dank neuer Landebahn Flugzeuge von fast jedem Typ empfangen. Wegen seiner Näher zu der Separatistenhochburg ist der Flughafen für beide Seiten strategisch wichtig.Die ukrainische Regierung in Kiew will ihn unbedingt halten. "Sollten wir Donezk aufgeben, wird der Feind bei Kiew oder in Lwiw sein", sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko vor Kurzem.
Bereits im April 2014 versuchten die Separatisten zweimal, den Flughafen einzunehmen und wurden zurückgeschlagen. Beim dritten Versuch in der Nacht auf den 26. Mai gelang es ihnen, den neuen Terminal ohne einen Schuss zu besetzten. Es war die Nacht nach der vorgezogenen Präsidentenwahl in der Ukraine, bei der Poroschenko zum neuen Staatschef gewählt wurde.
Doch auch diesmal schlug die ukrainische Armee erfolgreich zurück. Mehr als 100 Separatisten mussten fliehen, die Aufständischen verloren dabei nach eigenen Angaben fast die Hälfte ihrer Kämpfer, die meisten von ihnen aus Russland. "Es war der schlechteste Einsatz", schrieb später ein gut informierter Blogger aus der Separatistenszene. Niemand habe damit gerechnet, dass "die ukrainische Armee aus der Luft den Flughafen angreifen würde, den sie so teuer gebaut hatte."
Kurze Waffenruhe vor Silvester
Nach den im September unterzeichneten Minsker Vereinbarungen über eine Waffenpause zwischen Separatisten und der Regierung in Kiew ist es ruhiger geworden in der Ostukraine. Der Donezker Flughafen blieb jedoch eine der wenigen Ausnahmen. Fast täglich wurde geschossen und gestorben.
Nur kurz vor Silvester gab es eine relative Waffenruhe. Separatisten erlaubten sogar ukrainischen Fallschirmjägern, Nachschub zu den Kämpfern im Flughafen zu liefern und Verwundete abzutransportieren. Jetzt ist damit Schluss.
Ukraine feiert ihre "Cyborgs"
Beide Seiten nutzen den Flughafen auch für Propagandazwecke. Wenn in der Ukraine jemand das Wort "Cyborg" hört, denkt er nicht an die menschähnlichen Kampfroboter aus dem US-Actionstreifen "Terminator", sondern an Kämpfer im Donezker Flughafen. Sie werden seit September in ukrainischen Medien und sozialen Netzwerken als Helden gefeiert. Präsident Poroschenko sagte bei einer Auszeichnung der Kämpfer aus Donezk, man werde über die "Cyborgs" in Geschichtsbüchern lesen.
Auf der Seite der Separatisten versuchte der russische Schauspieler Michail Poretschenkow, der sich gerne als der russische Arnold Schwarzenegger darstellt, sich in die Szene zu setzen. Er ließ sich am Donezker Flughafen beim Schießen auf ukrainische Positionen aus einem großkalibrigen Maschinengewehr filmen.