Flugscham? Fliegen ist in!
17. Dezember 2019Klimawandel. CO2-Einsparung. Greta im Zug. Und dann das: In den nächsten 20 Jahren wird sich die Zahl der Flugzeugpassagiere mehr als verdoppeln, von rund vier Milliarden im Jahr 2016 auf über 9,4 Milliarden 2040. Gleichsam wird die Zahl der Flüge von 35,5 auf etwa 53 Millionen ansteigen. Das zumindest prognostiziert das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in einem weltweit erstmaligen globalen Prognosemodell.
Für das Modell haben die Forscher die Entwicklung von Passagierzahlen, Flotten und Flugbewegungen analysiert sowie Prognosen zum Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum herangezogen. Das Neue an ihrem Ansatz: "Wir berücksichtigen die verfügbaren Flughafenkapazitäten, wie sie heute sind und sich möglicherweise in Zukunft entwickeln.", so Hauptautor Marc Gelhausen. "Das hat Rückwirkungen auf die Passagiernachfrage, auf die Flotten- und Flugbewegungsentwicklung."
Sechs der zehn am stärksten betroffenen Flughäfen in Asien
Treffen ihre Vorhersagen zu, wird es aufgrund der erhöhten Nachfrage an Flughäfen bald zu massiven Kapazitätsengpässen kommen. Einerseits in europäischen und amerikanischen Hubs wie London Heathrow und Atlanta, aufgrund steigender Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahlen maßgeblich aber auch in asiatischen Ballungszonen China, Indonesien und Indien. Das steigende Passagiervolumen könne in Zukunft nur durch eine Anpassung der Flugzeuggröße bewältigt werden. Für 2040 prognostizieren die Autoren eine Kapazitätserhöhung von 111 auf 179 Passagieren pro Maschine.
Was bedeutet das in Zeiten der sogenannten Flugscham? "Wenn mehr Menschen in ein- und demselben Flugzeug sitzen, ist das grundsätzlich erst mal effizienter bezüglich der Pro-Kopf-Emissionen", sagt Ralf Berghof, stellvertretender Institutsleiter und Abteilungsleiter Luftverkehr, "aber es erhöht sich auf der anderen Seite auch das Gewicht des Flugzeugs und damit auch der Verbrauch." Dem Optimum zwischen Auslastung und CO2-Ausstoß wollen die Forscher in einer nun initiierten weiteren Studie auf den Grund gehen.
Immanentes Wachstum
"Es ist nicht Neues, dass der Luftverkehr wächst.", meint Rudolf Dörpinghaus, Präsident der International Asscociation for sustainable Aviation (IASA). "Der Luftverkehr ist eigentlich seit der Entwicklung des kommerziellen Luftverkehrs eine Wachstumsindustrie gewesen. Wachstum ist ein Kernelement des modernen Luftverkehrs." Die neue Herausforderung bestünde vielmehr darin, den Luftverkehr klimafreundlich beziehungsweise perspektivisch klimaneutral zu gestalten.
Handlungsbedarf und -möglichkeiten gäbe es entlang der gesamten Transportkette, also während des Fluges, aber auch davor und danach auf dem Boden. An erster Stelle komme es darauf an, dem Luftverkehr die Möglichkeit zu geben, in neue Technologie zu investieren: "Mit jeder Flugzeug-Generation, die wir haben, sinkt der Kraftstoffverbrauch in der Größenordnung zehn bis fünfzehn Prozent pro Passagier-Kilometer." Viele Airlines seien jedoch nicht in der Lage, immer wieder das neueste Fluggerät zu besitzen.
Synthetisches Kerosin als Hoffnungsträger
Enormes Potential sieht Dörpinghaus in der Substitution des fossilen Kerosins durch synthetische Kraftstoffe: "Die Technik ist da, man muss sie wirklich nur umsetzen." Gemeint ist Power-to-Liquid (PtL), die Herstellung von Kerosin aus erneuerbarem Strom und CO2. Dies allerdings erfordere eine globale Zusammenarbeit, da fossiles Kerosin derzeit viel preiswerter sei als PtL-Sprit, ein Todesurteil im weltweiten Wettbewerb. Gäbe man dem Verfahren eine Chance und führte beispielsweise eine verbindliche Quote ein, wäre PtL in fünf bis zehn Jahren marktfähig, so Dörpinghaus' Prognose.
Notwendig, da sind sich die Akteure einig, ist eine internationale Gesetzgebung. Eine solche versucht die UN-Luftfahrtsorganisation ICAO mit ihrem Konzept "CORSIA" ("Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation"). In diesem haben sich Fluggesellschaften, Flughäfen, Hersteller und Flugsicherungen darauf geeinigt, dass das Wachstum der internationalen Luftfahrt ab 2020 CO2-neutral erfolgen soll. Erreicht werden soll dies durch Investitionen in CO2-senkende Klimaschutzprojekte. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF), der ökologische Verkehrsclub (VCD), Germanwatch, der Naturschutzbund Nabu und der Dachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) kritisieren "Corsia" jedoch als "reine Augenwischerei und völlig unzureichend."