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Flüchtige Raser aus dem All

Frank Grotelüschen24. Dezember 2013

Direkt am Südpol steht IceCube - der größte Teilchendetektor der Welt. Jetzt hat er erstmals "kosmische Neutrinos" aufgeschnappt - und damit das Tor zu einer neuen Art von Astronomie aufgestoßen.

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Blick in ein IceCube-Bohrloch (Bild: IceCube/NSF)
Bild: IceCube/NSF

Neutrinos sind die wohl seltsamsten aller Elementarteilchen. Lichtschnell rasen sie in unvorstellbarer Anzahl durchs All. Doch da sie wie Geister durch Materie hindurchrauschen, bekommt man im Alltag rein gar nichts von ihnen mit. Dennoch wollen Forscher die flüchtigen Winzlinge nutzbar machen - für eine ganz neue Art von Teleskop.

Der entscheidende Durchbruch kommt nun von einem Experiment, das an einem höchst ungastlichen Ort steht, dem Südpol. Dort ist IceCube im ewigen Eis der Antarktis versenkt. Das riesige Gerät hat jetzt erstmals Neutrinos aufgespürt, die tatsächlich aus den Fernen des Alls kommen - und damit den Beweis erbracht, dass das Konzept eines Neutrinoteleskops wie erhofft funktioniert.

Fertig ist der "Eiswürfel" seit 2010. Damals hatten die Physiker mit einem Heißwasser-Bohrer 86 Löcher ins Eis gefräst, jeweils 2,5 Kilometer tief. In jedes Loch wurde ein langes Stahlseil hinabgelassen. Daran hängen, ähnlich wie die Perlen an der Kette, basketballgroße Glaskugeln. Mehr als 5000 von ihnen sind über ein Volumen von einem Kubikkilometer verteilt. Sie fungieren als hochsensible Lichtsensoren und fangen die Signale jener Neutrinos auf, die zufällig im antarktischen Eispanzer "steckenbleiben".

Seltene Lichtblitze

"Wegen ihres geisterhaften Wesens rauschen die meisten Neutrinos durch unseren Detektor hindurch und hinterlassen keinerlei Spuren", sagt Christian Spiering, Physiker am Forschungszentrum DESY in Zeuthen bei Berlin und Mitglied des 250-köpfiger IceCube-Teams. "Aber ganz, ganz selten stößt eines der Teilchen auf einen Atomkern." Dabei entstehen bläuliche Lichtblitze, die von den Glaskugeln aufgeschnappt werden.

Das IceCube-Laboratorium in der Antarktis unter Sternenhimmel (Bild: Felipe Pedreros/IceCube/NSF)
Neutrino-Fahndung in Eiseskälte: IceCube-Labor in der AntarktisBild: IceCube/NSF

Auf diese Weise hat IceCube seit 2010 bereits mehr als 100.000 Neutrinos registriert. Der Haken: Diese Neutrinos stammen aus der Erdatmosphäre. Sie werden erzeugt, weil die Lufthülle unseres Planeten laufend von kosmischer Strahlung aus dem All bombardiert wird. "Eigentlich sind wir hinter einer anderen Art von Neutrinos her", erläutert Spiering. "Teilchen, die nicht der Erdatmosphäre erzeugt worden sind, sondern von viel weiter her kommen."

28 flüchtige Zeugen

"Kosmische Neutrinos", so nennen die Experten diese Geisterteilchen aus den Fernen des Universums. Sie entstehen bei kosmischen Gewaltakten, etwa wenn ein Schwarzes Loch durch seine unvorstellbare Schwerkraft die Materie um sich herum ansaugt und dann verschluckt. Oder wenn ein Stern am Ende seines Lebens mit ungeheurer Wucht explodiert und zur Supernova wird. Gelänge es, die dabei entstehenden Neutrinos aufzufangen, ließen sich ganz neue Details, zum Beispiel über Schwarze Löcher und Supernovas, herausfinden - Informationen, an die man mit herkömmlichen Teleskopen nicht herankommt.

IceCube konnte nun die ersten kosmischen Neutrinos aufschnappen, 28 an der Zahl - ein Durchbruch für die Physiker. "Damit haben wir ein neues Beobachtungsfenster zum Kosmos aufgestoßen", freut sich Christian Spiering. Denn jetzt können die Fachleute hoffen, neue Details über die extremsten Phänomene im All zu erfahren. Erlauben bereits die 28 Neutrinos, die IceCube bisher aufgestöbert hat, irgendwelche Rückschlüsse? Spannend wäre es insbesondere, wenn mehrere Neutrinos aus derselben Richtung kämen.

Mehr Daten gefragt

Tatsächlich registrieren die Forscher einen kleinen Überschuss aus jener Richtung, in der das Zentrum der Milchstraße liegt. "Aber der ist noch nicht signifikant", sagt Spiering. "Die Möglichkeit, dass es sich nur um statistische Ausreißer handelt, ist noch ziemlich groß. Um Klarheit zu bekommen, müssen wir noch ein bis zwei Jahre warten und weitere Daten nehmen."

Doch zuvor wollen Spiering und seine Kollegen erst mal feiern. Die Erleichterung nämlich ist groß. Denn dass IceCube tatsächlich in der Lage ist, kosmische Neutrinos aufzuspüren, war nicht unbedingt garantiert. "Zwischendurch haben wir auch schon mal die Hoffnung verloren", gibt Spiering zu. "Dass es jetzt geklappt hat, ist natürlich ein Grund, die Sektflaschen zu öffnen."