Flüchtlinge als Unternehmer
3. August 2016"Wir sind immer Geschäftsleute gewesen", sagt Hiba Albassir fast empört. So viel Vehemenz überrascht bei der kopftuchtragenden, dezent gekleideten Mittvierzigerin. Aber hier spricht eine erfahrene Unternehmerin. In Damaskus hatte sie mit ihrem Mann Khaled Karimo ein gut gehendes Geschäft für exquisite Gartenmöbel. Eigenes Design, eigene Produktion, dazu noch einen Großhandel für Holzbügel. Vor zwei Jahren ist das Ehepaar mit dem Sohn aus Syrien geflohen.
Ihre Möbel konnten sie nach Deutschland retten. Seit Anfang des Jahres haben sie im Süden Berlins einen neuen Laden: Khashabna heißt er, "unsere Möbel" (Artikelbild). "Wir wollten hier nicht auf einen Job warten und Geld vom Staat kriegen", sagt sie. "Wir wollten etwas machen". Doch ohne die Hilfe von deutschen Freunden wäre das unmöglich gewesen, betont die rührige Geschäftsfrau.
Gerade bei Geflüchteten besteht eine "überdurchschnittlich hohe Gründungseignung", das hat das Wirtschaftsministerium gerade in einem Bericht im Juli festgestellt. Ein neues Programm will sogenannte "Gründerpaten" fördern.
Erfahrene deutsche Unternehmer lassen Flüchtlinge hospitieren und stehen ihnen dann bei der Gründung eines eigenen Unternehmens zur Seite. Die vielen potenziellen Neugründer brauchen professionelle Unterstützung, das sieht auch Maik Leonhardt von der Berliner Industrie- und Handelskammer.
Durchblick durchs deutsche Steuerrecht
Seit Februar gibt es dort eine "Start-up-Class" für Geflüchtete. Einen Tag lang werden sie ins deutsche Steuer- und Unternehmensrecht eingeführt und erhalten Marketing-Tipps. Das Interesse ist groß, über 70 Teilnehmer, meist Syrer, haben an den bislang vier Terminen teilgenommen.
Da die meisten schon in ihrer Heimat selbstständig waren, müsse man nicht ganz von vorne anfangen. "Die Fragen sind sehr spezifisch", berichtet IHK-Fachmann Leonhardt. Das größte Problem sei die regelmäßige Supervision anschließend, die könne die IHK nicht leisten. Und natürlich das Gründungskapital. Viele hätten alles verloren, die Familie und private Netzwerke als Kapitalgeber seien weggefallen. Und da die Geflüchteten nur eine begrenzte Aufenthaltsgenehmigung haben, bekämen sie keinen Bankkredit.
Ein Problem, mit dem sich auch Salma Alamarchi herumschlägt. Die Wirtschaftswissenschaftlerin möchte ein syrisches Restaurant aufmachen. In ihrer Heimat war sie Immobilienmaklerin. In Berlin lernt sie seit drei Jahren Deutsch und gibt ihre Kenntnisse ehrenamtlich an syrische Frauen in Flüchtlingsheimen weiter.
"Viele sind fast Analphabetinnen. Auf dem Arbeitsmarkt haben sie keine Chance, aber sie können großartig kochen", erzählt sie. In ihrem Restaurant könnten sie genau diese Fähigkeiten einbringen und würden ihr eigenes Geld verdienen. Von ihrer Geschäftsidee ist die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern überzeugt. Doch bislang hat sie keinen bezahlbaren Laden in Berlin gefunden.
"Die meisten verlangen mindestens 20.000 Euro Ablöse", sagt sie, das schaffe sie nicht. Ein Cousin in Polen würde sie bei der Geschäftsgründung unterstützen, aber so viel Geld habe auch er nicht. "Ich wäre schon mit einem kleinen Imbiss zufrieden, aber das Essen muss gut sein", betont sie. Bis sie einen Laden gefunden hat, will sie Geld mit Catering verdienen. "Ich habe immer gearbeitet und werde das auch weiter machen", erklärt sie selbstbewusst.
Der Geschmack der syrischen Heimat
Hassan Jesry hatte Glück. In Damaskus hat er Elektrotechnik studiert. Jetzt führt er mit drei syrischen Partnern das Schnellrestaurant Aldimashqi im arabisch geprägten Südosten Berlins. Der bisherige Eigentümer, ein Palästinenser, hatte auf die Ablöse verzichtet.
"Wir haben jeder 5000 Euro investiert, die Geräte sind gebraucht, und Freunde haben beim Umbau mitgeholfen", erklärt der Anfang Dreißigjährige. Die meisten Angestellten hätten schon in Damaskus im Restaurantbetrieb gearbeitet, das sei ein großer Vorteil.
Es ist Anfang der Woche, früher Nachmittag. Der Laden ist voll. "Viele syrische Flüchtlinge kommen hierher, weil ihnen das Essen in den Heimen nicht schmeckt", lacht Jesry.
Es sind die sogenannten kapitalarmen Branchen, Dienstleistung und Handel, in denen Geflüchtete meist ihr Glück versuchen, heißt es offiziell. "Genaue Zahlen oder nach Nationalität differenzierte Angaben gibt es bislang aber nicht", sagt Maik Leonhardt von der IHK. In seinen Start-Up-Klassen seien aber Teilnehmer aus ganz verschiedenen Branchen gewesen, Architekten etwa oder Mediendesigner. Doch die Gründungstätigkeit sei noch ziemlich am Anfang.
Bislang gibt es nicht viele seriöse oder institutionelle Beratungsangebote für Geflüchtete. Manche holen sich Ratschläge in der Community und den sozialen Netzwerken. Doch die wissen häufig nicht gut genug Bescheid über rechtliche Belange der deutschen Bürokratie.
Eine App für den Behördenwahnsinn
"Sprechen Sie Deutsch!", diesen Satz hat Omar Alshafai ständig bei den Behörden gehört. "Da war ich drei Monate in Deutschland und konnte noch kein Deutsch", erzählt er. Das sei eine absurde Situation gewesen. Anträge, Informationen, alles auf Deutsch.
Während eines Workshop der Berliner ReDi-School entstand die Idee zu der App 'Bureau-crazy'. Mit anderen bürokratiegeplagten Geflüchteten erarbeitete er ein arabisch-deutsches Übersetzungsprogramm für die zahlreichen offiziellen Formulare. Und eine GPS-gesteuerte Karte mit den wichtigsten Anlaufstellen für Neuankömmlinge. Jetzt sucht das Team einen Investor für die konkrete Entwicklung und Vermarktung der App.
Der studierte Elektrotechniker weiß nicht genau, ob er sich wirklich selbstständig machen will. In Syrien hatte er einen Computerladen und war auch Programmierer. Jetzt hat er sich erst mal für eine Ausbildung bei Siemens beworben. "Trotzdem möchte ich die App auf den Markt bringen, bevor andere die gleiche Idee haben", sagt er.
Die Politik ist gefragt
Investorensuche, Marketing, Kapitalsuche - mit diesen Problemen kämpfen alle Neu-Unternehmer, doch Geflüchteten fällt das ungleich schwerer. Hila Albassir wünscht sich mehr Unterstützung durch Politik und Banken. "Ich weiß nicht, warum das so schwierig ist in Deutschland", sagt sie. "Sie wollen doch mehr Unternehmer hier. Wenn man einen Businessplan vorlegt, dann gibt es doch Kriterien, ob der gut ist oder nicht."
Sie schüttelt den Kopf. Noch kann sie ihren Möbelladen halten, aber sie weiß nicht wie lange noch. "Wenn wir keine weitere Finanzierung finden, müssen wir schließen. Das wäre sehr schade."