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Flüchtlinge kickend integrieren

Monika Griebeler7. September 2015

Mit 16 flüchtete Hadi aus dem Iran. In Deutschland fand er ein Zuhause - auch sportlich, beim ESV Neuaubing. Sein Team ist die erste Flüchtlingsmannschaft Bayerns, die regulär in der Amateurliga um Punkte spielt.

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Integration von Flüchtlingen beim ESV Neuaubing
Bild: DW/M. Griebeler

"Servus!" sagt Hadi Mirzaee und grinst breit. Er gibt Trainer Olaf Butterbrod die Hand, drückt ihn kurz an sich - so herzlich wie vor ihm schon seine Mitspieler Amar, Sarbast und Jalil. "Servus!" Dann ab in die Kabine, fertig machen für's Training. Eben wie eine normale Fußballmannschaft in Bayern. Zumindest: fast.

Viele Fußballvereine nehmen inzwischen Spieler auf, die aus ihrer Heimat geflüchtet sind. Hier ist es aber gleich ein ganzes Team: Die meisten Spieler sind geflüchtet vor Krieg und Verfolgung in Afghanistan, im Irak, Iran oder Eritrea. Und so ist der ESV Neuaubing die erste Flüchtlingsmannschaft Bayerns, die am Liga-Betrieb teilnimmt.

Die Mannschaft als Rettung

An diesem Septemberabend ist Hadi kalt und dann nieselt es auch noch. Besser schnell loslegen. Wie ein junges Fohlen stürmt der 18-Jährige über den Platz, spielt den Ball mit der Hacke in die Luft, köpft ihn, rennt hinter. Ein Pfiff. "Erstmal aufwärmen", sagt Trainer Olaf Butterbrod und lässt die Jungs in Zweierpaaren Pässe üben. "Spielt euch sicher zu, das ist das Wichtigste!"

Integration von Flüchtlingen beim ESV Neuaubing
Hadi Mirzaee, Flüchtling und Fußballer, beim Training mit seiner Mannschaft ESV NeuaubingBild: DW/M. Griebeler

Sicherheit, genau das fehlte Hadi in seinem alten Leben. Er wurde zwar im Iran geboren, aber seine Eltern waren Flüchtlinge aus Afghanistan, ohne richtige Papiere. In seinen Albträumen geht es bis heute deshalb nicht um die vielen Toten, die er auf seiner Flucht gesehen hat. Stattdessen, erzählt er, träume er "von all dem Schlechten, was im Iran passiert ist."

Mehrfach wurde er verhaftet, geschlagen, schikaniert. "Ich wollte nicht mehr leben. Ich war depressiv. Aber dann, langsam, langsam wurde es besser - bis das nächste Schlechte passiert ist."

Sein Vater und er beschließen: Du musst weg von hier, nach Europa. Sie sparen 5000 Euro und er geht. Flüchtet mit der Hilfe von Schleppern durch die Türkei und Griechenland über die Westbalkanroute nach Deutschland. "Als ich in München angekommen bin, war ich ganz alleine", erzählt er. Anderthalb Jahre ist das jetzt her. Dann traf er Olaf Butterbrod und die Mannschaft.

Sie erzählen von Bombenanschlägen und toten Kindern

Vor dreieinhalb Jahren hat der 45-Jährige begonnen, mit Flüchtlingen Fußball zu spielen, zuerst auf einem Kleinfeld im Englischen Garten, jetzt auf dem Rasenplatz des Vereins. Zwei Mal die Woche wird trainiert und am Wochenende gespielt in der Amateurliga.

"Wenn ich zuhause alleine bin, dann muss ich an die alten Sachen denken. Das gefällt mir nicht. Aber beim Fußball haben wir Spaß", sagt Hadi und schaut zu seinen Freunden. Die dehnen sich gerade.

Integration von Flüchtlingen beim ESV Neuaubing
Zu den Spielen der Neuaubinger kommen neben alteingesessenen Zuschauern auch andere FlüchtlingeBild: DW/M. Griebeler

Butterbrod macht den gut 20 Spielern die Übungen vor, erklärt sie langsam auf Deutsch. Wenn jemand nicht folgen kann, übersetzen die Teamkollegen. Es geht laut zu und lustig: Sarbast versucht, seinen Nachbarn aus der Balance zu schubsen. Hadi schielt die ganze Zeit mit einem Auge auf den Ball.

Auch wenn es auf dem Platz vor allem um Fußball geht, erzählten die Jungs hin und wieder von früher, sagt Trainer Butterbrod: "Dann ist von Bombenanschlägen in Afghanistan die Rede, von Angehörigen, die vom IS umgebracht wurden. Das ist ganz einfach krass." Er hilft seinen Spielern auch bei Behördengängen, geht mit ihnen in Ausstellungen oder zu Spielen von Bayern München.

Nachwuchssorgen wie die deutsche Wirtschaft

Aber nicht nur die jungen Männer profitieren, auch für den ESV war es eine kleine Rettung: Denn die Fußballabteilung des Vereins plagten Nachwuchssorgen, wie sie auch die deutsche Wirtschaft kennt. Der Verein löste es pragmatisch: Er hat sich sein Team geholt, zusammengestellt aus den Menschen, die nach Deutschland gekommen sind in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

"Vorbehalte - sollte es sie jemals wirklich gegeben haben - waren ruckzuck ausgeräumt. Meine Jungs treten hier super auf, sind höflich und zuvorkommend wie immer", sagt Trainer Butterbrod. Und andere Abteilungen wie Gewichtheben oder Tennis haben schon gefragt, ob Butterbrods Team nicht mal zum Probetraining kommen will.

In der Mannschaft sind auch drei deutsche Nachwuchsspieler. Dem Trainer ist das wichtig: "Integration ohne deutsche Sprache funktioniert nicht. Das sind Spieler, an denen sich die anderen Jungs orientieren können, auch sprachlich."

Inzwischen hat - endlich - das Trainingsspiel begonnen: Hadis Team in grünen Leibchen mit der Aufschrift "Kamerun" gegen rote "Spanier". Ein buntes Gewusel. "Noch einmal, noch einmal", "Komm, mach mit", "Pass Kollege!" hallt es über den Rasenplatz. Die Spieler rufen, lachen, fluchen. Auf Deutsch, Dari, Persisch.

Auch Fußballer können abgeschoben werden

"An meinem ersten Tag bei der Mannschaft konnte ich nur sagen: Hallo, Servus, wie geht's dir, gut, danke dir - und fertig", sagt Hadi - inzwischen in fast fließendem Deutsch. Er geht zur Schule, macht gerade in den Ferien ein Praktikum als Einzelhandelskaufmann.

Integration von Flüchtlingen beim ESV Neuaubing
Trainer Olaf Butterbrod inmitten seiner Schützlinge. Er hat die Flüchtlingsmannschaft vor dreieinhalb Jahren gegründet.Bild: DW/M. Griebeler

Auch für die Mannschaft läuft es gut bisher: Die ersten beiden Liga-Spiele haben sie gewonnen, 4:2 und 3:2. Mehrfacher Torschütze: Hadi. Auch das allererste Liga-Tor der Saison hat er erzielt: Nach einem Pass in die Spitze rennt er seinem Gegenspieler davon, ein kurzes Dribbling, ein Blick. Dann schießt er von der Strafraumgrenze, dass die trockene Erde nur so staubt. Tor! "Ja, Mann!" ruft er, wie immer nach einer gelungenen Aktion.

Für manche aus dem Team kann der Traum jedoch schlagartig zu Ende sein. Zwar haben die meisten einen Aufenthaltstitel. Aber einer von Hadis Mitspielern soll bald abgeschoben werden. Ein anderer Spieler wurde bereits von der Polizei abgeholt, saß im Flugzeug, da schnitt er sich die Pulsadern auf. Er überlebte. Auch Hadi hat keinen gesicherten Status.

Der Sport im Team hilft den Jungs, mit Schwierigkeiten wie diesen umzugehen: Hadi hat hier Freunde gefunden, etwas zu tun - und auch neue deutsche Wörter gelernt: "Anschuss. Verteidiger. Torwart. Und: Zusammenarbeiten", sagt er und grinst.