Folter-Skandal kein Einzelfall
26. Juli 2018Ihr genauer Aufenthaltsort ist geheim. Irina Birjukowa, Anwältin der russischen Menschenrechtsorganisation "Public Verdict", hat Russland verlassen müssen, berichten ihre Kollegen auf Facebook. Zuvor hatte sie der Zeitung "Nowaja Gaseta" ein Video übergeben, in dem zu sehen ist, wie in einem russischen Gefängnis ein Insasse gefoltert wird.
Bevor Birjukowa das Land verließ, schrieb sie dem Chef des Ermittlungskomitees der Russischen Föderation, Alexander Bastrykin, dass "einige Personen, die in dem Video vorkommen, mit Rache drohen". Auch Vertreter von "Public Verdict" befürchten Vergeltungsaktionen gegen Birjukowa. Sie selbst bittet die russischen Behörden um Schutz für sich und ihre Familie. Solange ihr Antrag geprüft wird, will sie im Ausland bleiben.
Untersuchungen eingeleitet
Das von der "Nowaja Gaseta" veröffentlichte Video wurde innerhalb einer Woche im Internet über 2,3 Millionen Mal aufgerufen. Die Redaktion weist darauf hin, dass es Gewaltszenen enthält und warnt: "Menschen mit einer unausgeglichenen Psyche, Schwangeren und Minderjährigen wird abgeraten, das Video anzusehen."
Die Aufnahmen zeigen, wie der Gefangene Jewgenij Makarow in der Haftanstalt Nr. 1 der Region Jaroslawl von Wärtern gequält wird. Er liegt mit dem Gesicht nach unten auf dem Tisch und wird mit Schlagstöcken geprügelt. Aus einem Eimer wir ihm Wasser über den Kopf gegossen. Der Zeitung zufolge wurde das Video bereits Ende Juni 2017 aufgenommen.
Zeitgleich mit dem Video veröffentlichten die Menschenrechtsaktivisten von "Public Verdict" auf Facebook die Namen der beteiligten Wärter. Das Ermittlungskomittee leitete daraufhin Strafverfahren wegen Amtsmissbrauchs mit Gewaltanwendung ein, und die Strafvollzugsbehörde der Region Jaroslawl untersuchte den Fall. 17 Mitarbeiter des Gefängnisses, die im Video identifiziert werden konnten, sind inzwischen vom Dienst suspendiert. Sieben Personen wurden festgenommen.
Kritik an Staatsanwaltschaft
"Public Verdict" teilte mit, die Anwältin Birjukowa habe auch die russische Generalstaatsanwaltschaft gebeten, ihre Abteilung in der Region Jaroslawl einer Prüfung zu unterziehen. Denn die regionalen Ermittlungsbehörden hätten sich wiederholt geweigert, Verfahren wegen des Verdachtes auf Folter in dem Gefängnis einzuleiten. "Trotz wiederholter Beschwerden des Opfers wurden in anderthalb Jahren keine Verstöße festgestellt", so die Menschenrechtsorganisation.
Außerdem bat Birjukowa das Ermittlungskomitee der Russischen Föderation, die Untersuchungen im Fall Jewgenij Makarow von Jaroslawl nach Moskau zu verlegen. Nach Informationen, die "Public Verdict" vorliegen, soll der in Jaroslawl zuständige Ermittler mit einem in dem Folter-Video zu sehenden Gefängniswärter verwandt sein.
Menschenrechtsbeauftragter schaltet sich ein
Sergej Baburkin, Menschenrechtsbeauftragter der Region Jaroslawl, erfuhr Anfang Juli 2017 von dem Fall. "Ich bin zum Gefängnis gefahren und habe mit der Leitung gesprochen. Mir wurde gesagt, es habe körperliche Gewaltanwendung gegeben und alles sei aufgenommen worden", sagte Baburkin der DW. Im Gefängnis habe er auch mit Makarow selbst sprechen können. Nach Angaben von Baburkin fürchtet Makarow heute um sein Leben.
Etwa ein Fünftel der Beschwerden, die Baburkin letztes Jahr erreichten, betrafen die Rechte von Strafgefangenen. "2017 erhielt ich 456 Beschwerden. Über ein Viertel richtete sich gegen Mitarbeiter des Strafvollzugs", so Baburkin. Es gehe dabei sowohl um körperliche als auch um seelische Verletzungen. Doch es sei schwierig, die Informationen zu überprüfen. Gefangene würden oft schlecht behandelt und nach Drohungen ihre Beschwerden zurückziehen. "Ich sehe auf dem Körper blaue Flecken und der Gefangene sagt mir, er sei gefallen. So etwas erschwert natürlich die Kontrolle des Strafvollzugs", sagte Baburkin.
"Folter in Russland beenden"
Auch die russische Journalistin und Bürgerrechtlerin Olga Romanowa wünscht sich eine Beobachtung und Kontrolle des Strafvollzugs. Es handele sich um ein völlig intransparentes System. "Es schottet sich immer mehr ab, wegen der totalen Korruption. Damit nichts nach außen dringt, wird gefoltert", sagte sie der DW. Folter sei in Russlands Gefängnissen alltägliche Praxis.
Romanowa leitet die Gefangenenhilfsorganisation "Rus Sidjaschaja" (Sitzendes Russland). Auch sie hat Russland verlassen, nachdem im Sommer letzten Jahres ihr Büro durchsucht worden war. Seit September 2017 hilft Romanowa von Berlin aus Gefangenen in Russland. Sie sagte, in Russland gebe es viele Fälle von Folter, die auch öffentlich bekannt seien. Doch der Fall in Jaroslawl habe nun die Aufmerksamkeit der russischen und internationalen Öffentlichkeit auf das Problem gelenkt.
Ihr zufolge reicht es aber nicht, nur die "Kleinen" zu bestrafen. "Im Video sind 18 Personen zu sehen, daher müssen mindestens 18 bestraft werden", sagte sie. Doch auch die Gefängnisleitung und die Verantwortlichen in den Behörden müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Der Fall Makarow werde nicht erlauben, das Thema völlig zu begraben. "Unsere Aufgabe ist, die Folter in Russland zu beenden", betonte sie.