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Politik

Folteropfer der Franco-Diktatur klagt an

Santiago Saez (Madrid)
27. Juni 2017

Mehr als 40 Jahre nach dem Ende der Regierungszeit des spanischen Diktators Franco wird jetzt erstmals eine Klage gegen einen brutalen Vernehmer des Regimes eingereicht. Weitere Opfer wollen ebenfalls klagen.

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Spanien - Opfer der Franco-Dikatur streben Sammelanklage an
Bild: Carlos Serrano

Im Sommer 1973 wurde Luis Suárez-Carreno abgeholt. Er wusste, was kommen würde: Drei Tage lang wurde er von Antonio González Pacheco gefoltert, einem berüchtigten Schergen der Franco-Diktatur, auch Billy the Kid genannt. Jetzt hat Suárez-Carreno die erste Klage gegen González Pacheco und zwei weitere Folterer der Franco-Ära bei Gericht eingereicht.

"Dies ist ein kleines Ereignis, aber es bedeutet eine Menge, weil wir uns gegen ein Regime stellen, das uns nahelegt, wir sollten die Verbrechen der Franco-Zeit vergessen. Es geht hier um mehr als um Gerechtigkeit. Wir versuchen, die mangelhafte Demokratie zu reinigen. Heute kann unser Land beginnen, seine Würde wiederzuerlangen", sagte Suárez Carreno in einer Stellungnahme.

Routinemäßig gefoltert

"Ich wurde drei Tage lang festgehalten und zusammengeschlagen. Sie ließen mich kaum schlafen. Ständig holten sie mich aus der Zelle, ließen mich rauf und runter zu irgendwelchen Büros laufen und wieder zurück, um mich fertigzumachen. Ich verlor die Orientierung", berichtet Carreno. "Es waren heiße Tage im Sommer, aber sie zwangen mich, Wintersachen zu tragen, aber sie gaben mir kein Wasser. Dann schlugen sie mich wieder, dann musste ich wieder raufgehen, dann wieder runter, drei Tage lang."

Die Folter war nicht nur körperlich. "Sie versuchten, uns zu zermürben, immer auf der Suche nach unseren Schwachstellen", sagt Suárez-Carreno der Deutschen Welle. Doch der wahre Schrecken kam, als sie seine Frau verhafteten. "Sie war noch sehr jung, und ich hatte Angst, was sie mit ihr machen würden." Am Ende sei der einzig mögliche Weg aus der Zelle gewesen, das Geständnis zu unterschreiben, das für ihn schon aufgesetzt war.

Spanien - Opfer der Franco-Dikatur streben Sammelanklage an
Folteropfer Suárez-Carreno: "Unser Land kann langsam seine Würde wiedererlangen"Bild: Carlos Serrano

"Wir alle wussten, dass das Routine war, wenn dich die 'sozialpolitischen Brigaden' verhafteten. Ihre Grausamkeit hing oft davon ab, ob sie glaubten, du hättest für sie nützliche Hinweise. Manchmal war ihre Grausamkeit aber auch willkürlich", so Suárez.

Jacinto Lara, Suárez' Anwalt, sagte der Deutschen Welle, die Fakten würden keineswegs angefochten. "Es ist eine anerkannte Tatsache, dass Antonio González politische Dissidenten systematisch gefoltert hat. Niemand bestreitet das. Aber früher stellte der spanische Staat den juristischen Status der Verbrechen infrage und blockierte so Versuche, die Täter vor Gericht zu stellen."

Amnestie und Straffreiheit  

Spanien gedachte kürzlich des 40. Jahrestages der Wiedererrichtung der Demokratie. Die ersten demokratischen Wahlen nach dem Ende der Franco-Ära fanden 1977 statt. Doch für Suárez und seinen Anwalt bestehen die Strukturen des alten Regimes fort und stehen hinter "einem aktiven politischen Boykott" aller Versuche, die Vorgänge der Franco-Zeit gerichtlich aufzuarbeiten.

Bislang sind spanische Gerichte den Verbrechen, die der Franco-Diktatur vorgeworfen werden, nicht nachgegangen. 2008 leitete der Richter Baltasar Garzón ein Verfahren ein, stieß jedoch auf erbitterten Widerstand seiner konservativen Kollegen. Der damalige Generalstaatsanwalt nannte Garzóns Versuch "rechtlichen Unsinn", da alle angeblichen Verbrechen unter die Amnestie von 1977 fielen. Garzón wurde schließlich sogar Rechtsbeugung vorgeworfen.

Nach Meinung Laras stellt das Amnestiegesetz jedoch keine Hürde dar: "Wir reden hier über Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die unter keine Amnestie fallen. Es geht um abscheuliche Dinge, die den Kern der Menschenrechte berühren." Um diesen Zusammenhang zu untermauern, ist der Klageschrift ein von vier Historikern unterzeichnetes Gutachten beigefügt. Diese Position wird auch vom UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, Pablo de Greiff, unterstützt, der 2014 erklärte, das Amnestiegesetz sei unvereinbar "mit den internationalen Verpflichtungen Spaniens einschließlich des internationalen Abkommens über bürgerliche und politische Rechte".

Still - Fokus Europa - Spanien
Spuren aus der Franco-Zeit: Diese Straße trägt immer noch den Namen eines Franco-GeneralsBild: DW

Nach Garzóns erfolglosem Vorstoß im Jahr 2008 versuchten es einzelne Opfer und Opferverbände mit Klagen auf der Basis des Völkerrechtes. In Buenos Aires ging eine Sammelklage gegen eine Reihe von Folterern und ranghohen Offizieren, darunter González Pacheco, ein. 2010 verlangte die argentinische Richterin Maria Servini deren Auslieferung. Doch die spanische Justiz lehnte ab mit der Begründung, die Vorwürfe stünden nicht im Zusammenhang mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Suárez-Carrenos Anwälte haben die Passivität der spanischen Justiz nach der Ablehnung der Auslieferung kritisiert. "Nach dem Völkerrecht hat ein Staat, der eine Auslieferung wegen des Vorwurfs eines völkerrechtlichen Verbrechens ablehnt, die Pflicht, den Angeklagten selbst vor Gericht zu stellen", sagt Lara.

Optimismus bis zuletzt

Für Suárez-Carreno geht die Klage über einzelne Verbrechen hinaus. Straffreiheit sei mehr, als die Opfer im Regen stehen zu lassen, sagt er. Es gehe den Reaktionären darum, die Geschichte umzuschreiben. Er befürchtet allerdings, dass eine reingewaschene Geschichte der Franco-Zeit die wahren Ereignisse ersetzen würde, wenn erst die letzten Zeugen gestorben sein würden.

Trotzdem bleibt er optimistisch. "Nach Francos Tod gingen die linken Parteien und Bewegungen mit ihrer Forderung nach Gerechtigkeit nicht weit genug. Spanien stand unter Druck. Man hatte Angst, das Land werde zur Diktatur zurückkehren, deswegen wurden Kompromisse gemacht", sagt Suárez-Carreno. Das sei heute anders. Die jungen Leute hätten keine Angst mehr, und sie nähmen es nicht mehr hin, dass sie die Gerechtigkeit vergessen sollen. "Gerechtigkeit ist aber der Schlüssel, um festzustellen, was wirklich geschah, und um zu vermeiden, dass die Geschichte neu geschrieben wird. So wie bei den Nürnberger Prozessen wird uns die Gerechtigkeit die Wahrheit bringen."