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Teilen statt wegschmeißen

Rayna Breuer23. Januar 2013

Berge von Lebensmitteln landen in Deutschland täglich auf dem Müll. Gegen diese Wegwerf-Mentalität und für einen Sinneswandel spricht sich die Plattform foodsharing.de aus - und bietet eine Tauschbörse für Lebensmittel.

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Müllcontainer voller Lebensmittel Foto: Arne Lichtenberg
Münster MülltauchenBild: DW

Der Mensch - eine reine Wegwerfmaschine! Wir kochen in zu großen Mengen, horten Lebensmittel für den Fall der Fälle, kaufen viel zu viel ein, verwerten Essensreste nicht - etwa 80 Kilogramm Lebensmittel schmeißt jeder Deutsche im Jahr weg. Dagegen macht die neue Online-Plattform foodsharing.de mobil und will Menschen zum Umdenken bringen. Essen mit Fremden teilen - so heißt der neue Trend.

Gegen den Verfall der Esskultur

Von wegen Egoist, der Mensch hat das Teilen für sich entdeckt. Autos, Fahrräder, Bilder, Büroräume - die Ökonomie des Teilens ist auf dem Vormarsch. Wieso jetzt auch nicht das Essen tauschen, dachten sich die Macher von foodsharing.de und riefen vor einem Monat die Plattform foodsharing.de ins Leben. Einer der Mitbegründer ist der bekannte Dokumentar-Filmer Valentin Thurn. Sein Film "Taste the Waste" (2011) rechnet mit einer Gesellschaft ab, die im Überfluss lebt und den Wert eines einzelnen Apfels etwa nicht mehr zu schätzen weiß: "Als der Film in die Kinos kam, haben uns viele kleine Bäcker angerufen, die uns fragten, was sie denn nun mit den vielen übergebliebenen Brötchen machen können", erzählt Thurn. So ist die Idee von foodsharing.de entstanden.

Der Journalist und Filmemacher Valentin Thurn - In seinem Film "Taste the Waste" dokumentiert der Journalist unsere Verschwendung von Nahrungsmitteln und geht ihren globalen Auswirkungen nach, aufgenommen am 18.09.2011 in Köln. Foto: Horst Galuschka August 2011).
Journalist und Filmemacher Valentin ThurnBild: picture-alliance/dpa

Jeder, ob Privatperson oder Unternehmer, kann sich einfach online anmelden und einen Essenskorb erstellen, wo er die Ware beschreibt, die er nicht gebrauchen konnte und anderen kostenlos anbieten möchte. Was und in welcher Stadt zum Abholen bereit steht, lässt sich auf der Internetseite mithilfe einer interaktiven Karte herausfinden. Dann werden E-Mails ausgetauscht, der Treffpunkt ausgemacht, und schon ist der Tausch elektronisch besiegelt. Wer nicht Wildfremde zu sich einladen möchte, kann die Ware auch an einem foodsharing-Hotspot abgeben. Klingt modern, ist dabei aber nur ein ganz normaler Schrank mitten in der Stadt, wo Menschen die Lebensmittel hinbringen und abholen können.

"Wenn ich durch die ganze Stadt fahren muss, um ein Kilo Kartoffeln abzuholen, ist der ökologische nutzen abhanden gekommen", sieht Valentin Thurn ein. "Wir wollen deshalb zehnmal so viele Mitglieder haben. Dann kann es auch in der Nachbarschaft funktionieren." Ein realisierbares Ziel - immerhin zählt die Plattform nach vier Wochen schon über 5000 Mitglieder.

Erst denken, dann kaufen und schließlich genießen

"Ich habe Propolis-Pulver, das von Bienen hergestellt wird und als Naturheilmittel gilt, eines Tages gekauft. Leider musste ich ziemlich schnell festgestellt, dass ich dagegen allergisch bin", erzählt Ute Kos, Verwaltungsangestellte im öffentlichen Dienst. "Weil das Pulver sehr teuer war, habe ich mich dann entschieden, es über foodsharing.de anzubieten. Es wäre sonst zu schade zum Wegwerfen." Zum ersten Mal hat sie etwas über die Plattform angeboten, von der Idee ist die Mittvierzigerin überzeugt: "Ich würde zwar nicht auf die Idee kommen, eine Sahnetorte dort einzustellen, weil sie vom Geburtstag übriggeblieben ist, aber ich werde auf jeden Fall weiter den Dienst nutzen, und auch vielleicht selber von anderen Anbietern was abholen gehen".

Ute Kos, Verwaltungsangestellte im öffentlichen Dienst aus Köln, Mitglied bei foodsharing.de (Foto: DW)
Ute Kos, Mitglied bei foodsharing.deBild: DW/R.Breuer

Auch Valentin Thurn stellt Essenskörbe auf der Plattform ein - neulich erst sehr schmackhafte, aber nicht lagerfähige Äpfel. "Ich war schon immer umweltbewusst, aber bevor ich mich mit dem Thema intensiver beschäftigen konnte, habe ich die Umweltauswirkungen von Lebensmitteln unterschätzt", sagt Thurn. Dabei ist der Energieaufwand, der in der Herstellung von Essen steckt, enorm: "Die Produktion unserer Lebensmittel verursacht 30 Prozent aller Klimaemissionen. Wir müssen natürlich irgendwie leben, aber wir müssen nicht die Hälfte wegschmeißen."

Zurück zur Natur finden

Das Essen wieder schätzen lernen, wissen, mit wie viel Arbeit, Mühe und Schweiß das produziert wurde - das könnte den jetzigen Verfall der Essenskultur aufhalten, denkt Thurn. Doch am Ursprung des Problems stehe die Entfernung von uns Verbrauchern zu den Erzeugern. "Wir sind so lange vom bäuerlichen Dasein, vom Land weg, dass wir verlernt haben, was gut und schlecht ist. Wer auf dem Land aufwächst, der vertraut seinen Sinnen und kann beurteilen wenn die Milch umkippt. Das traut sich der moderne Verbraucher nicht selber zu, er verlässt sich auf das Datum, was nichts mit Qualität zu tun hat, sondern mit optischen Eigenschaften", beobachtet Thurn. Er kritisiert den "kosmetischen Perfektionszwang", wonach nicht der Geschmack, sondern meist das Aussehen und der Preis an erster Stelle stehen.

Denn sie wissen nicht, was sie tun

Irgendwie schizophren, denkt Thurn. "Eigentlich wirft keiner gerne weg. Es ist etwas in unserer menschlichen Natur, was sich nicht wohl dabei fühlt, Lebensmittel wegzuwerfen. Es ist immerhin die Basis unseres Lebens", sagt der Dokumentar-Filmer.

Anna Lumpe, Schauspielerin und Sprecherin aus Köln, Mitglied bei foodsharing.de Copyright liegt bei der DW/R.Breuer
Anna Lumpe aus KölnBild: DW/R.Breuer

Und trotzdem tun wir es. "Ja, ich schmeiße Essen weg, wenn es über dem Verfallsdatum ist. Das ist falsch, ich weiß das", gesteht Anna Lumpe, Schauspielerin und Sprecherin aus Köln. "Mir ist klar, dass das Datum nur eine Rechtfertigung vor mir selbst ist, um etwas wegzuschmeißen, was ich eigentlich zuviel eingekauft habe."

Und da das Gewissen nicht mitspielt, freut sich Anna Lumpe, dass sie foodsharing.de entdeckt hat. Eine tolle Idee sei das, den Leuten eine Alternative zum Wegschmeißen zu bieten. "Man muss sich keine große Mühe geben. Es ist einfach, etwas einzustellen, um es schnell loszuwerden. Wenn das mit mehr Aktivität verbunden wäre, dass man etwa in einen Laden gehen muss, um dort die Ware abzugeben, dann wird es bestimmt vielen etwas schwer fallen", denkt die 29-Jährige.

Als nächstes planen Thurn und sein Team eine App für Smartphones. Der User kann dann von der Arbeit auf dem Weg nach Hause schnell schauen, ob jemand in seiner Nachbarschaft einen Essenskorb anbietet. Viel Arbeit liegt also noch vor den jungen Unternehmern. "Ich will eigentlich Filmemacher bleiben, aber derzeit hält mich foodsharing.de mächtig auf Trapp", lacht Thurn.