"Forget Baghdad"
3. April 2003Ungemein sympathisch sind sie, die vier älteren Herren, die sich in dem Film "Forget Baghdad" als arabische Juden aus dem Irak vorstellen. Sie waren allesamt Mitglieder der internationalen irakischen kommunistischen Partei und insofern Antizionisten. Vor Jahrzehnten wanderten sie nach Israel aus.
"Ich wollte wissen, wie es ist, zum Feind seiner eigenen Geschichte zu werden", sagt der schweizer Filmemacher Samir, selbst Kind muslimisch-irakischer Einwanderer. Aus Kindertagen kennt er all die Erzählungen über ein modernes, wohlhabendes Bagdad, in dem unter britischer Kolonialherrschaft orientalische Moslems, Christen und Juden Marx und Baudelaire diskutierten. Bis die Nationalsozialisten selbst in arabischen Ländern an Einfluss gewannen und der Nationalismus im Irak 1941 in einem Militärputsch gegen den König einen ersten Höhepunkt fand. In der Folge breitete sich schleichend der Antisemitismus aus.
Israel – Heimat aller Juden?
Bis 1951 gingen 120.000 von ehemals 140.000 irakischen Juden nach Israel. Der amerikanische Historiker Mark Cohen erklärt: "Die meisten Israelis wollen diese Geschichte gar nicht hören, die Geschichte von Juden, die sich in der arabischen Welt integriert fühlen, entweder als jüdische Araber oder als arabische Juden. Sie wollen diese Geschichte nicht hören, weil es das Selbstverständnis der israelischen Gesellschaft bedroht."
Mit der Immigration nach Israel verloren die arabischen Juden alles. Viele mussten ihre Häuser und sogar Paläste gegen Zelte tauschen. Am Flughafen wurden sie zur Begrüßung wie Ungeziefer mit DDT bespritzt. Eine Beleidigung, die den vier porträtierten Intellektuellen noch heute in den Knochen sitzt. Die individuellen Verwerfungen innerhalb der Biografien der Herren Shimon Ballas, Sami Michael, Moshe Houri und Samir Naqash markiert Samir in seinem Film. Und er macht auch das Exemplarische dieser Verwerfungen deutlich: dass die Vision eines Israel als Heimat aller Juden nämlich ein Albtraum war für all jene, die keine europäischen Prägungen mitbrachten und ohne das Trauma des Holocaust kamen.
Die Lebensweise der arabischen Juden wurde verspottet, ihre Stimme buchstäblich unterdrückt. Arabisch hat man höchstens in den eigenen vier Wänden geflüstert. Und Beschwerden über die Benachteiligung der orientalischen Neubürger wurden von den Zionisten zurückgewiesen mit dem Hinweis auf das eigene, viel schlimmere Leiden.
"Überall die falsche Identität"
Im Film trägt Ella Shohat diese Problematik in aller Schärfe vor. Sie lehrt heute Film- und Kulturwissenschaft an der Universität New York. Als Kind irakischer Immigranten in Israel erinnert sie sich noch genau an die Scham, die sie empfand, wenn ihr die Mutter Pide und eingelegte Eier statt der üblichen Nutellabrote mit in die Schule gab. Anhand von Spielfilmausschnitten, unter anderem aus dem Werk Ephraim Kishons, belegt sie, wie klischeehaft das Bild der orientalischen Juden in frühen israelischen Produktionen war. Und sie erzählt, wie sie versuchte, der Diskriminierung durch Angleichung zu entgehen.
"Forget Baghdad" ist alles andere als eine Anklage. Mal melancholisch, mal witzig und immer spannend erzählt von den vier alten Herren. Überblendet mit politischen Zitaten, mit alten Fotos und Filmausschnitten, kommt er auch als ästhetisch überzeugender moderner Dokumentarfilm daher, der zur Freude des Publikums keineswegs auf ironisierende und unterhaltsame Momente verzichtet. Am Ende spricht Samir von der Hoffnung auf Versöhnung, zu der seine Protagonisten beitragen könnten. Wie sein Film selbst im Übrigen auch.