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Formal-juristisch richtig, aber Politik muss zur Verantwortung stehen

15. Dezember 2003

- Ablehnung der Klage von Serben wegen NATO-Luftangriff hinterlässt schalen Nachgeschmack

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Bonn, 12.12.2003, DW-RADIO, Verica Spasovska

Das Bonner Landgericht hatte am Mittwoch (10.12.) über einen heiklen Fall zu entscheiden: 35 Serben aus der Stadt Varvarin verlangen von der Bundesrepublik Deutschland Entschädigung für die Opfer des NATO-Luftangriffs auf eine Brücke Ende Juni 1999, bei dem zehn Menschen starben und weitere 17 verletzt wurden. Flugzeuge der Bundeswehr waren jedoch dabei nicht direkt beteiligt gewesen. Deutschland, so die Kläger, trügen dennoch Mitschuld, weil es die NATO-Intervention insgesamt gebilligt habe. Die Klage wurde von den Bonner Richtern abgewiesen.

Die langen Schatten des Kosovo-Krieges lasten schwer auf der Gegenwart. Wie schwer, das zeigt der Musterprozess am Bonner Landgericht, bei dem die Entschädigungsklage serbischer Kriegsopfer abgelehnt wurde. Formaljuristisch mögen die Bonner Richter in ihrer Urteilsbegründung im Recht sein. Doch angesichts des Leids der unschuldigen Opfer bleibt ein schaler Nachgeschmack.

Was war geschehen? Am 30. Mai 1999 wurde die serbische Kleinstadt Varvarin von zwei Angriffswellen der NATO heimgesucht. 10 Menschen starben, mindestens 17 wurden schwer verletzt. Zynisch gesprochen, handelte es sich bei den Folgen dieses Angriffs um einen so genannten "Kollateral-Schaden". Denn offensichtlich waren die Angriffe ein Versehen, da die Brücke strategisch völlig unbedeutend war. Flugzeuge der Bundeswehr waren an diesem Einsatz übrigens nicht beteiligt. Doch die Hinterbliebenen der Opfer forderten von der Bundesregierung Schadensersatz, da sich diese aktiv an den NATO-Angriffen gegen Jugoslawien beteiligt hatte.

Das Bonner Landgericht lehnte diese Forderung mit der Begründung ab, dass nach dem Völkerrecht Schadensersatzansprüche nur zwischen Staaten eingeklagt werden können, nicht aber individuelle Ansprüche von Kriegsopfern gegen einen Staat. Auch die Erfolgsaussichten in höheren Instanzen sind gering, weil wohl kein deutsches Gericht die Bundesregierung wegen ihres NATO-Einsatzes verurteilen dürfte. Dann würde nicht nur eine regelrechte Flut von Entschädigungsklagen drohen. Auch die Diskussion um die völkerrechtliche Legitimation der NATO-Luftangriffe auf Serbien stünde wieder auf der Tagesordnung.

Zur Erinnerung: der NATO-Einsatz war damals ohne das Mandat des UN-Sicherheitsrates zu entsprechenden Zwangsmaßnahmen erfolgt und deshalb unter Völkerrechtlern höchst umstritten. Die Bundesregierung überzeugte jedoch die deutsche Öffentlichkeit von der moralischen Legitimität des Einsatzes mit dem Argument, die kosovo-albanische Bevölkerung vor den so genannten "ethnischen Säuberungen" durch das Milosevic-Regime schützen zu müssen.

Eine Interpretation, die recht großzügig mit dem internationalen Völkerrecht umging und bis heute die berechtigte Frage aufwirft, ob die Politik in Sachen Völkerrecht nicht mit zweierlei Maß misst. Schließlich kritisierte die selbe Bundesregierung völlig zu Recht, dass die USA ihr militärisches Vorgehen im Irak zunächst nicht durch die Vereinten Nationen legitimieren ließen. Denn selbstverständlich liegt in jeder eigenmächtigen Auslegung des Völkerrechts auch die Gefahr, dass es missbraucht wird.

Im Lichte der nachfolgenden Ereignisse in Serbien, die zum Sturz des Diktators Milosevic geführt haben, mag das Argument richtig gewesen sein, dass dieser Krieg, wie es Bundeskanzler Schröder formulierte, "politisch und moralisch legitim" war. Denn viele Serben gewannen unter dem Eindruck der NATO-Luftangriffe die bittere Erkenntnis, dass sie - völlig isoliert von der internationalen Gemeinschaft - den Diktator selber stürzen mussten, was ihnen ein Jahr nach Kriegsende auch gelang.

Doch für die Angehörigen der zivilen Kriegsopfer in Serbien ist das kein Trost. Sie wollen keine folgenlosen Gesten des Bedauerns, dass bei gut gemeinten Aktionen leider auch Unschuldige getroffen werden können. Ihnen geht es um die Anerkennung des Unrechts, dass ihnen angetan wurde. Und sie haben ein moralisches Recht auf Sühne und Genugtuung. Wo dieses Recht nicht zugestanden wird, fehlt die elementare Vorraussetzung dafür, dass die Wunden des Krieges heilen.

Es ist nicht die Sache der Bonner Richter, dafür die Vorraussetzungen zu schaffen, aber es ist Sache der Politik, die Verantwortung für die Kriegsfolgen zu übernehmen. Das könnte teuer werden. Aber auch Kriege kosten Geld. (fp)