Artenverlust: Appell vor UN-Konferenz
29. November 2022Christof Schenck, Geschäftsführer der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft und seit vielen Jahren ein Mahner für einen besseren Schutz der weltweiten Arten, neigt eigentlich nicht zum Pessimismus. Aber jetzt zeichnet der diesjährige Träger des Deutschen Umweltpreises doch ein dramatisches Bild vom Verlust der Arten.
Zusammen mit Wirtschaftswissenschaftlern und Vertretern von Umweltorganisationen ist der Naturwissenschaftler nach Berlin gekommen. Sie listen auf, wie schlimm es um die Arten steht: Rund eine Million Arten sind demnach akut vom Aussterben bedroht, jeden Tag verschwinden rund 150 Arten, zumeist unwiederbringlich. Allein bei den Wirbeltieren, so Schenck, sind seit 1970 - in nur etwas mehr als 50 Jahren also - rund 60 Prozent der Arten ausgestorben.
Artenverlust nicht so gut erforscht wie Klimawandel
In Berlin stellten die rund 20 Erstunterzeichner eine "Frankfurter Erklärung" im Vorfeld der UN-Biodiversitäts-Konferenz im kanadischen Montreal, die in der kommenden Woche beginnt, vor.
Der Wirtschaftswissenschaftler Jörg Rocholl, Präsident der internationalen Wirtschaftsuniversität ESMT in Berlin, betonte bei der Vorstellung, der Verlust der Arten friste ein Schattendasein, verglichen mit dem weit bekannteren Problem des Klimawandels - auch im Bewusstsein vieler wichtiger Politiker wie dem US-Präsidenten Joe Biden.
Rocholl sagte der DW am Rande der Veranstaltung in der Hauptstadt: "Der Artenverlust ist weit weniger erforscht als der Klimawandel. Das hängt zum einen damit zusammen, dass der Klimawandel überall sichtbar ist. Wir sehen Überschwemmungen, Dürre, Gewitter."
Die Messbarkeit des Verlustes der Arten sei dabei ein Problem, verglichen mit den Folgen des Klimawandels. "Es gibt dort den Anstieg der Temperaturen und den Anstieg der Treibhausgas-Emissionen, während das bei der Artenvielfalt sehr viel schwieriger zu messen ist," sagte Rocholl. Dabei seien Artenverlust und Erderwärmung eigentlich nur zusammen zu denken, Rocholl nannte die beiden "Zwillingskrisen." Längst gibt es deshalb viele Experten weltweit, die fordern, UN-Konferenzen zum Klima und zu den Arten in Zukunft zusammen zu legen.
Wirtschaft muss Kosten selbst tragen
In der "Frankfurter Erklärung" heißt es dazu: "Der dramatische Verlust an biologischer Vielfalt gefährdet unsere Lebensgrundlage."
Die Forderung der Erstunterzeichner: Die Wirtschaft dürfe die Kosten für die Nutzung der Natur wie etwa Verkehrswege zu Land, zu Wasser und in der Luft nicht länger der Allgemeinheit überlassen, sondern diese Kosten müssten in die Wirtschaftskreisläufe integriert werden. Das ist eine alte Forderung auf vielen UN-Biodiversitätskonferenzen, die aber in den 30 Jahren, in denen es solche Treffen gibt, noch nicht konkret umgesetzt wurde.
Zentrale Forderungen zum Schutz
Schenck mahnte an, jetzt endlich zu handeln: "Nötig ist eine verbindliche, globale Vereinbarung historischen Ausmaßes zum Schutz der Natur. Sie muss den Rahmen setzen, den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen, mit und nicht gegen die Natur zu wirtschaften und geschädigte Natur wieder herzustellen." Deshalb unterstützen die Wissenschaftler auch die zentrale Forderung, die in Montreal eine große Rolle spielen wird: Bis 2030 sollen 30 Prozent der Landes- und Meeresflächen unter Schutz gestellt sowie engagierte Pläne zur Renaturalisierung für diese Gebiete verabschiedet werden. Das ist bislang nur bei sehr wenigen solcher Flächen der Fall.
Das Ziel wird aber - immerhin - auch von der deutschen Bundesregierung unterstützt. Die Wissenschaftler loben außerdem, dass Deutschland seine Mittel für den Artenschutz gerade auf 1,5 Milliarden Euro verdoppelt hat. Aber sie fügen auch hinzu, wie winzig dieser Betrag anmute, wenn im gleichen Jahr etwa für die Aufrüstung der Bundeswehr plötzlich 100 Milliarden Euro und für den Kampf gegen die hohen Energiepreise sogar 200 Milliarden Euro möglich seien.
Schlechte Vorzeichen für die Artenschutzkonferenz in Montreal
Und ob es in Montreal wirklich zu einem Durchbruch kommt, ist mehr als offen. Die Stimmung unter den rund 190 UN-Staaten ist angespannt. Die Biodiversitäts-Konferenz sollte ursprünglich in China stattfinden und war wegen der Corona-Pandemie mehrfach verschoben worden, jetzt fungieren China und Kanada in Montreal gemeinsam als Ausrichter. Ob sich beide Länder vertragen werden, ist unsicher. Zuletzt waren Chinas Präsident Xi Jinping und Kanadas Premier Justin Trudeau am Rande des G20-Gipfels auf Bali Mitte November vor laufenden Kameras heftig aneinander geraten. Xi warf Trudeau vor, Inhalte eines vertraulichen Gesprächs vom Vortag an die Medien durchgestochen zu haben.
In China hat die strikte Anti-Corona-Politik der Regierung jetzt zu Protesten in der Bevölkerung geführt. Stichwort Pandemie: Die deutschen Wissenschaftler sind sich mit vielen Kollegen weltweit einig, dass der Verlust an Arten auch zu einer Zunahme von Pandemien mit immensen Kosten führen wird. Noch ein Grund mehr, endlich gegenzusteuern