Forscher widersprechen Schröder
2. Oktober 2013Es ist die erste Gesamtauswertung der Familienpolitik und die Ergebisse sind nach Ansicht der Forscher klar. Die effektivsten familienpolitischen Leistungen sind demnach der Ausbau der Kinderbetreuung und das Elterngeld. Die Mitarbeiter dreier wirtschaftswissenschaftlicher Institute empfehlen, sie weiter auszubauen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das ifo-Institut München und das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) haben im Auftrag des Familienministeriums und des Finanzministeriums insgesamt 159 familienpolitische Leistungen untersucht. Dabei wurde unter anderem geprüft, ob sie Familien helfen, sich Kinderwünsche zu erfüllen, ob sie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf dienen und ob sie die wirtschaftliche Sitation von Familien verbessern.
Insbesondere der Ausbau von Kinderkrippen und Ganztagsbetreuung erfülle gleich mehrere dieser Ziele, ohne einem anderen zu widersprechen, fanden sie heraus. "Hier ist die Kosten-Nutzen-Relation besonders günstig", sagte Katharina Spieß vom DIW am Mittwoch in Berlin.
Lob fürs Elterngeld
Ähnlich gute Noten stellen die Forscher dem Elterngeld aus. Es garantiert Eltern, die im ersten Jahr nach der Geburt zu Hause bleiben, einen Anteil ihres vorherigen Einkommens. Besonders hoch fällt diese Leistung aus, wenn beide Elternteile sich diese Zeit aufteilen. "Familien haben im ersten Lebensjahr des Kindes deutlich mehr Geld zur Verfügung als vor Einführung des Elterngeldes", bilanziert Katharina Wrohlich vom DIW.
Zudem führe die Begrenzung auf ein Jahr dazu, dass Mütter früher wieder arbeiten. Die Forscher widersprachen auch der noch amtierenden Familienministerin Kristina Schröder, die gesagt hatte, das Elterngeld habe keinen messbaren Effekt auf die Geburtenrate. "Das stimmt nicht mit unseren Beobachtungen überein", sagte Helmut Rainer vom ifo-Institut München.
Kindergeld verbessert Familieneinkommen nicht
Traditionelle Mittel der Familienförderung wie das Ehegattensplitting und das Kindergeld schnitten dagegen schlecht ab. Beim Ehegattensplitting können Ehepartner ihr gemeinsames Einkommen zu gleichen Teilen versteuern. Dadurch profitieren Ehen, in denen ein Partner mehr verdient als der andere von niedrigeren Steuersätzen. Darin sehen die Forscher einen klassischen Zielkonflikt. Dem Ziel, Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern, wirke das Ehegattensplitting entgegen. Das bewirke, dass vor allem Frauen eher zu Hause bleiben als zu arbeiten, was langfristig auch das Familieneinkommen schwäche. "Es gibt zwar einen direkten positiven Effekt auf das Familieneinkommen, aber letztlich haben die Familien weniger in der Tasche", folgert Holger Bonin vom Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Ähnliches stellten die Forscher für das Kindergeld fest, ein Festbetrag, der für jedes Kind unabhängig vom Einkommen gezahlt wird. "Das Kindergeld hat die wirtschaftliche Situation von Familien nicht verbessert", sagt Helmut Rainer vom ifo-Institut. Das sei insbesondere 1996 zu beobachten gewesen, als das Kindergeld zuletzt erhöht worden ist. "Die damalige Kindergelderhöhung hat dazu geführt, dass Mütter ihr Arbeitsvolumen verringert haben." Dadurch sei das Einkommen der Familie langfristig gesunken.
Streit um Deutungshoheit
Die Forscher wenden sich deshalb gegen eine weitere Erhöhung des Kindergeldes und schlagen eine Begrenzung des Ehegattensplittings vor. Damit identifizieren sie die beiden teuersten familienpolitischen Leistungen als relativ ineffektiv. Das Kindergeld kostet ihren Berechnungen nach im Jahr 40 Milliarden Euro, durch das Ehegattensplitting entgehen dem Staat 19 Milliarden.
Diese Aussage steht im Widerspruch zur Interpretation von Familienministerin Kristina Schröder, die gesagt hatte, die Studie habe ergeben, dass die familienpolitischen Leistungen insgesamt effektiv seien. Die Studie war im Jahr 2009 in Auftrag gegeben worden. Insgesamt sollten die Forscher das Zusammenspiel von 159 verschiedenen Familienpolitischen Leistungen untersuchen.
Kritik an der Studie kam von der CSU-Politikerin Dorothee Bär. "Nach dem Willen der Institute soll es finanzielle Leistungen künftig nur noch für 'arbeitsplatzkompatible' Familien geben. Familien, die ein anderes Modell leben wollen, sollen leer ausgehen." Das umstrittene Betreuungsgeld, das Familien erhalten, die ihre Kinder nicht in eine geförderte Betreuungseinrichtung geben, war nicht Teil der Untersuchung, weil es erst im vergangenen Jahr beschlossen wurde.