"Die Franzosen sind auch Königsmörder"
8. Mai 2017Aufatmen in Frankreich und Europa: Der parteilose Emmanuel Macron hat die Präsidentschaftswahl gewonnen. Er gilt als Intellektueller und Freund der Philosophie und hat im Wahlkampf auch kulturelle Akzente angekündigt.
Gérard Foussier ist Journalist, Autor und Chefredakteur der ältesten deutsch-französischen Publikation "Dokumente/Documents." Er hat in Frankreich und Deutschland gelebt und besitzt beide Pässe. Im Gespräch mit der Deutschen Welle blickt er auf Frankreichs Zukunft - und schwankt zwischen Skepsis und Optimismus.
Herr Foussier, Macron möchte das Land zusammenführen. Er ist nicht der erste Präsident, der dieses Ziel hat. Wie könnte es ihm tatsächlich gelingen?
Es wird sehr schwierig sein. Viele der Menschen, die ihn gestern gewählt haben, werden bei der Parlamentswahl ihre Stimme wieder ihrer eigenen Partei geben. Was er gestern bei der Stichwahl erreicht hat, wird er in diesem Umfang nicht wiederholen. Aber: Viele sind der Meinung, dass man mit Macron einen sogenannten Macron-Effekt, in Anlehnung an den Schulz-Effekt in Deutschland, erreichen könnte. Die Begeisterung ist im Moment da, aber sie muss jetzt auch zumindest sechs Wochen, nämlich bis zur Parlamentswahl, halten.
Emmanuel Macron ist kein Rassist und kein Nationalist wie Marine Le Pen. Das hat vielen Franzosen gereicht, um ihn zu wählen. Was macht ihn noch aus?
Er ist Europäer. Und das war den Franzosen vor allem wichtig. Sie sind europakritisch, aber nicht europafeindlich. Sie wollen in der EU bleiben, sie wollen den Euro behalten. Zwar wünschen sie Korrekturen in der Europapolitik, aber sie wollen in der EU bleiben. Es ist ein Sieg gegen den Populismus, den Macron errungen hat.
Welches kulturelle Profil hat Macron aus Ihrer Sicht?
Er ist belesen, kennt Philosophen wie Hegel und Kant fast auswendig, spielt sehr gut Klavier, aber er ist in erster Linie ein Finanzmensch. Er war Investmentbanker, war Berater des Präsidenten in Wirtschaftsfragen und Wirtschaftsminister. Sein Profil ist also das eines Wirtschaftsmannes, und nicht so sehr das eines Intellektuellen.
Die linksliberale Pariser Zeitung Le Monde - bei der Macron nicht wenige Unterstützer/innen zählt - kürte ihn im Spätsommer vorigen Jahres allerdings zum "Intellektuellen in der Politik". Ist er das – ein Denker und Philosoph?
Da wurde in der Berichterstattung einiges übertrieben. Macron hat sich auch schon ein wenig von diesem Image distanziert. Zwar hat er während seines Besuchs in Berlin auch mit Jürgen Habermas diskutiert, aber das sind nicht die Themen, die die Franzosen aktuell interessieren. Die Franzosen interessieren sich für die Themen Arbeitslosigkeit, Sicherheit, innere Sicherheit, Flüchtlingsfragen und dergleichen. Deswegen glaube ich nicht, dass man mit dem Intellektuellen im Moment punkten kann.
Macron sagte im Wahlkampf, er wolle 200 Millionen Euro für das Kulturbudget bereitstellen und zum Beispiel dafür sorgen, dass 7100 Bibliotheken länger geöffnet bleiben. Wie wichtig ist für ihn die Bildungspolitik - und kann er sie durchsetzen?
Das sind Absichtserklärungen, aber solche Dinge muss er dann erstmal mit seinen zukünftigen Abgeordneten und den Bürgermeistern ausmachen. Er hat selbst gesagt, dass Kultur nicht von oben befohlen werden kann, sondern, dass Kultur Sache der Menschen vor Ort ist. Er will sicherlich Akzente setzen, aber alleine kann er es nicht schaffen. Zwar hat Macron schon andere Herausforderungen gemeistert. Nur: Die Franzosen lieben ihre Könige, aber sie sind auch Königsmörder. Die köpfen ihre Könige, wenn es sein muss.
Macron hat es anscheinend geschafft, mit seiner Bewegung "En Marche" hunderttausende auch jüngere Menschen für Politik zu begeistern. Hat er damit die politische Kultur in Frankreich wiederbelebt?
Das muss man abwarten. Immerhin haben mehr als vier Millionen Wähler gestern einen ungültigen Wahlzettel abgegeben, weil sie zeigen wollten, dass sie wählen wollen, aber nicht Le Pen und auch nicht Macron. Diese Menschen werden dann wohl nicht in der Macron-Partei wiederzufinden sein.
Deutschland und Frankreich verbindet eine alte Freundschaft, die auch im kulturellen Bereich fest verwurzelt ist. Welche Rolle misst der neue Präsident der deutsch-französischen Freundschaft bei?
Da bin ich ein fast krankhafter Optimist. Nach jeder Wahl hat es die Frage gegeben, wie geht es weiter mit den deutsch-französischen Beziehungen, egal, wer mit wem zusammenarbeiten musste. Und auch, wenn es oft Startschwierigkeiten gab: Immer wieder kam die deutsch-französische Freundschaft in den Vordergrund. Es wird diesmal, mit Macron, genauso sein - egal, wer die Bundestagswahl im September gewinnt. Wenn Macron allerdings gerade beim Thema Wirtschaftspolitik allzu selbstbewusst nach Berlin fährt, dann könnte es zunächst etwas schwieriger werden. Aber ich bin sehr, sehr optimistisch, dass Berlin und Paris auch dieses Mal einen gemeinsamen Weg finden werden.
Das Gespräch führte Katharina Abel.