Frankreich: Für Nicht-Geimpfte wird es schwer
4. August 2021Vor knapp zwei Monaten dachte Sylvain Belaud, dass er endlich Licht am Ende des COVID-19-Tunnels sehe. Er durfte, nach monatelangem Lockdown, den Innenraum seines Restaurants "Café Franceour" im Quartier Montmartre im Norden von Paris wieder öffnen und seine Terrasse voll ausnutzen. Außerdem werde die abendliche Ausgangssperre nach hinten verschoben und schließlich abgeschafft, hieß es. "Das ist hervorragend", sagte er damals gegenüber der DW. "Jetzt wird das Geschäft hoffentlich bald wieder so laufen wie vorher." Doch diesem Optimismus hat die Regierung nun einen Dämpfer versetzt - durch den sogenannten Gesundheitspass, den nicht nur Belaud kritisiert, auch wenn die Mehrheit der Franzosen für die Maßnahme ist.
Den Pass braucht man schon jetzt für Frankreichs Kinos und Theater. Bald soll er auch für Züge, Inlandsflüge, Überlandbusse sowie für Restaurants und Cafés gelten. Dort werden nur noch Menschen Zugang bekommen, die entweder komplett geimpft sind, vor kurzem COVID-19 hatten und wieder genesen sind oder aber ein negatives Testergebnis vorweisen können. Das Gesetz, das die Ausweitung des Passes möglich macht, hat das Parlament bereits abgesegnet. Das oberste Verwaltungsgericht soll sich am 5. August mit der Regelung befassen, die dann am 9. August in Kraft treten könnte. Das Gesetz sieht außerdem vor, dass sich Pflegekräfte und Personen, die mit Risikopersonen arbeiten, impfen lassen müssen. Anderenfalls droht eine Suspendierung ohne Lohnausgleich.
Die Maßnahmen sollen helfen, eine vierte Covid-19-Welle in den Griff zu bekommen. Inzwischen registriert das Land jeden Tag mehr als 20.000 Neuinfektionen - im Vergleich zu noch rund 3000 Anfang Juli. Die Regierung strebt eine Herdenimmunität an. Dafür müssten laut Virologen mindestens 80 oder 90 Prozent der Franzosen eine Immunität entwickelt haben.
Belaud macht sich Sorgen ums Geschäft
Der Gastwirt Belaud ist nicht gegen die Covid-19-Impfung - er ist bereits vollständig geimpft, seine rund 20 Angestellten werden es auch alle bald sein. Aber er macht sich Sorgen ums Geschäft. "Einige Kunden werden nicht mehr kommen, das haben sie uns schon gesagt", erklärt er, während er zeigt, wie er künftig mit einer Smartphone-App den QR-Code des Gesundheitspasses kontrollieren wird. "Nicht jeder von ihnen will sich impfen lassen oder aber alle zwei Tage einen Test machen. Dabei ist unser Umsatz schon 30 Prozent niedriger als normalerweise im Sommer, weil einfach weniger Touristen da sind."
Was bei Belaud leise Kritik ist, ist bei anderen laute Empörung. Zehntausende Menschen haben in den vergangenen Wochen in ganz Frankreich gegen die neuen Regeln demonstriert. Sie finden, man beraube sie eines Teils ihrer Freiheit. Doch obwohl die Anzahl der Teilnehmer an den wöchentlichen Protesten gestiegen ist, repräsentieren sie nur eine Minderheit: Lediglich 35 bis 40 Prozent der Franzosen unterstützen sie laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop. Zwei Drittel der Bevölkerung heißen den Gesundheitspass hingegen gut, so das Ergebnis einer Befragung durch die Umfrageinstitute Ipsos und Sopra Steria für den Radiosender Franceinfo. Und sogar 74 Prozent der Bevölkerung sind demnach für eine Impflicht des Pflegepersonals. Präsident Emmanuel Macron hatte den Demonstranten in französischen Medien entgegnet: "Die Freiheit, bei der man keinem etwas schuldig ist, existiert nicht."
Junge Leute lassen sich impfen - aber sind auch kritisch
Die Zahl der täglichen Impfungen ist seit Macrons Ankündigungen am 12. Juli in die Höhe geschnellt - von einem Wochendurchschnitt von rund 350.000 auf 650.000, so die Zählung der Webseite Doctolib.fr, über die in Frankreich die meisten Impftermine gemacht werden. Besonders junge Leute scheinen nun impfeifrig: Der Anteil der Erstgeimpften unter 18- bis 39-Jährigen lag am 12. Juli noch bei 48 Prozent und hat inzwischen 64 Prozent erreicht.
Doch das heißt nicht, dass alle jungen Leute auch glücklich über den Gesundheitspass sind. Der 30-jährige Thomas Grunberg nennt die Maßnahme "dramatisch" und "eine sehr schlechte Idee". "Ich bin zwar geimpft, aber ich finde, das sollte jeder selbst entscheiden", meint der Eventmanager zu DW, während er an einem Samstagnachmittag auf einer Bank am Canal Saint-Martin im nördlichen Paris sitzt. "Einige meiner Freunde wollen sich partout nicht impfen lassen. Deswegen werden wir uns weiterhin bei uns zuhause oder draußen treffen."
Die Wogen könnten sich wieder glätten
Die 29-jährige Camille de Saint Robert, die neben ihm auf der Bank sitzt, teilt seine Ansicht - zumindest partiell. "Ich finde es ein bisschen schade, dass man Menschen nicht die Wahl lässt", sagt die Modedesignerin, die ebenfalls geimpft ist, gegenüber DW. "Ich weiß ja, dass etwas getan werden muss und wir alle solidarisch sein müssen. Aber ich verstehe einfach nicht die Logik der Regierung und mag nicht, wie sie uns immer alles so aufzwingt."
Doch Marc Guceski, der zwei Bänke weiter sitzt, sieht das anders. "Natürlich hat man uns das aufgezwungen, aber es musste halt schnell gehen", erklärt der 25-jährige Business Analyst gegenüber DW. "Die Delta-Variante greift um sich, und die Impfung hilft dagegen. Die Regierung hatte einfach keine andere Wahl." In ein paar Monaten könnten sich diese Wogen zumindest teilweise wieder glätten. Die Regierung hat schon angekündigt, dass der Gesundheitspass nur solange gelten soll, bis die Herdenimmunität erreicht ist. Bisher sind rund die Hälfte der Franzosen komplett geimpft.