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Muslime und Christen trauern gemeinsam

Jake Cigainero, Paris / cb2. August 2016

Nachdem Islamisten in Frankreich einen Priester brutal ermordeten, kommen Christen und Muslime im ganzen Land zusammen, um sich zu unterstützen und gemeinsam zu beten. Jake Cigainero berichtet aus Paris.

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Frankreich Muslimischer Anbeter vor der Saint-Etienne-du-Rouvray
Bild: picture-alliance/dpa/C. Petit Tesson

Der Gottesdienst in Saint-Michel, einer Kirche in Paris, beginnt ungewöhnlich. Der Priester heiβt alle Muslime willkommen, die gekommen sind, um mit Christen gemeinsam zu beten, und ermuntert die Gottesdienstbesucher, ihre Gedanken und Gefühle zu teilen.

Aus dem hinteren Teil des steinernen Kirchenschiffs ruft eine Frau "Ich bin damit nicht einverstanden!" und läuft hinaus. Der Priester wendet sich an die buntgemischte Gruppe von rund 120 Menschen und sagt: "Wir machen trotzdem weiter."

Nachdem vergangene Woche zwei 19-jährige islamistische Extremisten einen Priester in einer Kirche in Saint-Etienne-du-Rouvray in der Normandie grausam ermordet hatten, hatte der französische Rat der Muslime seine Gläubigen aufgefordert, am Wochenende christliche Kirchen zu besuchen. Dort sollten sie "Solidarität und Mitgefühl" zeigen. Führende katholische Geistliche hatten Kirchen aufgefordert, den Muslimen ein "brüderliches Willkommen" zu bereiten. In ganz Frankreich und auch in Italien kamen Christen und Muslime zusammen.

Kirchengänger nach der Messe am Sonntag in der Kirche Saint-Michel Paris (Foto: DW/J.Cigainero)
Nach der Trauermesse in der Saint-Michel Kirche in ParisBild: DW/J.Cigainero

Boris Benard, der regelmäβig den Gottesdienst in Saint-Michel im 17. Arrondissement besucht, sagt, er sei nicht einer Meinung mit der Frau, die den Gottesdienst verlassen hat. "Es ist gut, dass die Kirche Muslime zum Gottesdienst eingeladen hat", sagt Benard der DW. "Ich weiβ nicht, ob welche hier waren, aber es ist eine nette Geste, sich anzupassen - für das Zusammenleben und um den Menschen zu helfen, keine Angst vor dem Kirchgang zu haben, nachdem etwas passiert ist." Benard denkt auβerdem, dass die Männer, die den Priester in der Normandie umbrachten, nichts mit dem Islam zu tun hatten, sondern einfältige Extremisten waren.

"Wir dürfen keine Angst haben"

Emilia Fernandez, die ebenfalls regelmäβig in die Saint-Michel Kirche geht, sagt, der Anschlag würde sie nicht daran hindern, in die Kirche zu gehen, oder sie dazu bringen, sonstwie ihr Leben zu ändern. "Ich lebe frei. Was passiert ist, könnte auch hier passieren. Es könnte überall passieren", sagt sie. "Wir dürfen keine Angst haben."

Nach dem Mord an dem Priester haben führende katholische Geistliche erneut ihre langjährige Freundschaft mit der muslimischen Gemeinde betont. Der ermordete Priester Jacques Hamel und Mohammed Karabila, der Präsident des Regionalrats der Muslime in Saint-Etienne-du-Rouvray waren befreundet und arbeiteten gemeinsam an einer interreligiösen Initiative. Die Moschee steht auf einem Grundstück, das von der benachbarten katholischen Sainte Therese du Madrillet-Kirche gespendet wurde.

Trotzdem: Die Sicherheitsbedenken unter den Geistlichen haben sich vermehrt. Sie sind besorgt sowohl über islamistische Extremisten als auch über Rechtsextreme, die gegen Muslime hetzen.

Frankreich Trauergottesdienst im französischen Rouen (Foto: Getty Images/AFP/C. Triballau)
Gemeinsam beten, gemeinsam trauern: In ganz Frankreich kamen Angehöriger der verschiedenen Religionen zusammenBild: Getty Images/AFP/C. Triballau

Nach dem Angriff auf die Kirche traf sich Frankreichs Präsident Francois Hollande mit führenden Geistlichen verschiedener Religionen, unter anderem mit Christen, Muslimen und Juden. Alle Geistlichen baten um mehr Schutz für ihre Gotteshäuser.

Beide Attentäter in der Normandie waren unter Polizeibeobachtung, weil sie versucht hatten, für den "Islamischen Staat" (IS) in Syrien zu kämpfen. Das und die Tatsache, dass der Anschlag in Nizza weniger als zwei Wochen her war, sehen rechte Kritiker als Anzeichen dafür, dass Hollandes Regierung nicht effektiv gegen Terrorismus vorgeht.

Erhöhte Sicherheit

Nach mehreren Treffen des Sicherheits- und Verteidigungsrats verkündete Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian, dass die Sicherheitsmaβnahmen im ganzen Land verstärkt werden, speziell in den Regionen auβerhalb von Paris. Le Drian sagte 4000 Soldaten würden in Paris postiert werden und 6000 im Rest des Landes. Ihre Hauptaufgabe: Der Schutz von religiösen Stätten und Gotteshäusern.

Die Saint-Michel Kirche wurde am Sonntag Morgen nicht von Sicherheitspersonal bewacht, aber die Notre Dame Kathedrale in Paris und die Kirche in der Normandie, wo der Gottesdienst für den ermordeten Priester stattfand, wurden überwacht.

In den vergangenen 18 Monaten gab es in Frankreich Terroranschläge auf ein Satiremagazin, einen koscheren Supermarkt, auf Cafés, auf einen Konzertsaal, ein Stadion und jetzt ein weiteres kulturelles Symbol: eine Kirche.

Valls will einen neuen "Pakt" mit dem Islam

Premierminister Manuel Valls sagt, Muslime, die mit Christen zusammen beten, sind nicht genug. Frankreich brauche einen neuen "Pakt" mit dem Islam. In einem Kommentar für das französische "Journal du Dimanche" schrieb Valls, er wolle "den Islam Frankreichs umbauen". Frankreich solle ein Vorbild für den Rest Europas werden.

Abdallah Zebra Notre dame Paris Frankreich (Foto: picture-alliance/dpa/J. Mattia)
Mitgefühl zeigen: Abdallah Zebra vom französischen Rat der Muslime (r.) zu Besuch im Notre DameBild: picture-alliance/dpa/J. Mattia

Er schlägt vor, ausländische Spenden für Moscheen zu verbieten und die Ausbildung für Imame zu überdenken. Sie sollen nur noch in Frankreich ausgebildet werden. Valls macht ausländische Einflüsse dafür verantwortlich, dass in Frankreich fundamentalistische muslimische Gruppen entstehen, die französische Werte ablehnen.

Valls schreibt: "Wenn der Islam der [französischen] Republik nicht hilft, die zu bekämpfen, die öffentliche Freiheiten ablehnen, dann wird es für die Republik immer schwerer, Religionsfreiheit zu garantieren."