"Frau, Leben, Freiheit" - drei Monate Proteste im Iran
Der gewaltsame Tod von Jina Mahsa Amini löste im Iran die größte Protestbewegung seit Jahrzehnten gegen das repressive Herrschaftssystem der Islamischen Republik aus. Der Staat reagiert mit aller Härte. Eine Chronologie.
Gesicht einer Revolution
Sie ist das Gesicht des Widerstands im Iran: Am 13. September 2022 wird Jina Mahsa Amini in Teheran von der Sittenpolizei verhaftet, weil ihre Kleidung und ihr Kopftuch nicht den offiziellen Regeln der Islamischen Republik entsprechen. Drei Tage später ist die 22-jährige Kurdin tot - höchstwahrscheinlich infolge der Behandlung der Sicherheitsbehörden. Ihr Tod löst eine Revolution im Land aus.
„Frau, Leben, Freiheit!“
Am 17. September beginnt der Aufstand gegen das Mullah-Regime: Bei der Beerdigung Aminis in ihrem kurdischen Heimatort Saghes nehmen Frauen ihre Kopftücher ab, schwenken sie in der Luft und rufen "Jin, Jiyan, Azadî" - zu deutsch "Frau, Leben, Freiheit". Der Ruf wird zum Slogan der neuen iranischen Revolution. Am 40. Tag nach Aminis Tod kommen Tausende zum Friedhof.
Aufstand gegen die Ajatollahs
Aminis Tod ist der Auftakt zu einer historischen Bewegung: Seither erschüttern Proteste gegen die repressive Regierung alle Regionen des Irans, so wie hier Ende September in Teheran. Nicht nur Frauen nehmen an den Demonstrationen teil, sondern Menschen jeden Alters und aller Ethnien und Geschlechter. Es ist der größte Aufstand gegen das Regime seit Ausrufung der Islamischen Republik Iran 1979.
Ohne Hidschab - und mit viel Mut
Eine von vielen: Immer mehr Frauen, wie diese in der kurdischen Stadt Sanandaj, gehen ohne den obligatorischen Hidschab auf die Straße. Sie beweisen damit großen Mut: Wer gegen die Zwangsverschleierung verstößt, riskiert Peitschenhiebe und Haft. Und wie Verhaftungen im Iran enden können, hat der Fall Amini gezeigt.
Haare zeigen - und Haltung
Doch Frauen und Mädchen lassen sich nicht einschüchtern: Diese Schülerinnen haben ihre Kopftücher abgenommen und rufen "Tod dem Diktator!" - gemeint ist Ajatollah Ali Chamenei. An den Universitäten kommt es zu Massenprotesten. Außerdem wird im ganzen Land gestreikt: Lehrkräfte, Studierende, aber auch Ölarbeiter legen die Arbeit nieder. In Kurdistan findet Anfang Dezember ein Generalstreik statt.
Schlagstöcke gegen Protestierende
Das Regime reagiert mit massiver Gewalt: Polizei und die berüchtigten Basidsch-Milizen versuchen, die Proteste niederzuschlagen. Auf dem Foto ist zu sehen, wie sich Polizisten mit Schlagstöcken einer Gruppe fliehender Demonstrierender nähern. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass mehr als 400 Menschen von Sicherheitskräften getötet wurden, darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche.
Wer Widerstand leistet, wird weggesperrt
Willkür und Brutalität: Augenzeugenberichten zufolge schlagen Polizei und Milizen Demonstrierende brutal zusammen, einige sollen teilweise von hinten erschossen worden sein. Zudem kommt es zu Massenverhaftungen: 14.000 Menschen sollen wegen ihrer Teilnahme an Protesten inhaftiert sein - so wie diese in einen Polizeiwagen gesperrten Frauen in Teheran.
Die Hölle der Häftlinge brennt
Die Gefängnisse füllen sich mit politischen Gefangenen. Besonders das berüchtigte Evin-Gefängnis in Teheran ist ein Symbol für Repression: Hier wird die politische und intellektuelle Opposition unter katastrophalen Bedingungen eingesperrt, Überlebende berichten von Folter. Mitte Oktober brennt es in Evin; wie viele Gefangene sterben oder verschleppt werden, bleibt unklar.
Klettern ohne Kopftuch
Prominente aus Kunst, Kultur und Sport schließen sich den Protesten an. Das Team der Fußball-Nationalmannschaft weigert sich, bei der WM in Katar die iranische Nationalhymne mitzusingen. Die Kletterin Elnaz Rekabi tritt bei einem Wettkampf in Seoul ohne Hidschab an, die Bilder gehen um die Welt. Sie wird jedoch schnell zum Schweigen gebracht: Rekabi muss eine Entschuldigung abgeben.
Meine Haare, mein Leben
Weltweit erfährt die Protestbewegung viel Unterstützung: Tausende demonstrieren von Paris bis San Francisco für einen Regimewechsel in Teheran. In Istanbul schneidet sich diese Exil-Iranerin vor dem iranischen Konsulat aus Solidarität mit den unterdrückten Frauen in ihrem Heimatland die Haare ab. Prominente Frauen - und auch Männer - überall auf der Welt ahmen die Geste nach.
Leuchtende Solidarität
Das Schicksal der drangsalierten Frauen im Iran berührt die Welt - und der Aufstand der Bevölkerung erfährt viel Solidarität: Das Brandenburger Tor in Berlin wird mit den kurdischen Worten "Frau, Leben, Freiheit" angestrahlt. Das US-amerikanische Time Magazine kürt die iranischen Frauen zu den "Heldinnen des Jahres 2022“.
"Nein zur islamischen Republik"
Die weltweiten Proteste - hier eine Demonstration in Toronto - setzen die Regierung in Teheran unter Druck. Die zusätzlichen Sanktionen belasten die Wirtschaft des Landes massiv. Der Währungskurs des Rial ist seit September im Vergleich zu Euro und Dollar um mehr als 20 Prozent gesunken - ein Rekordtief. Schon vor Beginn der Demonstrationen befand sich das Land in einer akuten Finanzkrise.
Galgen für "Gottes Feinde"
Teheran reagiert auf die Proteste mit noch mehr Härte. Zwei inhaftierte Demonstranten wurden bereits hingerichtet: Der Rapper Mohsen Schekari und der hier auf einem Handy-Display zu sehende Majidreza Rahnavard. Mindestens 38 weiteren inhaftierten Demonstranten droht die Exekution wegen "Feindschaft gegen Gott". Sogar Kinder können im Iran exekutiert werden.
"Wer Wind sät, wird Sturm ernten"
Blutige Tränen: Eine Demonstrantin protestiert bei einer Partie des Irans während der Fußball-WM in Katar. Im Ausland herrscht Entsetzen über die Hinrichtungen: Die EU-Staaten verurteilen sie geschlossen und verhängten weitere Sanktionen. Die Proteste im Iran gehen indes weiter: "Wer Wind sät, wird Sturm ernten", kündigen die Regimegegner an. Jina Mahsa Amini soll nicht umsonst gestorben sein.