Frauen in Türkei droht zunehmend Gewalt
1. Juli 2021"Die Türkei hat die Uhr für Frauenrechte um zehn Jahre zurückgestellt", kritisierte die Generalsekretärin der Menschenrechtsorganisation, Agnès Callamard. Die Aufkündigung dieses vor zehn Jahren unterzeichneten, wegweisenden Vertrags zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt durch die türkische Regierung werde in die Geschichte eingehen, da somit erstmals ein Mitglied des Europarats aus einer internationalen Menschenrechtskonvention austrete. Callamard sprach von einem erschreckenden Präzedenzfall.
Der Austritt der Türkei aus dem internationalen Abkommen zum Schutz von Frauen sende eine "rücksichtslose und gefährliche Botschaft" an die Täter, die missbrauchen, verstümmeln und töten: Sie können dies ungestraft tun", sagte sie. "Diese bedauerliche Entscheidung ist bereits zu einem vereinigenden Moment für Frauenrechtlerinnen auf der ganzen Welt geworden, und wir müssen zusammenkommen, um weiteren Angriffen auf unsere Rechte zu widerstehen." Die Aufkündigung der "Istanbul-Konvention" setze Frauen einem erhöhten Risiko von Gewalt aus, warnte die Menschenrechtsorganisation.
Erdogan hofiert Konservative und Islamisten
Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte im März den Austritt der Türkei per Dekret verfügt.Die Aufkündigung des Abkommens, benannt nach der türkischen Stadt, in der der Vertrag 2011 unterzeichnet wurde, tritt an diesem Donnerstag in Kraft.
Die Istanbul-Konvention des Europarats gegen Gewalt an Frauen ist das weltweit erste verbindliche Abkommen dieser Art. Sie verlangt von den Unterzeichnerstaaten, dass sie Maßnahmen gegen häusliche Gewalt sowie gegen Vergewaltigung in der Ehe und gegen weibliche Genitalverstümmelung ergreifen. Die 46 Unterzeichnerstaaten, darunter auch Deutschland, verpflichten sich zudem, Frauen und Mädchen durch strafrechtliche Verfolgung der Täter besser vor Gewalt zu schützen. Als "Gewalt" gilt dabei nicht nur physische Gewalt, sondern auch geschlechtsspezifische Diskriminierung, Einschüchterung oder wirtschaftliche Ausbeutung.
Erdogan hatte den Rückzug damit begründet, dass die Konvention die traditionelle türkische Familie bedrohe. Er kam mit seiner Entscheidung konservativen und islamistischen Kreisen in der Türkei entgegen. Diese hatten den Austritt mit der Begründung gefordert, die Istanbul-Konvention schade der Einheit der Familie und fördere Scheidungen sowie Homosexualität.
Kritiker befürchten dagegen, dass künftig noch mehr Frauen in der Türkei Opfer von Gewalt werden. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der Plattform "Wir werden Femzide stoppen" mehr als 300 Frauen in der Türkei von Männern getötet, in diesem Jahr waren es bereits 177.
qu/ww (dpa, kna, afp)