Frauke Petry auf Comeback-Tour
29. November 2017Grimma ist eine kleinere Stadt in Sachsen, ganz in der Nähe von Leipzig, idyllisch an einem Nebenfluss der Elbe gelegen. Das Städtchen wurde bundesweit bekannt, als 2002 und 2013 die Mulde die historische Altstadt komplett überflutete. Hier gründete Frauke Petry kurz vor der Bundestagswahl ihre neue Partei, "Die Blauen" genannt. Einige Tage darauf gab sie ihren Austritt aus der AfD bekannt, deren Vorsitzende sie war. Nun ist sie nach Grimma zurückgekehrt, um für ihre neue Partei zu werben.
Als sie an diesem Abend in den Saal des Rathauses kommt, sieht sie abgekämpft aus. Den Ort hat der parteilose Oberbürgermeister der Stadt, Matthias Berger, den "Blauen" zur Verfügung gestellt hat. Der Endvierziger, ein sportlicher und dynamischer Erfolgstyp, ist auch der erste Redner. Er wurde schon mehrmals "mit 99 Prozent" wiedergewählt, wie eine Hotelbetreiberin im Ort erzählt. Ein Rathaus sei dafür da, dass man in ihm diskutiere, begründet Berger die Petry-Einladung.
Was läuft schief in Sachsen?
Sachsen, eigentlich wirtschaftlich seit Jahren auf Erfolgskurs, ist das Bundesland, aus dem Pegida kommt, wo Petry ihre politische Karriere begann und in dem die AfD bei der Bundestagswahl die meisten Stimmen holte. Berger berichtet von seinem mühsamen Alltag als Kommunalpolitiker und gibt damit exemplarisch auch ein Bild über den inneren Zustand seines Bundeslandes. Der sächsische Ex-Ministerpräsident Stanislaw Tillich habe ihm die ganzen Jahre über einen Gesprächstermin verweigert. Das sei typisch für die "Basisferne" der Regierung. Berger erzählt auch von einer falschen Förderpolitik, die den Kommunen eigene Gestaltungsräume nehme und nur darauf schiele, Einfluss zu behalten.
Die rund 250 Zuhörer nicken zustimmend. Es sind Ladenbesitzer, Ärzte, Handwerker, Akademiker und Rentner - also Menschen aus eher bürgerlichen Schichten. Genau das ist auch Petry Zielgruppe. Sie will die aufsammeln, für die die AfD zu nationalistisch und extrem geworden ist.
Petry: Ich habe Fehler gemacht
Sie habe sich ihren Abschied von der AfD nicht leicht gemacht, betont Petry an diesem Dienstagabend mehrfach. In der Tat hat man ihr ein gewisses Unbehagen über die Entwicklung in der AfD schon mindestens seit einem Jahr angemerkt. Mit ihrem späten AfD-Ausstieg habe sie deren Einzug in den Bundestag nicht gefährden wollen, sagt sie. Denn dieser "Gong" sei richtig für das Land gewesen. "Ja, wir haben Fehler gemacht", sagt Petry, "und uns manchmal auch schief geäußert". Erinnert sei an die Forderung der AfD-Politikerin Petry, man müsse den Begriff "völkisch" enttabuisieren.
Nun will sie einen neuen Anlauf wagen. Ihr jüngstes Kind, noch ein Baby, trägt Petry auch an diesem Abend wieder bei sich. Er brauche sie und sie ihn, sagt sie. Dann redet Petry ungefähr eine halbe Stunde - ohne Skript. Mit jeder Minute gewinnt sie an Energie und Ausstrahlung.
Die "Blauen": Bürgerbewegung und Partei zugleich
Doch anders als zuletzt auf AfD-Parteitagen, spricht Petry jetzt mit eher weicher Stimme. Ihre von Kabarettisten gern auf die Schippe genommene Art übertrieben scharf zu reden, kommt nur noch ab und zu hoch. Das liegt sicherlich auch daran, dass sie sich nun nicht mehr gegen AfD-Parteikollegen behaupten muss, sondern durch die Provinz tingelt und Bürger überzeugen will.
Immer wieder betont Petry, dass sie aus den Fehlern der AfD gelernt habe. Deshalb gebe es eine Art Aufwärmbecken neben der "Blauen Partei", nämlich "Die Blaue Wende" als Bürgerbewegung und als eine Art "Firewall". Ironie der Geschichte: Die Staatspartei der DDR hatte ein ähnliches Modell. Wer in die SED wollte, musste sich erst einmal über mehrere Jahre als Kandidat beweisen.
Abgrenzungsversuche zur AfD
Aber auch inhaltlich will Petry gelernt haben. Das heißt, sie will sich nicht in die rechte Ecke stellen lassen. Wohl deshalb wurde ein gutes Verhältnis zu Israel schon ins Grundsatzprogramm der "Blauen" geschrieben. Von der Demokratie in Israel ließe sich viel lernen, betont sie. Außerdem gebe es einen starken Bezug zu Europa. Auch ein anderer Grund, das Verhältnis zum Islam, klingt an: Viele Muslime seien antisemitisch eingestellt.
Außenpolitisch müsse es um ein gut ausbalanciertes Verhältnis zu Washington und Moskau gehen - nicht wie bei der AfD, wo sich manche Russland regelrecht anbiederten und dafür die Westbindung Deutschlands in Frage stellten.
Auch vom Nationalismus der AfD will sich Petry unterscheiden, wie sie im Gespräch mit der DW noch einmal unterstreicht. Ethnopatriotismus sei falsch, sagt sie. Es ginge vielmehr um die Frage des eigenen Kulturkreises. Zuwanderung nach Deutschland aus anderen Teilen Europas habe es schon immer gegeben. Es dürfe nicht soweit kommen, dass man in der Manier von "Deutschland den Deutschen" nachweisen müsse, dass alle acht Urgroßeltern auch schon hier geboren wurden. Illegale Einwanderung und offene Grenzen aber bleiben Reizworte für Petry.
Langfristiges Ziel: Partner der CDU werden
Petry schielt strategisch, wie sie offen zugibt, auf das "Potential von 30 Prozent für konservative Ansichten", dass es zum Beispiel in Sachsen und Bayern gebe. Dafür gibt es das erste Mal am Abend zustimmenden Applaus im Saal. Als konservative Bausteine definiert Petry: Abkehr von der Gender-Politik und Homo-Ehe; stattdessen mehr Förderung für die klassische Familie und Kinder.
Doch sie möchte eigentlich parteiübergreifend attraktiv sein, sagt sie an anderer Stelle. Die Bewegung solle offen sein für alle Bürger, die zudem nicht gleich ihre Bereitschaft zeigen müssten, in eine Partei eintreten zu müssen. Doch im Gegensatz zur AfD, so Petry, wo viele nun in Verantwortung seien, die sonst keine beruflichen Karrieren hätten, wolle man bei den "Blauen" so wenige Berufspolitiker wie möglich haben. Das sei eine "Hochrisiko-Strategie", gibt Petry zu. Verweist aber auf den Erfolg von Sebastian Kurz in Österreich, der auch über eine Bewegung zu Macht gekommen sei.
Macht ist auch weiterhin das Ziel von Petry. Da bleibt sie das Alphatier, das vor zwei Jahren Bernd Lucke in der AfD entmachtet hat. Bei der Landtagswahl in Sachsen im Sommer 2019 will sie mit der "Blauen Partei" in den Landtag gewählt werden. Langfristig sei eine Zusammenarbeit mit der CDU auf Augenhöhe denkbar, so diese sich auf konservative Politik besinne. Sie habe mit der AfD doch schon einmal bewiesen, dass sie schnell eine Partei aufbauen könne - alles kein "Hexenwerk". Doch ihr einstiger Mitstreiter Bernd Lucke, der auch eine neue Partei aufbauen wollte, ist damit politisch gescheitert. Das haben viele im Saal vor Augen, deshalb muss Petry Optimismus verbreiten.
Mehr als Vorschusslorbeeren?
Noch eine Sache sei ihr wichtig, betont Petry mehrfach an diesem Abend: Sie wolle raus aus der politischen Schmuddel-Ecke. Die Industrie- und Handelskammer zum Beispiel fasse die AfD "nicht mit der Kneifzange" an. Schon jetzt aber kämen viele Verbände auf die "Blauen" zu - einer Bewegung mit nach eigenen Angaben erst 2300 Anhängern.
Der Abend verläuft insgesamt recht friedlich, größere verbale Angriffe auf Petry bleiben aus. Am Ende bekommt Petry Komplimente für ihr Durchhaltevermögen - unter anderen von einem Ehepaar, das extra aus München angereist sei. Nach zwei Stunden ist Schluss, auch weil Petrys Sohn wieder lautstark nach der Mutter brüllt. Die Besucher scheinen angetan: "Ich drück' ihr die Daumen", sagt Simone Klass aus Wurzen. Eine Veränderung sei wichtig gewesen. Sie sehe durchaus das Potential für die "Blauen" in Sachsen, auf lange Sicht an die Regierung zu kommen. An diesem Ort und an diesem Abend scheint Petry einen Nerv getroffen zu haben.