Freiburg und die Trostfrau
21. September 2016Als ihm vor wenigen Wochen der Bürgermeister von Suwon - der neuen Freiburger Partnerstadt in Südkorea - am Telefon vorschlug, eine sogenannte "Trostfrauen-Statue" in seiner Stadt aufzustellen, da sagte der Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon spontan "Ja".
Es wäre die erste derartige Statue in Europa. In den USA, in Kanada und Australien stehen schon welche, und natürlich in Südkorea. Auf einer Delegationsreise nach Suwon hatte der Grünen-Politiker in einem städtischen Park selbst ein solches Denkmal gesehen. "Der Anblick hat mich berührt", sagt er.
Die sitzende Statue mit den ernst blickenden Augen symbolisiert ein ganz dunkles Kapitel der asiatischen Kriegsvergangenheit. Sie steht stellvertretend für geschätzt 200.000 meist koreanische Mädchen und Frauen, die während des Zweiten Weltkrieges in japanischen Frontbordellen ausgebeutet und zum Sex gezwungen wurden. Schläge, Folter, Vergewaltigung. Tagtäglich. Dazu die seelischen Wunden. Experten schätzen, dass mehr als zwei Drittel der Opfer die Torturen nicht überlebten und vor Kriegsende starben, beispielsweise an Krankheiten. Viele begingen auch aus Verzweiflung Selbstmord.
Offene Wunde seit mehr als 70 Jahren
Kein anderes Thema hat die Beziehungen zwischen Japan und Korea so sehr belastet wie dieses. Über Jahrzehnte dauerte nach dem Krieg die Eiszeit zwischen beiden ostasiatischen Ländern. Lange wurde das Trostfrauen-Problem komplett totgeschwiegen. Anfang der 90er Jahre ging die erste Zwangsprostituierte aus Südkorea mit ihrem Schicksal an die Öffentlichkeit, forderte eine Entschuldigung und Entschädigung für das zugefügte Leid. Japan aber erkannte seine Schuld nicht an. Zwar wurden private Fonds für die Opfer eingerichtet, diese aber gingen vielen Koreanern nicht weit genug.
Fast 70 Jahre nach Kriegsende einigten sich im Dezember 2015 schließlich die südkoreanische Präsidentin Park Geun-Hye und Japans Premierminister Shinzo Abe auf ein Abkommen. Es sah eine offizielle Entschuldigung Japans vor sowie einen Fonds in Höhe von umgerechnet rund 8,7 Millionen Euro für die wenigen Dutzend noch lebenden Frauen. Damit sollte das Problem endgültig vom Tisch sein.
Emotionales Thema - trotz diplomatischer Einigung
Davon ging auch Dieter Salomon aus. Ein Fehler, wie er rückblickend einräumt. "Das Thema ist für die Bevölkerung beider Länder bei Weitem nicht erledigt. Dieser Glaube war das grundsätzliche Missverständnis von unserer Seite aus. Die Tatsache, dass die Regierungen auf diplomatischem Weg für sich eine Lösung gefunden haben, bedeutet eben nicht, dass man jetzt in Japan und Südkorea entspannt damit umgehen kann."
Das Gegenteil ist der Fall. Bei Oberbürgermeister Dieter Salomon kommen derzeit ganz andere Reaktionen an aus Japan. Denn auch dort hat Freiburg eine Partnerstadt, schon seit 30 Jahren - was die Gesamtsituation nicht gerade erleichtert. "Ich habe mit meinem Amtskollegen in der japanischen Partnerstadt Matsuyama gesprochen", erzählt der Grünen-Politiker. "Er hat mir geschildert, dass er gerade sehr viele Mails bekommt." Es seien wütende Mails von Japanern, die nicht verstehen können, was da in der deutschen Partnerstadt Freiburg geschehen soll. "Die Leute bestürmen den Bürgermeister und sagen, so etwas könne doch wohl nicht sein."
Und das ist noch nicht alles: Auch auf diplomatischer Ebene ist der Fall mittlerweile angekommen. Die Botschaften in Tokio, Seoul und Berlin sind damit befasst. Als kulturelle Ignoranz möchte der Oberbürgermeister seine Reaktion auf den Statuen-Vorschlag aus Südkorea aber nicht bezeichnen. Er sei einfach "nicht genug involviert" gewesen, was die Brisanz der Trostfrauen-Problematik angehe, sagt Salomon. Natürlich habe er keine Gefühle verletzen wollen. "Ich habe das komplett unterschätzt. Und das tut mir sehr leid."
Ein Beispiel aus Australien
Für Reinhard Zöllner reicht das als Erklärung nicht aus. Er ist Professor in der Abteilung für Japanologie und Koreanistik der Universität Bonn. Seiner Meinung nach hätte Salomon eine solche Entscheidung nicht allein treffen sollen. Das australische Strathfield, ein Vorort von Sydney, stand vor gut einem Jahr vor genau derselben Situation: Trostfrauen-Statue - ja oder nein? "Dort wurde eine Umfrage in der Bevölkerung durchgeführt. Außerdem gab es eine öffentliche Anhörung im Rathaus. Und erst dann hat der Stadtrat entschieden", so Zöllner. In diesem Fall übrigens gegen eine Trostfrauen-Statue.
Die Statue an sich sehe sehr friedlich aus, meint Zöllner. Das Problem sei vielmehr der Kontext, in den sie gestellt werde. "Es geht hier im Grunde um eine moralische Verurteilung Japans." Aus genau diesem Grund lehnte Strathfield die Errichtung der Statue dann auch ab. "In dem Gutachten hieß es, es handle sich hier um ethnische Verunglimpfung der Japaner. Und aus Gründen des Friedens in der Gesellschaft könne man das nicht hinnehmen."
Streit um erste Trostfrauen-Statue in Seoul
Die Einigung, die die Regierungen in Seoul und Tokio im Dezember 2015 erzielten, bezeichnet der Historiker und Japanologe insgesamt als sehr fragil. "Es ist ein Kompromiss. Japan zahlt offiziell Geld zur Versorgung der noch lebenden Opfer. Und die koreanische Seite hat dafür zugestanden, das Thema international - beispielsweise in UN-Gremien - nicht mehr aufs Tapet zu bringen."
Und noch etwas beinhalte der ausgehandelte Deal. Einen für Südkorea sehr sensiblen Punkt, der nach Ansicht Zöllners wohl bewusst im Land "nur sehr klein gekocht" wurde. Es geht um die Beseitigung der ersten Trostfrauen-Statue, die 2011 in Seoul auf Privatinitiative errichtet wurde, unmittelbar vor der japanischen Botschaft. Seitdem ist diese Statue ein Zankapfel zwischen Japan und Korea. "Die japanische Regierung hat Südkorea wiederholt aufgefordert, sie zu beseitigen. Im Dezember hat Seoul dann zugesagt, mit den Gruppen, die hinter dieser Statue stehen, zu sprechen und eine Lösung im Sinne Japans herbeizuführen", erklärt Reinhard Zöllner. Bis heute allerdings steht die Statue an Ort und Stelle. Die japanischen Medien haben Südkorea deshalb vorgeworfen, sich nicht an die Vereinbarung zu halten.
Schadensbegrenzung nur durch Rückzieher?
In der derzeit geplanten Form kann eine Trostfrauen-Statue in Freiburg unmöglich zu einer Versöhnung beitragen, ist Japanologe Reinhard Zöllner überzeugt. Das müsse sich auch der Freiburger Oberbürgermeister klar machen. "Wenn er dabei bleibt, die Statue im aktuellen Kontext und in dem noch nicht abgeschlossenen Versöhnungsprozess zwischen Japan und Korea aufzustellen, dann nimmt er damit einseitig Partei für Südkorea."
Oberbürgermeister Salomon sitzt in der Zwickmühle. Denn natürlich möchte er auch die Südkoreaner nicht durch einen Rückzieher verprellen. Immerhin steht er bei seinem Bürgermeister-Kollegen aus Suwon, Yeom Tae-young, im Wort. Ein Drahtseilakt mit vielen Fettnäpfchen. Eine Lösung könnte nach Ansicht von Zöllner in einem veränderten Grundkonzept liegen. "Mein Vorschlag wäre, den Plan mit der Statue zu begraben und stattdessen Südkorea vorzuschlagen, dass Freiburg sich nach Kräften dafür einsetzt, durch gemeinsame historische Forschungsarbeit Deutschlands und Japans das Thema sexueller Missbrauch im Zweiten Weltkrieg aufzuarbeiten."
Eine weitere Alternative wäre seiner Meinung nach eine ganz andere Statue: mit anderem Design und einer anderen Intention. Ein Mahnmal, um auf das Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen in Kriegen insgesamt aufmerksam zu machen. "Und zwar unter dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass auch deutsche Soldaten solche sexuellen Verbrechen begangen haben." Durch diese Darstellung würde Japan nicht einseitig an den Pranger gestellt.
Sexuelle Gewalt im Krieg - nicht nur von Japanern
Anders als Japan sei Deutschland mit diesem Thema der eigenen Kriegsvergangenheit noch gar nicht öffentlich konfrontiert worden. "Dabei ist durchaus bekannt, dass es Bordelle der SS in Konzentrationslagern gab oder dass an der Ostfront Frauen vergewaltigt wurden." Sollte in Freiburg eine Trostfrauen-Statue errichtet werden, ohne dass dabei auch ein Bezug zu Deutschland und der deutschen Kriegsschuld hergestellt werde, wäre das in den Augen Zöllners ein "Skandal".
Genau um diesen offenen Umgang mit den dunklen Kapiteln der Vergangenheit seit es auch ihm bei der ganzen Sache gegangen, sagt Dieter Salomon. Der Grünen-Politiker ist Jahrgang 1960. Er sieht es als Pflicht der Nachkriegsgenerationen an, "solche Dinge nicht zu beschönigen", sondern anzusprechen und sich damit auseinanderzusetzen. "Aufarbeitung empfinde ich als Teil meiner Verantwortung, damit sich solche Dinge nicht wiederholen." Aus diesem Grund habe er "Ja" gesagt bei dem Telefonat mit seinem südkoreanischen Bürgermeisterkollegen.
Suche nach einer "Salomonischen Lösung"
Hätte man ihm vor ein paar Wochen gesagt, was für ein "Erdbeben" er mit seiner Entscheidung auslösen würde, er hätte es nicht geglaubt, sagt Salomon rückblickend. Heute sei er "in vielerlei Hinsicht schlauer". Für ihn geht es jetzt darum, den Schaden möglichst gering zu halten und die ganze Angelegenheit einigermaßen unbeschadet zu einem Abschluss zu bringen. Tagelang liefen deshalb intensive Beratungen mit sämtlichen Beteiligten.
Jetzt gibt es Neuigkeiten. In einem Gespräch mit dem Bürgermeister von Suwon habe Dieter Salomon erklärt, dass Freiburg die Trostfrauen-Statue nicht annehmen könne, hieß es von Seiten der Stadt. Herr Yeom habe darauf mit Verständnis reagiert. Und beide Partnerstädte würden jetzt darüber beraten, wie man das Thema in anderer Form aufbereiten könnte.