Freihandel: Aus dem Scheitern lernen?
8. November 2023Seit Mitte 2018 verhandelten die Europäische Union und Australien über ein Abkommen, das den Handel erleichtern und vergrößern soll. Der vorläufige Abbruch der Gespräche Ende Oktober kam für die EU überraschend.
Ein EU-Beamter sprach im Handelsblatt von einem "Zustand des Schocks". Und der deutsche Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) schimpfte: "Wenn wir selbst mit Australien - einer liberalen, im globalen Westen verankerten Demokratie - nicht zu Fortschritten kommen, ist das bedenklich."
Dabei hatten die Europäer große Hoffnungen in ein Abkommen mit Australien gesetzt. Zum einen ganz grundsätzlich: In einer Welt, die zunehmend von Konflikten, Abgrenzung und Protektionismus gekennzeichnet ist, wirken Freihandelsabkommen wie Zeichen, dass es auch anders geht.
Strategische Ziele
Neben den hehren Zielen gab es natürlich auch konkrete: Die EU ist an Australiens Rohstoffen interessiert - Seltene Erden, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren, aber auch grünen Wasserstoff als Energieträger. Außerdem hoffen europäische Hersteller, in Australien mehr Autos zu verkaufen.
Umgekehrt wolle Australien von der EU "vor allem Marktzugang für seine landwirtschaftlichen Erzeugnisse", sagt Evgeny Postnikov, Dozent für internationale Beziehungen an der University of Melbourne. Getreide und Rindfleisch sind wichtige Agrarprodukte des Landes.
Nach China und Japan ist die EU ist der drittwichtigste Handelspartner Australiens. Für die EU spielt Australien eine geringere Rolle, es liegt nur auf Platz 18 der Handelspartner. Der gemeinsame Handel hatte zuletzt ein Volumen von rund 56 Milliarden Euro bei Gütern und 26 Milliarden Euro bei Dienstleistungen, mit einem Handelsüberschuss der EU in beiden Fällen.
Streitpunkt Landwirtschaft
Gescheitert sind die Verhandlungen vor allem wegen der Landwirtschaft. Die EU soll zuletzt angeboten haben, australische Agrarprodukte im Wert von jährlich rund 600 Millionen Euro auf den europäischen Markt zu lassen. Zu wenig, fand Australien - eine Haltung, die Holger Görg, Außenhandelsexperte am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), nachvollziehen kann.
"Die EU hat 2022 Agrarprodukte im Wert von rund 200 Milliarden Euro importiert – das Angebot an Australien entspricht rund 0,3 Prozent der Gesamtimporte", so Görg zur DW. Das sei nur halb so hoch wie der Anteil aller Importe aus Australien, die einen Anteil von 0,6 Prozent an den Gesamtimporten der EU haben.
Ein weiterer Streitpunkt waren Herkunftsbezeichungen für Lebensmittel wie Parmaschinken, Fetakäse, Champagner oder Prosecco. "In der EU sind diese Bezeichnungen geschützt", sagt Görg. "In Australien wird das laxer gehandhabt, es gibt dort für viele EU-Produkte australische Alternativen mit ähnlichen Namen." Australien habe sich nicht auf EU-Vorschläge eingelassen, um diese Bezeichnungen stärker zu schützen.
Australische Farmer finden die Haltung der EU zu Produktbezeichnungen wie Feta oder Prosecco unfair. "In Australien wird die Verwendung dieser Namen eher als Zeichen für die andauernde Beliebtheit von Produkten verstanden, die aus Europa eingewanderte Landwirte mitgebracht haben", sagt Postnikov von der Uni Melbourne.
Im Gegensatz zu den hoch subventionierten Bauern in der EU erhalten Farmer in Australien keine oder nur sehr geringe staatliche Hilfen. Sie gelten als international wettbewerbsfähig und verkaufen ihre Produkte auch in große Märkte wie China. "Ein Abkommen mit der EU wäre für sie ein Bonus, aber nicht überlebenswichtig", so Postnikov zur DW. "Australien ist hier also in einer guten Verhandlungsposition."
Druck der Agrarverbände
So unterschiedlich die Landwirte in der EU und Australien sein mögen - der Agrarsektor hat hier wie dort großen Einfluss auf die Politik. "Die Agrarlobbies in Australien und der EU sind mächtig und wollten einen entsprechenden Kompromiss nicht eingehen", so Markus Wagner, Jura-Professor und Experte für Wirtschaftsrecht der University of Wollongong, südlich von Sydney.
"Die Lobby für grüne Energieträger war nicht stark genug, um diesen Widerstand zu durchbrechen, auch wenn dies strategisch von hohem Nutzen gewesen wäre", so Wagner zur DW.
Hinzu seien dann noch wahltaktische Überlegungen in Canberra und Brüssel gekommen. Die australische Regierung habe gerade erst ein von ihr initiiertes Referendum verloren - nicht zuletzt durch die Ergebnisse in ländlichen Gebieten. "Die Labor-Regierung kann und will diese Klientel nicht weiter vor den Kopf stoßen, zumal 2025 wieder Wahlen anstehen", so Wagner.
Und in Brüssel und den Hauptstädten der EU-Staaten sei man sich bewusst, dass nationalistische Parteien große Zugeständnisse in Handelsfragen leicht ausnützen können.
Schlechtes Zeichen für den Freihandel
Die EU konnte in diesem Jahr bereits ein Freihandelsabkommen mit Neuseeland unterzeichnen. Das Scheitern der Verhandlungen mit Australien sei nun ein Rückschlag für den regelbasierten Freihandel, den die EU und Australien eigentlich fördern wollte, glaubt Postnikov von der Uni Melbourne.
"Wenn sich diesen beiden Handelsmächte nicht auf ein gemeinsames Abkommen einigen können, dann ist das für alle Welt ein Zeichen, dass wir den Höhepunkt der Handelsliberalisierung wahrscheinlich schon erreicht haben." Andere Länder, gerade im Süden, würden die Entwicklung genau verfolgen.
Jetzt wird wohl vorerst lange nichts passieren. Es sei "wenig wahrscheinlich", dass die Verhandlungen vor 2025 wieder aufgenommen werden, sagte Australiens Landwirtschaftsminister Murray Watt. So lange läuft die Legislaturperiode der Labor-Regierung.
Prioritäten überdenken
Auch beim geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur spielt der Agrarsektor eine wichtige Rolle. Seit Jahrzehnten wird hier verhandelt, angepeilt ist derzeit eine Einigung bis Ende des Jahres.
Natürlich spiele Landwirtschaft und Ernährungssicherheit in allen Volkswirtschaften eine wichtige Rolle, sagt IfW-Handelsexperte Görg. "Aber in der heutigen Situation, in dem Handel neu gedacht wird, um Abhängigkeiten insbesondere von Rohstoffen zu vermeiden, sollten Prioritäten in Handelsabkommen überdacht werden."
In der EU habe der Agrarsektor nur einen Anteil von ein bis zwei Prozent an der Wirtschaftsleistung. "Da sollte schon darüber nachgedacht werden dürfen, ob dieser Sektor nicht weiter geöffnet werden kann, um dadurch Vorteile in anderen Sektoren, insbesondere bei Importen von Rohstoffen, zu ermöglichen."
Markus Wagner von der University of Wollongong sieht das ähnlich. "Der Druck der Agrarverbände wird auch im Hinblick auf Mercosur sehr hoch sein." Angesichts der schwierigen geopolitischen Weltlage müsse sich zeigen, ob die EU in der Lage ist, "über den Tellerrand der rein wirtschaftlichen Interessen hinaus zu sehen".