Freihandel von Alaska bis Feuerland
15. Juli 2003Seit Dezember 1994 verhandeln 34 Staaten des amerikanischen Doppelkontinents - alle Länder der Region, außer Kuba - über die Schaffung der Free Trade Area of the Americas (FTAA). Das Gebilde wäre mit 800 Millionen Konsumenten der größte Wirtschaftsblock der Welt, mit einem Drittel der globalen Wirtschaftsleistung und einem Viertel aller Exporte weltweit. Die EU zählt dagegen nur 380 Millionen Einwohner (nach der Osterweiterung knapp 500 Millionen) – und konkurriert mit den USA um Handelspartner in Lateinamerika.
Licht und Schatten des freien Handels
Die Realisierung der FTAA ist bis 2005 geplant. Dann soll der freie Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Kapital zwischen allen Mitgliedsstaaten der FTAA möglich sein. Das heißt zum Beispiel, dass die USA keine Zölle oder andere Einfuhrbeschränkungen mehr auf Bananen aus Ecuador oder Kupfer aus Chile erheben dürften. Dadurch werden diese Produkte billiger - und mehr gekauft.
Aber auch der Handel der lateinamerikanischen Staaten untereinander wird stimuliert. Kleinere Staaten der Region könnten vom freieren Zugang zu weiter entwickelten und größeren Märkten wie Mexiko, Argentinien oder Brasilien profitieren.
Das Projekt bringt den Beteiligten jedoch nicht nur Vorteile. Brasilien - gewichtigster Gegner des Projektes – warnt vor den negativen Folgen des Freihandels für die Entwicklungs- und Schwellenländer der Region, etwa durch mangelnde Wettbewerbsfähigkeit ihrer Industrieprodukte im Vergleich zu den nordamerikanischen Waren.
Zudem haben im Fall der 1994 gegründeten Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA (zwischen Mexiko, USA und Kanada) die von den USA in den Vertrag eingebrachten Deregulierungsauflagen für Mexiko einschneidende wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen mit sich gebracht. Parallel zur vorbildlichen Entwicklung der makroökonomischen Daten des Landes ist ein Niedergang der sozialen Indikatoren zu beobachten.
Ungleiche Partner
Auch beim Abschluss der FTAA-Verträge werden wohl die USA die Spielregeln diktieren. Manche Beobachter schätzen die Freihandelszone als "Ersatzprojekt" der USA für die WTO-Verhandlungen ein, bei denen die Nordamerikaner viele ihrer Forderungen aufgrund des Widerstands der EU und Japans nicht durchsetzen konnten.
Um der Übermacht der USA im FTAA-Prozess zu begegnen, drängt Brasilien auf eine gemeinsame Position der lateinamerikanischen Staaten – allerdings mit mäßigem Erfolg, da auch sie unterschiedliche Interessen verfolgen.
Wohlstand in der westlichen Hemisphäre
Die FTAA geht auf die 1990 vom damaligen US-Präsidenten George Bush formulierte "Enterprise for the Americas"-Initiative zurück. Zu dieser Zeit glänzten die lateinamerikanischen Staaten mit enormen Wachstumsraten - ein Ergebnis der Demokratisierung und der wirtschaftlichen Öffnung dieser Länder im Laufe der 1980er-Jahre. Mit der Ausweitung des Freihandels auf die gesamte westliche Hemisphäre verband die US-Regierung die Hoffnung, die Demokratie und die politische Stabilität in Lateinamerika zu konsolidieren, was eigenen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen entgegen kommen würde.
Langfristig könnte die FTAA zur weitergehenden Integration der Mitgliedsstaaten führen. Beobachter meinen, aufgrund von mehr Handel und Kapitalverkehr in der Region werde sich früher oder später die Frage nach einer Währungsunion stellen. Eine Ausweitung der Dollarwährung von Hawaii bis Patagonien wäre denkbar. Ein einheitlicher Währungsraum wiederum würde jedoch auch ein gewisses Maß an politischer Integration erfordern.
Auf globaler Ebene wollen die USA ihre wirtschaftliche Potenz gegenüber den beiden anderen großen Wirtschaftsregionen, Ostasien und Europa, stärken.
Wo bleibt Europa?
Prinzipiell verbietet die Teilnahme an der FTAA nicht den Abschluss neuer Handelsverträge mit anderen Staaten, also auch nicht mit der EU. Der Freihandel soll in Form von bilateralen Verträgen zwischen allen Mitgliedsstaaten realisiert werden. Sie werden demnach – anders als die Staaten der EU - keine Souveränitätsrechte an supranationale Institutionen abgeben.
Eine Hoffnung für Europa ist, dass auch die Lateinamerikaner weiter die Annäherung an den alten Kontinent suchen, zu dem sie traditionell enge Verbindungen pflegen. Dies soll die Abhängigkeit vom mächtigen Nachbarn USA verringern. So verhandeln derzeit sowohl Zentralamerika als auch der Mercosur (Integrationsverbund zwischen Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay, mit Chile und Bolivien als assoziierten Mitgliedern) über Freihandelsabkommen mit der EU – Chile und Mexiko haben bereits abgeschlossen.
Die größte Sorge der Europäer dürfte sein, dass sie ihren Einfluss auf Lateinamerika an die USA abgeben und damit die einzige verbleibende Supermacht auf der geopolitischen Bühne zusätzlich gestärkt wird.