Freihandelsabkommen: Nachteil für die Bürger?
17. Februar 2014Seit dem vergangenem Jahr verhandelt die Europäische Kommission mit den US-Amerikanern über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Sie soll die größte Freihandelszone der Welt schaffen, mit rund 800 Millionen Menschen. Die Zölle sollen sinken und andere, nicht-tarifäre Handelshemmnisse abgebaut werden. Geplant ist etwa, unterschiedliche Standards beim Umwelt-, Gesundheits- oder Verbraucherschutz zu vereinheitlichen, außerdem Zulassungsverfahren und die Vergabe öffentlicher Aufträge.
Dadurch sollen der Handel und die Wirtschaft wachsen und neue Arbeitsplätze entstehen, versprechen die verhandelnden Parteien. Um das zu belegen, beruft sich die EU-Kommission auf Studien wie jene, die die Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben hat. Der Hauptautor der Studie, Gabriel Felbermayr vom Münchner ifo-Institut, erwartet durch das Abkommen einen Anstieg des Handels zwischen Deutschland und den USA um bis zu 90 Prozent.
Große Zahlen ganz klein
Rein rechnerisch würde auch das Pro-Kopf-Einkommen steigen - im optimistischsten Szenario in Europa im Durchschnitt um 4,95 Prozent in einem Zeitraum von 15 Jahren. Noch mehr davon hätten die US-Amerikaner - bei ihnen könnte das Pro-Kopf-Einkommen um bis zu 13,4 Prozent steigen. Schaut man sich aber an, wie viel das pro Jahr ist, sind die Zahlen nicht mehr so beeindruckend. In Europa betrage der Anstieg nur rund 0,5 Prozent im Jahr, bestätigt Felbermayr.
Die EU-Kommission verspricht, allein in Deutschland würden durch das Freihandelsabkommen rund 180.000 neue Arbeitsplätze entstehen. "Das stimmt", sagt Felbermayr. "Unabhängig davon, wie das Freihandelsabkommen im Endeffekt ausgestaltet sein wird, die Beschäftigungseffekte sind in allen Szenarien positiv."
Positiv, aber gering - selbst im optimistischsten Szenario. "Da reden wir von 0,4 Prozent zusätzlicher Beschäftigung in Deutschland über einen Zeitraum von 15 Jahren." Wer mit der Situation auf dem Arbeitsmarkt unzufrieden sei, solle lieber zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen greifen, die seien wirkungsvoller als ein Freihandelsabkommen, so Felbermayr.
Nachteile für Bürger
Wenig Wachstum, wenig neue Arbeitsplätze - sind die Vorteile für die europäischen Bürger also nur bescheiden? Pia Eberhard befürchtet sogar, Verbraucher könnten durch das Abkommen erhebliche Nachteile haben. Sie arbeitet für Corporate Europe Observatory, eine Gruppe, die sich die Überwachung von Lobbyisten zur Aufgabe gemacht hat.
Eberhards Sorge: Beim Verbraucherschutz könnten Standards aufgeweicht werden. "Die Gefahren liegen in unsicheren Lebensmitteln. Es könnte mehr Gentechnik auf unseren Tellern landen und auch Produkte wie Hühnchen, die mit Chlor desinfiziert werden und bisher in der EU verboten sind." Bei solchen Themen habe die US-Agrarindustrie deutlich gemacht, dass sie mehr Marktöffnung sehen möchte, so Eberhard.
Standards, die Gesundheit, Umwelt und Arbeitnehmerrechte schützen sollen, sieht sie ebenso in Gefahr wie eine bessere Regulierung der Finanzmärkte. Nichtregierungsorganisationen befürchten außerdem, dass Fracking in Europa Einzug halten könnte, also der umstrittene Einsatz von Chemikalien, um in Erdschichten gelagertes Gas abzubauen. Weitere Kritikpunkte betreffen den erschwerten Zugang zu Kultur, Bildung und Wissenschaft, weil Urheberrechte sehr weit gefasst werden könnten.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit
EU-Chefunterhändler Ignacio Garcia Bercero hatte jüngst betont, es gebe "rote Linien", die aus Sicht Europas nicht überschritten werden dürften. Doch beruhigen kann er die Kritiker damit nicht - vor allem, weil die Verhandlungen mehr oder weniger geheim sind.
"Die Verhandlungstexte werden nicht veröffentlicht", sagt Pia Eberhard von Corporate Europe Observatory. Während jedes Gesetz in Europa in seinen unterschiedlichen Stadien veröffentlicht wird, könne man die Texte zu TTIP nicht öffentlich einsehen. "Wir haben deshalb kaum Möglichkeiten einzuschätzen, welche Chancen oder Risiken dieses Abkommen birgt."
Dagegen könnten Lobbyisten der Industrie die Verhandlungen beeinflussen. "Wir wissen aus internen Dokumenten der Europäischen Kommission, dass sie sich in der wichtigen Phase der Verhandlungsvorbereitung fast ausschließlich mit Konzernen und ihren Lobby-Gruppen getroffen hat", sagt Eberhard. "Dagegen hat es damals kein einziges Treffen mit einer Umweltorganisation, einer Gewerkschaft oder einer Verbraucherschutzorganisation gegeben."
Was über die Verhandlungen bekannt ist, komme aus durchgesickerten Verhandlungstexten oder werde von "den Wunschzetteln der transnationaler Konzerne" abgeleitet, so Eberhard. Um aber wirklich beurteilen zu können, welche Chancen und Risiken in dem Abkommen stecken, müsse man die Texte sehen. "Das ist eine hoch komplexe juristische Materie. Da ist jeder Querverweis, jedes Komma relevant", sagt die Aktivistin. "Schriftliche oder mündliche Zusammenfassungen der EU-Kommission reichen nicht aus."
Sondergerichtsbarkeit für Investoren
Besonders industriefreundlich sind die bislang diskutierten Verfahren zur Streitschlichtung zwischen Investoren und Staaten (ISDS). Würden sie umgesetzt, könnte jeder Investor, der sich benachteiligt fühlt, vor einem ad hoc eingerichteten dreiköpfigen Schiedsgericht klagen. Solche Gerichte bestehen aus einem Abgesandten des betroffenen Staates, einem des Unternehmens und einer Person, auf die sich beide Parteien einigen. Anfechtbar wären die Urteile dieses Gremiums nicht mehr.
"Aus zivilgesellschaftlicher Sicht sind diese Schiedsgerichte überflüssig wie ein Kropf", sagt Peter Fuchs, Geschäftsführer bei Power Shift, einem ökologischen Wirtschaftsverein. Anwaltsfirmen und starke Wirtschaftslobbys wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wollten damit ein paralleles Rechtssystem schaffen.
"Die Unternehmen können anscheinend den Hals nicht voll bekommen. Sie wollen Entscheidungen der Politik oder auch der Gerichte bekämpfen können, und zwar außerhalb der bestehenden Rechtssysteme", sagt Fuchs. "So haben sie die Möglichkeit, an Entschädigungen zu kommen und den Handlungsspielraum der Regierungen in Europa und den USA einzuschränken."
Konkrete Ängste
So habe der US-Energiekonzern Chevron in seiner Eingabe zum TTIP deutlich Investorenschutz und zusätzliche Klagerechte gefordert. Hintergrund sei der Plan des Konzerns, auch in Europa Erdgas durch Fracking zu fördern. "Wenn es dann Moratorien und Umweltregulierung dagegen gibt, möchte der Konzern das angreifen können", sagt Fuchs.
"Wir sehen fassungslos mit an, wie die Politik ihre eigenen Regulierungskompetenzen und auch rechtsstaatliche Entscheidungsmechanismen aushebelt und eine wahnsinnige Macht in diese privaten Schiedsgerichte delegiert", so Fuchs weiter. "Das ist ein von der Politik gemachtes zusätzliches Recht für Konzerne. Und hinterher schränkt es genau diese Politik ein, aber auch unser Rechtssystem."
Einlenken der EU Kommission
Aufgrund der starken Kritik hat die Europäische Kommission die Verhandlungen zu den Schiedsgerichten vorerst ausgesetzt. Außerdem verkündete sie, die Verhandlungen sollten transparenter werden.
"Trotzdem haben wir bis heute keine Verhandlungstexte gesehen. Und ohne diese Texte gibt es keine Transparenz", wendet Pia Eberhard ein. "Auch was die Einbindung der Zivilgesellschaft betrifft, sehen wir, dass die EU-Kommission weiterhin hauptsächlich Interesse an den Wunschlisten der Unternehmen hat."
Europa habe inzwischen zwar ein Gremium eingerichtet, in dem neben der Wirtschaft auch kritische Verbände vertreten sind, sagt Peter Fuchs von Power Shift. Aber auch sie seien an scharfe Geheimhaltungspflichten gebunden. "Die dürfen uns also nicht Verhandlungstexte zeigen und diese öffentlich mit den Bürgerinnen, der Wissenschaft oder ihren eigenen Organisationen diskutieren", so Fuchs. "Geheimhaltung bleibt die strenge Regel in diesen handelspolitischen Prozessen."
Im März treffen sich wieder die Unterhändler, um über den Freihandelspakt zu verhandeln. Offiziell soll der Deal bis zum Herbst weitgehend stehen. Doch es bleibt offen, ob das TTIP-Abkommen vor den US-Präsidentschaftswahlen 2016 abgeschlossen werden kann.