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Freispruch eine Rassenfrage?

Gero Schließ, Washington14. Juli 2013

Auch nach dem Urteil spaltet der Fall die USA. Ein schwarzer Teenager wird erschossen, viele glauben an Rassismus als Motiv. Jetzt ist der Todesschütze frei - und in den Vereinigten Staaten regt sich Protest.

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REFILE - CORRECTING GRAMMAR OF VERB A mock chalk outline along with candy and a soft drink similar to that bought by Trayvon Martin before his death are pictured during a rally in reaction to a not guilty verdict for George Zimmerman in New York July 14, 2013. Cleared by a Florida jury, Zimmerman walked free from criminal charges in the shooting death of unarmed black teenager Martin but still faces public outrage, a possible civil suit and demands for a federal investigation. REUTERS/Eric Thayer (UNITED STATES - Tags: CIVIL UNREST CRIME LAW POLITICS)
George Zimmerman im Prozess um Tod von Trayvon Martin freigesprochenBild: Reuters

Das Thema wühlt die Amerikaner auf und beschäftigt nicht nur die großen Fernsehsender, sondern auch die Besucher der Sonntagsmesse in St. Augustine, der Hauptkirche der afro-amerikanischen Katholiken in Washington. "Ein hellhäutiger Mann hat einen Afro-Amerikaner erschossen; es ist so einfach, daraus eine Rassenfrage zu machen. Aber wir sollten behutsam sein und daraus lernen", sagt der junge Raymond Umunna am Tag nach dem Freispruch der DW. Andere argumentieren nicht so bedächtig. Eine Kirchgängerin, die nicht genannt werden will, schimpft auf die parteiischen Strafverfolger.

Demonstrant hält us-amerikanische Fahne auf die mit einem Edding "#justice" geschrieben ist (Foto: REUTERS/Keith Bedford)
Nach dem Urteil protestierten überall in den USA MenschenBild: Reuters

Und das Internet ist voll von Schmähungen für den freigesprochenen George Zimmerman und das Gericht. Man solle ihn hängen, schreibt einer. Ein anderer postet enttäuscht, es gebe eben keine Gleichheit vor dem Gesetz.

Der ältere Zeitungsverkäufer vor der Kirchentür seufzt, es sei "eine traurige Angelegenheit", schließlich sei Trayvon Martin unbewaffnet gewesen. Für ihn handelt es sich nicht nur um eine Rassen-, sondern auch um eine Status-Frage, denn Zimmerman sei der Sohn eines Richters. "Sie machen, was sie wollen", sagt er resigniert und wendet sich ab.

Der Freispruch für George Zimmerman, der den 17-jährigen Afro-Amerikaner Trayvon Martin in einem kleinen Ort in Florida in Notwehr erschossen haben will, lässt drinnen in der Kirche auch den Pfarrer nicht los. Unzählige Fälle von persönlich erlebter Diskriminierung und Ausgrenzung nennt er in seiner Predigt. Um am Schluss mit dem Hinweis auf den "Barmherzigen Samariter" seine Gemeinde aufzufordern, trotz allem mit gutem Beispiel voran zu gehen.

Verantwortung der Politik

Michael Werz vom "Center for American Progress" in Washington verweist gegenüber der DW auf die Verantwortung der Politik. Das in Florida gültige "Stand Your Ground" Gesetz erlaube im Falle einer bedrohlichen Auseinandersetzung den Gebrauch einer Waffe, selbst wenn die Möglichkeit bestünde, sich aus der Gefahrensituation zu befreien. Werz deutet diese "rechtlich Grauzone" als ideale Rahmenbedingung für Menschen wie George Zimmerman, die sich als "Privatpolizisten" verstehen, in ihrer Nachbarschaft bewaffnete Wachgänge unternehmen "und versuchen, Leute aus dieser Nachbarschaft zu verdrängen, von denen sie glauben, dass sie dort nicht hingehören".

Michael Werz vom Center for American Progress
Michael Werz vom "Center for American Progress"Bild: Michael Werz

Kein Zweifel, dass zumindest an dieser Stelle die Rassenfrage eine Rolle gespielt hat. "Trayvon Martin war ja jemand, der in jedes Vorurteils-Schema hineinpasst", so Werz. "Insofern hat dieser Fall hier in den Vereinigten Staaten ein hohes Maß an politischem Brennstoff erzeugt."

Obama wirbt für verschärftes Waffengsetz

Präsident Barack Obama mahnte seine Landleute am Sonntag (14.07.2013), das Urteil zu respektieren. "Wenn ich einen Sohn hätte, sähe er Trayvon ähnlich", tröstete er die Eltern des Opfers und nutzte den Fall Zimmerman gleichzeitig, um erneut für seine Initiative eines verschärften Waffengesetzes zu werben. Der Bürgerrechtler Jesse Jackson rief zur Besonnenheit auf. Er verwies allerdings darauf, dass in die Jury des Gerichts kein Angehöriger der schwarzen Bevölkerungsgruppe berufen worden war. Martins Eltern hatten den Behörden vorgeworfen, nicht angemessen ermittelt zu haben, weil ihr Sohn schwarz war.

Michael Werz hat für diese Vorwürfe Verständnis: "Es gib ein Mischungsverhältnis von ethnischer Herkunft, Hautfarbe und sozialer Benachteiligung, das Leute häufig in eine Situation bringt, in der sie von der Polizei und den Gerichten in eine Verliererposition gestellt werden."

Systematische Diskriminierung?

Herrscht in den USA knapp 50 Jahre nach Martin Luther Kings berühmter Rede "I have a dream" immer noch eine systematische Diskriminierung der schwarzen Minderheit? Es scheint ein weit verbreitetes Alltagsbewusstsein zu geben, dass Hautfarbenunterschiede in den USA weiterhin eine Rolle spielen, auch wenn dies nach Meinung der überwiegenden Mehrheit eigentlich nicht sein dürfte. Dies gilt übrigens auch für das Verhältnis der Bevölkerungsgruppen untereinander. Zimmerman hat ja als "white hispanic" einen lateinamerikanischen Hintergrund.

In den amerikanischen Medien wie auch im Internet steht die Rassenfrage denn auch im Mittelpunkt hoch emotionaler Auseinandersetzungen. "Es ist so, dass Vorurteile eine Rolle spielen, dass es Alltagsrassismus in den Vereinigten Staaten gibt", sagt Michael Werz, der schon lange in den USA lebt. "Aber der Dreh- und Angelpunkt und der große Erfolg der Bürgerrechtsbewegung war es ja, die individuellen Ansprüche auf Gleichbehandlung so stark gesetzlich zu verankern - in der Alltagspraxis von öffentlichem Nahverkehr, Universitäten, Institutionen der Regierung -, dass dort eine systematische Diskriminierung sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist."