Freispruch für Oppositionsführer Anwar
9. Januar 2012Richter Mohammed Zabidin Diah verkündete am Montag das mit Spannung erwartete Urteil des Obersten Gerichts in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur: Er sprach Oppositionsführer Anwar Ibrahim vom Vorwurf der Homosexualität frei. Anwar war eine homosexuelle Beziehung zu einem ehemaligen Mitarbeiter vorgeworfen worden. Der Prozess war weltweit umstritten, Menschenrechtler sahen politische Motive als Anlass für die Anklage.
Es gebe nicht genügend Beweise, um die Anschuldigungen zu stützen, so der Richter. Er könne sich nicht auf umstrittene DNA-Beweise stützen, die die Staatsanwaltschaft vorgelegt habe. Bei einem Schuldspruch hätten dem Oppositionsführer 20 Jahre Haft gedroht, denn Homosexualität ist in dem muslimischen Land illegal. Der nun beendete Prozess dauerte rund zwei Jahre.
Anwar verspricht politischen Wechsel
"Gott sei Dank, es wurde Gerechtigkeit geübt", sagte Anwar nach der Urteilsverkündung. Der 64-Jährige umarmte seine Frau, seine Kinder und andere Oppositionspolitiker. Vor dem Gerichtsgebäude brachen tausende seiner Anhänger in Jubel aus. Anwar hatte die Vorwürfe stets als absurd bezeichnet und der Regierungskoalition einen Komplott vorgeworfen, um seine politische Karriere zu beenden. Er bezeichnete die Anklage als Versuch der Regierung, seinen Sieg bei den bevorstehenden Parlamentswahlen zu verhindern.
Der Oppositionsführer versprach seinen Anhängern, bei den nächsten Wahlen werde die jetzige "korrupte" Regierung abgelöst. "Mein Augenmerk gilt jetzt den nächsten Wahlen", sagte Anwar. "Nach diesem wichtigen Sieg ist mein Kopf jetzt frei für die Arbeit." Anwar will die seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1957 regierende UMNO-Partei mit ihren Koalitionspartnern stürzen. Das hatte er bereits bei einer Kundgebung vor zehntausenden Anhängern am Wochenende bekräftigt. Die Wahlen müssen spätestens im Frühjahr 2013 stattfinden, Premierminister Najib Razak kann sie aber auch früher ausrufen.
Die Regierung verkündete, sie begrüße das Urteil. Es beweise, dass Malaysia eine unabhängige Justiz habe, erklärte Informationsminister Rais Yatim.
Menschenrechtler kritisieren Prozess als politisch
Menschenrechtler kritisierten das Verfahren als Schauprozess. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International hatten die Vorwürfe gegen Anwar stets angezweifelt. "Das Verfahren gegen Anwar war politisch motiviert und durchzogen von Unregelmäßigkeiten", teilte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch mit und begrüßte das Urteil. Ungeachtet der politischen Dimension des Prozesses gegen Anwar rief Human Rights Watch die Regierung auf, das Gesetz, das gleichgeschlechtliche Beziehungen verbietet, aufzuheben. Der Freispruch habe viele Menschen überrascht, weil die Mehrheit ebenfalls an die Komplott-Theorie glaubte, sagte Johann Tan, Direktor der malaysischen Menschenrechtsorganisation "Pusat Komas".
Anwar hat bereits in der Vergangenheit einen ähnlichen Prozess erlebt – in einem Moment, als er der Regierungskoalition gefährlich wurde. Damals war er Mitglied von UMNO und stellvertretender Regierungschef. Er hätte dem damaligen Regierungschef Mahathir Mohammed im Amt nachfolgen sollen, bevor er sich mit diesem 1998 überwarf und in die Opposition ging. Wenig später wurde der Politiker in einem Prozess, der weithin als politisch motiviert kritisiert wurde, wegen Homosexualität und Betrugs zu sechs Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wegen Homosexualität wurde später aufgehoben, dennoch verbrachte Anwar insgesamt fünf Jahre im Gefängnis.
2004 kam Anwar wieder frei und setzte sich an die Spitze der Opposition. Diese konnte bei der Parlamentswahl 2008 mehr als ein Drittel der Sitze erringen. Er verhinderte erstmals die sonst übliche Zweidrittelmehrheit der Koalition. Die neue Anklage wegen Homosexualität erfolgte im selben Jahr - nur wenige Wochen nach Anwars Wahlerfolg bei der Parlamentswahl.
Autorin: Naima El Moussaoui (dpa, afp, dapd)
Redaktion: Julia Elvers-Guyot