Israels Umgang mit afrikanischen Flüchtlingen
13. März 2013Yigal Shtayim erinnert sich noch gut an den Moment, als er sich dazu entschloss, nicht mehr länger weg zu sehen. "Vor einem Jahr starb ein Mann hier im Lewinsky-Park in Tel Aviv. Unbemerkt von all den Menschen. Vermutlich war es ein Äthiopier." Der Winter war kalt, und obwohl der Mann krank war, schlief er draußen. Dass sich niemand um ihn kümmerte, empörte den Künstler und Enkel deutscher Holocaust-Überlebender aus Berlin. Und es beschämte ihn. "Jemand stirbt, weil sich niemand um ihn kümmert. Wie kann das in einem so wohlhabenden Land wie Israel passieren?"
Aus Scham und vor allem aus Wut auf die Ignoranz mancher Politiker und auf die Vorurteile vieler seiner Landsleute schilderte Shtayim im Internet die Situation der Flüchtlinge und bat andere um Hilfe. Bald war für die Hilfsaktion der Name "Suppe für Lewinsky" gefunden, weil es zunächst ganz einfach um Nahrungshilfen ging. Inzwischen sorgen die Aktivisten aber auch für Kleidung und leisten Unterstützung bei Behördengängen. Auch wollen sie eine Betreuung für Kinder aufbauen. Die Aktion fand Anklang: "Wir haben über das Internet innerhalb kürzester Zeit viele hilfsbereite Menschen erreicht." Manche Helfer sind regelmäßig da, manche drei Monate lang, manche nur einmal - jeder, wie er will und kann.
Lange Schlangen vor der Essensausgabe
Abend für Abend versorgen Shtayim und seine Mitstreiter die Flüchtlinge mit einer warmen Mahlzeit. Wie jeden Tag gibt es auch heute eine Suppe. "Sie wird von zwei Restaurants gespendet", erklärt Yigal. Noch bevor Teller, Besteck und Getränke arrangiert sind, stehen bereits etwa 50 Männer in einer Schlange vor dem Stand. "Anfangs haben wir manchmal 800 Essen an einem Abend ausgegeben, inzwischen sind es um die 150."
Verköstigt wird auf diese Art nur der kleinste Teil der überwiegend aus Eritrea und dem Sudan stammenden Flüchtlinge. Nach Angaben der israelischen Einwanderungsbehörde halten sich rund 60.000 Migranten im Land auf. Die meisten davon sind bereits vor zehn Jahren eingereist und haben sich trotz ihres überwiegend illegalen Status inzwischen etabliert. In den vergangenen drei Jahren stieg die Zahl der Ankommenden auf monatlich rund 2000.
Israel sieht seine Existenz bedroht
Aufgrund der öffentlichen Stimmung, die sich mehr und mehr gegen die Einwanderer richtete und aus ganz pragmatischen Gründen - es gibt schlicht nicht so viel Platz - beschloss die Regierung Netanjahu, Maßnahmen zu ergreifen. "Das Phänomen der illegalen Eindringlinge aus Afrika ist extrem ernst, und es bedroht Israels soziales Gefüge sowie die nationale Sicherheit. Wenn wir dieses Problem nicht lösen, werden aus 60.000 Eindringlingen schnell 600.000. Das könnte das Ende des Staates Israel als jüdischer und demokratischer Staat bedeuten", erklärte der Premier.
Seitdem ist die Zahl der Migranten rapide gesunken: Im Dezember 2012 kamen gerade noch 37 Flüchtlinge illegal ins Land. Dafür gibt es mehrere Gründe. Vor einem Jahr hatte es immer häufiger Proteste der Bewohner in dem Tel Aviver Stadtviertel gegeben. Anlass war unter anderem eine Vergewaltigung, die ein Flüchtling begangen haben soll. Es kam zu Gewalt gegen die Fremden. Die Likud-Abgeordnete Miri Regev bezeichnete die Flüchtlinge "als Krebsgeschwür". Von allen Seiten hieß es, Israel würde von Flüchtlingen aus Eritrea und dem Sudan überschwemmt. Dem müsse ein Riegel vorgeschoben werden. Diese Stimmung schreckte nicht wenige potentielle Flüchtlinge offenbar ab.
Fragwürdige Abschiebungspraxis
Vor allem aber errichtete die Regierung an der Grenze zu Ägypten einen neuen Sperrzaun. Über diese Grenze waren bislang viele Flüchtlinge aus dem Sudan nach Israel gelangt. Außerdem hat der Staat begonnen, die "Eindringlinge", wie sie offiziell genannt werden, systematisch zur Ausreise zu drängen. Dazu hat die Knesset vergangenen Sommer ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Wer nicht einwilligt, dem droht Haft - ohne Prüfung der Fälle, und das auf Jahre. Von der Regelung sind auch Frauen und Kinder nicht ausgenommen. Und das, obwohl Israel die Flüchtlingskonvention der UNO unterzeichnet hat. Diese sieht vor, dass kein Flüchtling „auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde“.
Kürzlich wurde bekannt, dass Israel dennoch bereits 1000 Süd-Sudanesen über Drittländer zurückgeschickt hat. In ihrer Heimat müssen sie um ihr Leben fürchten. Die dortige Regierung hat bereits entsprechende Drohungen geäußert.
Reis macht reich
Zu den bereits existierenden Problemen kommen noch die Flüchtlinge, die der Staat aus den Auffanglagern in das Tal Aviver Hatikwa-Viertel transportiert, in dem die Hilfsinitiative aktiv ist. Dort überlässt er sie sich selbst. Sie erhalten weder Unterkunft, Essen, medizinische Hilfe, Geld, noch dürfen sie arbeiten. Asylanträge sind sinnlos, sie werden meist erst gar nicht angenommen.
Eben darum sehen sich Yigal und seine Mitstreiter gefordert. "Wir sind einfach nur Leute, die helfen wollen." Geld spenden? Geht nicht, es gibt kein Konto. "Es ist besser, ein paar Kilo Reis zu kaufen", erklärt Yigal. "Investiere 50 Schekel (rund 10 Euro) und du kannst eine Menge Leute damit satt machen. Das ist Reichtum."