Frieden auf dem Lehrplan
26. Oktober 2010Dedang Danlami ist Lehrer an der Government Secondary School Laranto in Jos. "Frieden", ruft er den Mitgliedern des Peace Clubs zu. Es ist eine freiwillige Arbeitsgemeinschaft, die Schulen in und um Jos immer häufiger einrichten. Die Entstehungsgeschichte ist traurig. Denn in den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die so ruhig und idyllisch wirkende Stadt im nigerianischen Plateau-Staat zum Symbol für Kämpfe zwischen Christen und Muslimen geworden. Ganz besonders die Kinder und Jugendlichen der Region leiden unter der Gewalt. Denn anders als ihre Eltern kennen sie gar keine friedlichen Zeiten mehr.
Sieben Schüsse trafen den Bruder
Abdulsamad S. Ibrahim nickt stumm. "Einer meiner Brüder ist gestorben. Sieben Schüsse", sagt der 18-Jährige und denkt nur ungern an jene Märztage zurück, an denen mehrere hundert Menschen ums Leben kamen. Doch trotz der großen Trauer und der inneren Wut hat Abulsamad keine Sekunde an Rache gedacht: "Die bringt doch nichts."
Dazu beigetragen haben könnte der Friedensclub, den der Moslem seit einem Jahr besucht. Dort geht es genau darum, Gewalt nicht mit Gewalt zu beantworten. Außerdem diskutieren Abdulsamad und seine Mitschüler über die Ursachen der Konflikte. Denn anders als häufig dargestellt, ist es längst nicht nur ein Kampf zwischen Christen und Muslimen. Vielmehr spielen ethnische, politische und wirtschaftliche Aspekte eine große Rolle. Und noch eins ist für die jungen Menschen enorm wichtig: Im Friedensclub können sie ganz offen über persönliche Ängste und Erfahrungen sprechen.
Eingreifen, bevor es zu spät ist
Am staatlichen College für Wissenschaft und Technik in Bukuru am Stadtrand von Jos gibt Lehrer Jackdell Joshua ihnen dazu Gelegenheit. Seit fünf Jahren ist er in der Friedenserziehung aktiv. Immer wieder erlebt er, wie wichtig es ist, dass die Jugendlichen ihre Erlebnisse verarbeiten. Gleichzeitig setzt er auf Präventionsmaßnahmen. "Wir bringen ihnen Frühwarnsysteme bei, damit es erst gar nicht zu Ausschreitungen kommt." Schon im Schulumfeld sollen sie ein Gespür für mögliche Konflikte entwickeln – und diese so gut es geht selbst lösen. Falls das nicht klappt, helfen die Lehrer, damit die Situation nicht eskaliert.
Gleich zweimal pro Woche sollen sich die Schüler des Friedensclubs in Bukuru treffen, so steht es jedenfalls in der Satzung. "Das klappt leider nicht immer", bedauert der Lehrer. Kommt es zu Ausschreitungen, dann muss häufig Unterricht nachgeholt werden. Für Friedenserziehung bleibt keine Zeit. Deshalb wünscht sich Jackdell Joshua vor allem eins: "Die Friedensclubs müssen zum regulären Unterrichtsfach werden."
Regierung kümmert sich wenig um Frieden in Jos
Immerhin gibt es die Friedensclubs an staatlichen Schulen als Arbeitsgemeinschaften. Ins Leben gerufen hat sie allerdings das Zentrum für Friedensförderung in Nigeria, kurz Cepan. Seit Jahren bemühen sich die Mitarbeiter um ein friedliches Jos. Dabei fühlt sich Leiter Samuel Goro immer wieder allein auf weiter Flur – vor allem, wenn er das Engagement von Politikern beobachtet. "Was machen sie wirklich? Arbeiten sie tatsächlich für die Menschen in Nigeria?", fragt er sich oft. Denn die meisten Friedensinitiativen stammen von privaten Organisationen, die oft auf Gelder aus dem Ausland angewiesen sind.
Solange ihre Politiker wegsehen, bleibt den Jugendlichen im Plateau-Staat die große Angst vor neuen Ausschreitungen. Eine Angst, die auch Schülerin Khadijah Ibrahim Aliyu immer mit sich herumträgt. Im März wurde ihre Schwester schwer verletzt. "Deshalb möchte ich dort leben, wo es Frieden gibt", sagt Khadijah. Und sie will selbst dazu beitragen – als Mitglied des Friedensclubs.
Autorin: Katrin Gänsler
Redaktion: Nicola Reyk