Friedenskonzert in Kaschmir
9. September 2013Feiner Nebel stieg vom Dal See in Srinagar, Kaschmir, auf. Ein Konvoi aus zehn weißen Minibussen jagte auf der Uferstraße entlang. Davor, dazwischen, dahinter weiße Militärjeeps. Auf der offenen Ladefläche je zwei Soldaten der indischen Armee, die Gewehre im Anschlag. In den Bussen saßen rund 80 Musiker des Bayerischen Staatsorchesters und Maestro Zubin Mehta. Am vergangenen Samstag (07.09.2013) waren sie auf dem Weg, das erste Konzert mit europäischer Klassik in Kaschmir zu spielen. Ein Friedenskonzert für die Menschen der seit Jahrzehnten von Gewalt und Unruhen geprägten Region im Himalaya. Es stand unter dem Motto "Ehsaas-e-Kashmir" - Gefühl für Kaschmir.
Musik zur Versöhnung
Seit Zubin Mehta 1974 zum ersten Mal Kaschmir besuchte, hatte er davon geträumt, ein Konzert zur Versöhnung in diesem Land zu geben, Gemeinsamkeiten finden statt Hass spüren - das liegt dem in Bombay geborenen Dirigenten am Herzen. Nicht nur in Kaschmir. Im israelischen Nazareth hat er für ein rein arabisches Publikum ein Konzert gegeben und 1994 in der im Bosnien-Krieg ausgebombten Nationalbibliothek in Sarajevo.
In Srinagar raste sein Konvoi vorbei an hunderten von schwer bewaffneten Soldaten, Maschinengewehren, Schilden und Knüppeln. Ansonsten waren die Straßen wie leer gefegt. Wie mag sich Zubin Mehta gefühlt haben? Hornist Johannes Dengler sah angespannt auf die Militärmacht: "Wir sind ja nur Musiker, da braucht sich niemand bedroht fühlen."
Militarisiertes Friedenskonzert
Irgendetwas war aus dem Ruder gelaufen. Dabei war die Idee, die vor einem Jahr in einem Gespräch zwischen Zubin Mehta und dem deutschen Botschafter in Indien, Michael Steiner, geboren wurde, so wunderbar. In den 400 Jahre alten Shalimar-Gärten, angelegt unter dem Mogul-Herrscher Jahangir, sollte das Konzert ein Ort der Begegnung werden, zwischen Moslems und Hindus, offen für alle. Stattdessen strömte ein ausgewähltes Publikum zwischen leuchtenden Blumen und kühlenden Wasser-Fontänen hindurch zu den Plätzen. Politiker, Wirtschaftsgrößen und Bollywood-Stars in leuchtenden Saris und edlem Tuch, zum Teil aus Delhi und Mumbai eingeflogen in Privatjets. 2000 Gäste vor der Bühne, darunter viele Sicherheitskräfte in Zivil. Eine Spezialeinheit der indischen Armee rund um die Bühne. Und dahinter Männer mit Minen-Suchgeräten, unterstützt vom Sprengstoffspürhund Sam, einem deutschen Schäferhund.
Eingesperrt und belästigt
Die Menschen in Kaschmir fühlen sich betrogen. "Viele hier haben Zubin Mehta und dem Bayerischen Staatsorchester entgegengefiebert", erzählt Husain Yousfii, der nur 500 Meter von der Bühne entfernt wohnt. "Aber das Konzert sehe ich mir im Fernsehen an, denn wir dürfen nicht hin." Vier Stunden vor dem Konzert hat die Polizei eine Ausgangssperre rund um die Shalimar-Gärten verhängt. Auf den Häusern sind Scharfschützen postiert. Zwei Mal schleicht Yousfii sich in seinen Garten, um der Musik zu lauschen, die über die Steinmauer zwischen seinem Haus und den Gärten herüberweht. Fremde Klänge, die er gern aus der Nähe hören würde: Beethoven, Haydn, Tschaikowski. "Sie sperren uns ein und belästigen uns."
Ost trifft auf West
Das Orchester und Zubin Mehta sind 7076 Kilometer weit geflogen, doch die erhoffte Begegnung mit den Menschen in Kaschmir blieb aus. Es gab sie kurz auf der Bühne. Zur Eröffnung und als Zugabe spielte das Orchester mit 15 Musikern aus Kaschmir "Soz-o-Saz", ein Werk des jungen kaschmirischen Komponisten Abhay Rustum Sopori. Schwarze Fräcke trafen auf landestypische weiße Gewänder. Violinen und Posaunen auf traditionelle Instrumente wie Santoor und Raba, eine Art Zither und ein rundes, langhalsiges Streichinstrument. Es war der emotionalste Moment für Zubin Mehta, für Rustum Sopori, der im weißen Anzug neben dem Maestro dirigiert und für das Orchester.
Doch hinter der Bühne blieben das Orchester und seine Kollegen aus Kaschmir für sich. Einzig Zubin Mehta eilte herum, schüttelte die Hände der Musiker aus Kaschmir, klopfte auf ihre Schultern, suchte dann erschöpft nach Schatten. "Ich kann Sonne nicht ausstehen, seit ich Cricket gespielt habe", scherzte Mehta kurz vor dem Konzert, um gleich darauf wütend zu zischen: "Das kann er nicht machen, hört er den Ruf des Muezzin nicht?". Er, das ist der deutsche Botschafter Michael Steiner, der soeben auf der Bühne enthusiastisch das Konzert pries, mit dem man "die Herzen der Kaschmiri erreichen" wollte - mitten hinein in den Gebetsruf. 95 Prozent der Kaschmiri sind Muslime.
Separatisten wollten Konzert verhindern
Es ist wohl dieser Mangel an Gespür für die Besonderheiten Kaschmirs, der aus dem Friedenskonzert eine hoch gesicherte Veranstaltung werden ließ. Seit 1947, dem Ende der britischen Herrschaft und der Teilung des Landes in Indien und Pakistan schwelt in Kaschmir ein Konflikt. Damals wurde der Großteil Kaschmirs Indien zugeschlagen. Die Bevölkerung Kaschmirs empfindet die indische Regierung als Besatzung. Seit über 20 Jahren kämpfen Kaschmiri dagegen.
Die deutsche Botschaft, die das Konzert organisiert hat, hatte den Zündstoff anscheinend nicht erkannt. Etwa eine Woche vor dem Konzert riefen sowohl der Separatisten-Führer Syed Ali Geelani sowie der Großmufti von Kaschmir, Bashiruddin Ahmad den deutschen Botschafter auf, das Konzert abzusagen. Das Konzert sei eine Legitimation der indischen Besatzung durch Deutschland, sagte Geelani. Das Geld für das Konzert sollte besser in Bildung investiert werden, forderte Großmufti Ahmad. Extremisten drohten mit Anschlägen. "Musik ist keine Politik", erklärte der deutsche Botschafter und verteidigte sein Prestige-Projekt. Das Orchester fühlte sich von der deutschen Politik missbraucht: "Zubin Mehta und wir wollten ein Konzert für die Menschen, aber durch die deutsche Botschaft ist es ein Staatskonzert geworden", sagte der Direktor des Bayerischen Staatsorchesters Nikolaus Bachler.
Die Wirklichkeit Kaschmirs
Etwa fünf Kilometer von Zubin Mehtas Konzert entfernt, in einem Park in Srinagar herrschte zeitgleich Hektik. Eine Gruppe von Menschenrechtsaktivisten und Künstlern bereitete ein eigenes Konzert vor. Obwohl es von der Regierung in letzter Minute genehmigt wurde, hinderten Sicherheitskräfte die freiwilligen Helfer daran, in den Park zu gelangen. 500 Meter vor dem Eingang hatten sie eine Straßensperre errichtet. Die, die es schafften durchzukommen, breiteten große Poster aus. Getötete Jugendliche, weinende Frauen, mit Schlagstöcken prügelnde Polizisten waren darauf zu sehen. Kaschmirische Musiker und Dichter traten auf, am Ende schafften sie alle es in den Park. "Wir sind nicht gegen Zubin Mehta oder Musik, aber wir wollen nicht, dass Politiker ein solches Konzert organisieren. Wir wollen, dass die Menschen in aller Welt die Wahrheit über Kaschmir erfahren", sagte eine junge Studentin. Ihr Konzert heisst "Haqeeqat-e-Kashmir" - die Realität Kaschmirs.
Eine Welt davon entfernt, in den Shalimar-Gärten, hatte Zubin Mehta seinen Traum nicht verloren. "Wir kommen wieder und dann spielen wir in einem Stadion für alle", versprach er auf der Bühne vor den Augen der Welt.