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Friedensplan mit Fragezeichen

Kersten Knipp12. Februar 2016

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz haben sich die Vertreter der Syrien-Kontaktgruppe auf einen Plan für eine Feuerpause geeinigt. Ob er sich umsetzen lässt, ist unklar. Denn viele praktische Fragen sind weiter offen.

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Menschen zwischen Ruinen und Trümmern in Aleppo (Foto: picture-alliance/AA/I. Ebu Leys)
Bild: picture-alliance/AA/I. Ebu Leys

Bis tief in die Nacht hatten sie getagt, die Vertreter der Syrien-Kontaktgruppe. Aber am Ende hatten sie einen gemeinsamen Beschluss zustande gebracht: Die Kämpfe in Syrien sollen deutlich reduziert werden und in einer Woche in eine Feuerpause übergehen. Diese gilt für alle Gruppen mit Ausnahme derer, die vom UN-Sicherheitsrat als "terroristisch" bezeichnet werden. Dazu gehören unter anderem der "Islamische Staat" (IS) und die Nusra-Front. Zudem sollen die in den belagerten Städten noch ausharrenden Bewohner bis zum Wochenende mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt werden. Bei all dem sollen sich das russische und amerikanische Militär eng miteinander abstimmen.

Der Beschluss könnte der Anfang vom Ende der Gewalt in Syrien sein, die nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheidet. Vorausgesetzt, die am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz tagenden Diplomaten sind in der Lage, für die Umsetzung der Beschlüsse zu sorgen. Dass es so kommen könnte, ist nach den vielen Rückschlägen in den letzten Jahren keineswegs sicher. Und so zeigte sich US-Außenminister John Kerry auch nur verhalten optimistisch. "Der eigentliche Test besteht darin, ob alle Beteiligten ihre Verpflichtungen nun auch einhalten", erklärte er nach den Verhandlungen. Ähnlich sah es auch die deutsche Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz. "Den Worten müssen nun aber auch Taten folgen", sagte sie am Freitag in Berlin.

Der russische Außenminister S. Lavrow, sein amerikanischer Kollege J. Kerry und der UN-Syrien-Beauftragte St. de Mistura (v. l.) in München, 12.02.2016 (Foto: picture alliance)
Unterhändler in der Nacht: der russische Außenminister Sergei Lawrow, sein amerikanischer Kollege John Kerry und der UN-Syrien-Beauftragte Staffan de Mistura (v. l.)Bild: picture-alliance/AA/L. Barth

Gegensätzliche Interessen

Denn die Interessen der Verhandlungspartner gehen weit auseinander. Hinzu kommen kaum zu lösende praktische Probleme. So ist weiterhin offen, wen die einzelnen Staaten als Terroristen definieren und wen nicht. Ebenso ist fraglich, wie sich Terroristen von nicht-extremistischen Widerstandskämpfern oder gar Zivilisten unterscheiden lassen. Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew hat in einem Interview mit dem "Handelsblatt" die russische Position in dieser Frage noch einmal in aller Deutlichkeit vertreten. "Zeigt uns doch eure Landkarten, zeigt uns, wo sich die sogenannten moderaten Oppositionellen befinden", forderte er dort die westlichen Politiker auf. "Wer behauptet, er sei ein 'moderater Oppositionskämpfer', könnte in Wahrheit gar nicht moderat sein." "Aber", fügte er hinzu, "wir sind bereit, darüber zu verhandeln."

Schwierigkeiten dürfte auch ein weiterer Umstand machen - nämlich der, dass der Krieg auf mehreren Ebenen geführt wird. Zunächst handelt es sich um einen Konflikt zwischen Aufständischen und der Regierung Assad. Seit dem Engagement der aus Teheran abkommandierten Revolutionsgarden ist es aber auch ein Konflikt zwischen Arabern und Iranern - wenngleich nicht durchgehend: Die libanesische Hisbollah etwa kämpft an der Seite Teherans. Zudem ist es ein Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Und vor allem ist es einer um Einflusssphären und Rohstoffe. Verschiedene Ebenen, die sich zudem überlagern und kaum voneinander zu scheiden sind. All dies dürfte es den Akteuren schwer machen, sich zurückzuhalten. So hatte Saudi-Arabien erst vor einigen Tagen angekündigt, Bodentruppen nach Syrien zu schicken. Diese sollen gegen den IS und andere Terrorgruppen kämpfen.

Ein russisches Kampfflugzeug wirft eine Bombe über Syrien ab, 09.10.2016 (Foto: picture alliance)
Offiziell nur Terroristen im Visier: Ein russisches Kampfflugzeug über SyrienBild: picture-alliance/dpa/Russian Defence Ministry's Press and Information Department/TASSpicture-alliance/dpa/Russian Defence Ministry's Press and Information Department/TASS

"Wollen Sie einen permanenten Krieg?"

Eben davor warnte Russlands Ministerpräsident Medwedew in dem "Handelsblatt"-Interview: "Die Amerikaner und unsere arabischen Partner müssen es sich gut überlegen: Wollen Sie einen permanenten Krieg? Glauben sie etwa, sie würden einen solchen Krieg sehr schnell gewinnen? So etwas ist unmöglich, besonders in der arabischen Welt. Dort kämpfen alle gegen alle." Und weiter: "Es könnte Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern."

Russlands größtes Interesse sei Sicherheit, erklärte Medwedew. Dennoch dürften sich die führenden internationalen Akteure in dem Konflikt - neben Russland und den USA vor allem Saudi-Arabien und der Iran - weiter misstrauisch belauern: Sämtliche Beteiligten verdächtigen einander, ihre jeweilige Einflusssphäre sichern zu wollen.

Terrorismus als Hoffnung

Die Frage ist allerdings, was mit solchen Einflusssphären gewonnen wäre. Die panarabische Zeitung "Al Sharq al-Awsat" aus London weist in einem Kommentar darauf hin, dass Gebietsgewinne nur dann ein Erfolg sind, wenn man auch die dort lebenden Menschen für sich gewinnt. Genau das sei aber nicht der Fall, schreibt die Zeitung. "Russen, Iraner und das Assad-Regime erobern Gebiete zurück. Aber solange Menschen getötet, unterdrückt, ausgehungert und bombardiert werden, werden die Eroberer keinen wirklichen Sieg davontragen. Terroristen mögen sterben, aber es werden neue, noch radikalere Terroristen kommen. Und angesichts der derzeitigen Situation werden die Menschen ihre Hoffnung in diese neuen Terroristen setzen."

Wozu diese Entwicklung führe, warnt die Zeitung, habe man bereits im Irak beobachten können. "Das Land hat sich in einen sektiererischen Sumpf verwandelt. So wird es auch in Syrien geschehen, ganz unabhängig von Assads Eroberungen."

Syrische Zivilisten warten nahe der Grenze zur Türkei auf Lebensmittel, 10.02.2016 (Foto: picture alliance)
Auf der Flucht: Syrische Zivilisten warten nahe der Grenze zur Türkei auf LebensmittelBild: picture-alliance/AA/F. Aktas

Humanitäre Katastrophe

Hinzu kommt der hohe Blutzoll. Seit gut zwei Jahren macht eine Zahl die Runde. 250.000 Menschen seien im Syrien-Krieg bereits gestorben. Das "Syrian Centre for Policy Research" hat dieser Zahl nun eine andere entgegengestellt: Bislang seien bereits 470.000 Menschen getötet worden. Insgesamt seien mehr elf Prozent der syrischen Bevölkerung getötet oder verwundet worden.

Womöglich hat auch diese Zahl bei den Verhandlungen eine Rolle gespielt. Und zwar im Hinblick auf die hinter ihr stehende humanitäre Katastrophe. Aber womöglich auch im Hinblick auf die politischen Herausforderungen, die sich daraus für den Westen ergeben könnten. Die Syrer badeten den Zynismus der Kriegsparteien aus, schreibt die arabische Zeitung "Al Hayat". Ihnen bleibt nur noch die Flucht."