Streit um Armutsflüchtlinge eskaliert
7. Juni 2013Der Streit zwischen dem deutschen Innenminister Hans-Peter Friedrich und der Europäischen Kommission um sogenannte "Armutseinwanderer" aus anderen EU-Staaten nimmt immer schärfere Formen an. Eine Reihe deutscher Großstädte klagen über Zuwanderung von Menschen aus Rumänien und Bulgarien, viele von ihnen Roma. Diese erschlichen sich Sozialleistungen und gefährdeten den sozialen Frieden. Von ähnlichen Problemen berichten britische Städte.
Friedrich hat zusammen mit seinen Amtskollegen aus Großbritannien, Österreich und den Niederlanden von der Kommission mehr Sanktionsmöglichkeiten gefordert. Doch Innenkommissarin Cecilia Malmström sieht bisher überhaupt kein Problem. Sie will erst einmal Zahlen und Fakten über einen Missbrauch der EU-Freizügigkeit haben.
Kommission: Einschränkung der Freizügigkeit ist tabu
Zahlen hat auch Friedrich bisher nicht vorgelegt. Doch dass die Kommission das Problem schlichtweg bestreitet, bringt den deutschen Innenminister erst richtig auf die Palme. Bei seiner Ankunft beim Ministerrat in Luxemburg riet Friedrich der Kommission, "sich mehr mit den Problemen der Menschen vor Ort auseinanderzusetzen. Wenn sie Beweise will, dann soll die Kommission doch gern mal in die Großstädte in Deutschland fahren, dann kann sie sich das anschauen." Wenn die Kommission das Problem weiter ignoriere, "kann ich ihr auch nicht helfen".
Malmström hat zwar den Einzelstaaten ausdrücklich das Recht zugebilligt, bei einem Missbrauch von Sozialleistungen auf nationaler Ebene zu reagieren. An einem Punkt hört für sie der Spaß aber auf: "Den freien Personenverkehr infrage zu stellen, steht nicht auf der Tagesordnung der Kommission."
Friedrich: Zur Not rausschmeißen
Das will auch Friedrich nicht, beteuert er selbst. Doch gerade um diese "europäische Errungenschaft" zu bewahren, will er Missbrauch bekämpfen. Der Innenminister kündigte an, Rumänen und Bulgaren, die illegal in Deutschland seien, auszuweisen und ihnen notfalls die Wiedereinreise zu verbieten.
Sollten sie trotzdem wiederkommen und von der Polizei bei einer Routinekontrolle aufgegriffen werden, "dann kann man sie ohne großes Federlesen wieder rausschmeißen". Es gehe aber nicht darum, allgemeine Kontrollen wieder einzuführen.
Sozialmissbrauch ist kein Grund für Grenzkontrollen
Damit überlagert sich der Streit um Armutsmigranten aus den Nicht-Schengen-Ländern Rumänien und Bulgarien mit der geplanten Reform des grenzkontrollfreien Schengen-Raums. Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich bereits mit der Kommission auf die Änderungen geeinigt. Auch dabei hat besonders Deutschland Druck gemacht.
Nach der Reform werden die Einzelstaaten in Zukunft Grenzkontrollen vorübergehend wieder einführen können, wenn zum Beispiel die öffentliche Sicherheit auf dem Spiel steht. Die Entscheidung soll aber auf europäischer Ebene fallen. Ein Massenansturm von Flüchtlingen kann grundsätzlich so ein Grund sein. Doch die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sieht durch Armutsmigranten aus Rumänen und Bulgaren "diese Situation derzeit nicht". Grenzkontrollen könne man nur einführen, "wenn es sich wirklich um eine ganz außerordentliche Situation handelt. Aber derzeit gibt es dazu keinen Anlass."
Österreich schützt sich durch Bürokratie
In Österreich, so Mikl-Leitner, habe man sich gegen das Problem eines Missbrauchs mit klaren Meldeverpflichtungen gewappnet. Jeder EU-Bürger, der sich länger als drei Monate in Österreich aufhalte, müsse sich bei den Behörden melden und "ganz klar nachweisen: Hat er einen Arbeitsplatz, hat er ausreichend finanzielle Mittel oder studiert er bei uns?" Das sei "ein Riegel, der uns vor Missbrauch schützt".
Schengen und Armutsmigration innerhalb der EU, zwei Themen, die direkt nichts miteinander zu tun haben. Doch in der erhitzten Debatte werden sie im Moment oft miteinander vermischt. Der spanische Innenminister Jorge Fernández Díaz versuchte, die Gemüter ein wenig zu beruhigen: "Schengen und der freie Personenverkehr gehören zum genetischen Code der Europäischen Union. Aber das muss natürlich mit dem Kampf gegen Missbrauch vereinbar sein. Man muss hier ein Gleichgewicht finden." Bisher, scheint es, ist es noch nicht gefunden.