Froböse: "Die Pause ist entscheidend"
3. August 2016DW: Ingo Froböse, wann gilt man heutzutage im Profisport als alt?
Ingo Froböse: Das hängt maßgeblich von der Sportart ab. Das sind vor allem solche Disziplinen, in denen man sehr früh zu trainieren beginnt. Turner trainieren häufig bereits mit vier Jahren zielgerichtet. Bei solchen Fällen wissen wir, dass man meistens mit Mitte 20 ausgelaugt ist. Beim Ausdauersport ist es anders, etwa bei Marathonläufern oder Triathleten. Da ist es keine Seltenheit, dass Mittdreißiger herausragende Leistungen erzielen, weil sie in diesen Sportarten eine gewisse Trainingserfahrung benötigen. Fähigkeiten wie Schnelligkeit und Reaktionsvermögen lassen meistens ab dem 25. Lebensjahr nach. Die Ausdauerfähigkeit aber lässt sich häufig länger aufrechterhalten und langfristig besser trainieren.
Gilt dies auch für Schwimmdisziplinen?
Im Schwimmen gilt vor allem bei längeren Strecken, also ab 200 Metern, dass eine sehr gute Ausdauer nötig ist, um über viele Jahre zur Spitze zu gehören. Ausdauer ist die intensivste Form des Trainings und erfordert viel Arbeit. Sie ist aber langfristig die wichtigste Komponente - weil der Körper dank der Ausdauer Energie produziert, ohne dass man sich dabei maximal verausgaben muss. Wenn man also beispielsweise 400 Meter schwimmt, dann beansprucht man seine Energie nur zu etwa 80 Prozent. Deshalb können Spitzenschwimmer bei längeren Distanzen auch im höheren Alter noch sehr gute Ergebnisse erzielen, auf kürzeren Strecken ist es dann wesentlich schwieriger.
Schwimmstar Michael Phelps ist mit 31 Jahren einer der Routiniers in Rio. Auf Langstrecken hatte er schon als Teenager Weltrekorde aufgestellt. Ist er da eine Ausnahme?
Michael Phelps ist eine riesige Ausnahme. Das hängt schon mit seinen Körperproportionen zusammen - er hat ja gewaltige Hände, und Arme beinahe wie ein Orang-Utan (lacht). Er bringt also enorme anatomische Vorteile mit. Und zweitens hat Phelps anscheinend einen sehr sensiblen Trainer, der immer sparsam mit seinen Energieressourcen umgegangen ist. Eine der größten Herausforderungen im Sport ist, trotz großen Trainingsaufwands unverletzt zu bleiben. Das hängt zwar auch von genetischen Aspekten ab, eine verantwortungsbewusste Trainingsarbeit ist aber ähnlich wichtig.
Wie muss sich jemand jenseits der 30 wie Michael Phelps vorbereiten, um bei olympischen Rennen gegen seine teilweise deutlich jüngeren Konkurrenten gewinnen zu können?
Phelps trainiert heute bestimmt anders als vor zwölf, 13 Jahren. Damals musste er die Schnelligkeit nicht so sehr trainieren, stattdessen nachhaltig an der Ausdauer arbeiten. Heute greift er dagegen auf eine stabile Ausdauer zurück, die er nur noch erhalten muss. Man weiß von vielen älteren Sportlern: Sie reduzieren den Umfang der Trainingsübungen insgesamt - auch, um längere Regenerationsphasen zu ermöglichen - und intensivieren die Qualität der jeweiligen Trainingseinheit. Das ist im höheren Profialter immer die richtige Herangehensweise. Die Ausdauerbasis ist dann längst vorhanden, und sie geht auch nicht so schnell verloren.
Welche Vorteile haben ältere Profis noch?
Zum einen die Konzentrationsfähigkeit, die tendenziell höher ist, je älter man wird. Vor allem kurze und intensive Trainingseinheiten verlangen viel Konzentration. Erfahrene Sportler wissen besser, wie sie mit ihrem Körper umgehen müssen und was sie ihm zumuten können. Michael Phelps fällt das Training deshalb heute garantiert leichter als vor gut zehn Jahren.
Phelps war 2012 nach Olympia in London zurückgetreten, hatte danach Alkoholprobleme und begab sich in eine Therapie. Seit zwei Jahren ist er nun wieder im Trainingsbetrieb. Was ist von ihm in Rio zu erwarten?
Ich denke, dass zwei Jahre Vorbereitung auf Olympia in der Regel ausreichen. Ich gehe davon aus, dass wir einen hochgradig fitten Phelps erleben werden. Die kürzeren Distanzen dürften ihm allerdings deutlich schwerer fallen als früher. Ich glaube, dass er eher auf längeren Strecken mit jüngeren Konkurrenten mithalten wird. Er dürfte uns aber eindrucksvoll zeigen, was für Spitzenleistungen im Alter noch möglich sind.
Wie können Profisportler eine möglicherweise chronische Verletzungsanfälligkeit über viele Jahre unter Kontrolle halten?
Hierfür ist Athletiktraining besonders wichtig geworden. Es muss also bei jedem Sportler individuell der gesamte Körper ausgebildet werden. Dieses Verständnis hatte man früher nicht. Heute ermöglicht es vielen Profisportlern, auch im höheren Alter noch auf sehr gutem Niveau aktiv zu sein. Das Rundum-Betreuungspaket ist also für die älteren Sportler besser geworden.
Vor allem beim Fußball wirken sich aber die immer volleren Terminkalender negativ auf die Leistung der Spieler aus.
Ich kann auch nicht ganz verstehen, warum beispielsweise Fußballvereine derart viele PR-Reisen unternehmen. Der Terminkalender von Sportlern entscheidet bei der Frage, wie viel Raum Regeneration eingeräumt wird. Diese ist notwendig, um die Ressourcen der Sportler aufrechtzuerhalten - und zwar in jeder Sportart. Die Pause entscheidet darüber, ob ein Profisportler lange aktiv sein kann oder nicht.
Wie muss eine zielführende Pause idealerweise aussehen?
Sie muss intensiv und ausreichend lang sein. Je älter man ist, umso wichtiger wird die Pausengestaltung sowie der gewissenhafte Umgang mit Wettkämpfen. Da kommt es auf die richtige Dosierung an. Sportler müssen sich genau bewusst machen, was ihr Körper tolerieren kann. Durch die größere Kommerzialisierung ist das für viele schwieriger geworden. Ich kenne viele Athleten, die mit Mitte 20 wegen mangelnder Regeneration auf der Felge ihrer Knochen laufen. Wir alle, einschließlich der Zuschauer und Medien, müssen aber akzeptieren, dass die Biologie von Sportlern einfach ausreichend Ruhe benötigt. Nur dann können die Athleten über viele Jahre Topleistungen erbringen.
Professor Ingo Froböse, geboren 1957, ist Sportwissenschaftler und leitet das Institut für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Während seiner Studienzeit war Froböse als Leichtathlet aktiv. Bei den Leichtathletik-Halleneuropameisterschaften 1982 in Mailand erreichte er im 200-Meter-Lauf den vierten Platz.
Das Interview führte Peter Sawicki.