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Frostiger Blick in tiefe Gräben

Nina Werkhäuser, München 7. Februar 2015

Mit voller Wucht prallten in München die Ansichten Russlands und des Westens aufeinander. Dabei ging es nicht nur um die Ukraine-Krise. Das gegenseitige Misstrauen sitzt viel tiefer. Russlands Außenminister steht allein.

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Lawrow auf der Sicherheitskonferenz in München
Bild: picture-alliance/dpa

Sergej Lawrow sitzt isoliert auf dem Podium, nur Konferenzleiter Wolfgang Ischinger ist bei ihm. Der Begrüßungsapplaus fällt spärlich aus, dann legt der russische Außenminister los. Mit versteinerter Miene geißelt er die Fehler, die der Westen seiner Ansicht nach auf Kosten Russlands gemacht habe. Und das nicht erst seit dem Beginn der Ukraine-Krise im vergangenen Jahr, sondern im letzten Vierteljahrhundert, also seit dem Ende des Kalten Krieges.

An den fühlen die Zuhörer sich erinnert, als Lawrow von "tiefen systemischen Problemen" spricht. Damit meint der Redner Russland auf der einen und die EU sowie die USA auf der anderen Seite. "Die US-amerikanische Obsession für die Raketenabwehr verstehen wir nicht", poltert er und holt weit aus: Von der NATO-Osterweiterung bis hin zu Meinungsverschiedenheiten bei internationalen Abrüstungsabkommen - alles ein einziger Affront gegen Russland, so Lawrows Lesart. Moderator Ischinger wirkt konsterniert: "Wir scheinen ein anderes Geschichtsbuch aufzuschlagen als die Russen", kommentiert der erfahrene Diplomat und stellt eine "große Kluft in den Narrativen" fest, also in jenen Erzählungen, aus denen eine Gesellschaft ihre Identität schöpft.

"Die USA sind schuld"

Das Narrativ des russischen Außenministers geht an diesem kalten Wintersamstag in München so: Die USA hätten mutwillig die Mechanismen der Zusammenarbeit zerstört, die seit dem Ende der Blockkonfrontation entstanden sind. Man müsse nur nach Brüssel ins NATO-Hauptquartier schauen, klagt Lawrow, da bekämen seine Leute ja kaum noch Büroräume zum Arbeiten. In der Tat liegt der NATO-Russland-Rat seit einiger Zeit auf Eis - allerdings als Folge der Ukraine-Krise. Die "Aufregung" um dieses Thema, das den zweiten Tag der Sicherheitskonferenz dominierte, kann Lawrow nicht nachvollziehen. Die Annexion der Krim begründet er mit dem legitimen Selbstbestimmungsrecht der dortigen Bevölkerung nach der UN-Charta. "Lesen Sie das mal nach!" So lautet die Aufforderung Lawrows an einen EU-Parlamentarier, der die russische Interpretation des Völkerrechts scharf kritisiert. Und den "Staatsstreich" in Kiew, erklärt Lawrow, hätten die EU und die USA doch aktiv unterstützt.

Die Stimmung im Saal sinkt in eisige Tiefen, als wenig später der russische Außenpolitiker Konstantin Kosachev erklärt, es kämpfe kein einziger russischer Soldat in der Ukraine. Die Kämpfe im Osten des Nachbarlandes seien eine rein innerukrainische Angelegenheit. "Wir haben gar nichts getan in der Ukraine. Dort wird ein Bürgerkrieg geführt", so Kosachev. Wenig später hält der ukrainische Präsident Poroschenko eine Sammlung von Pässen hoch, die, so sagt er, russischen Offizieren und Soldaten in der Ukraine abgenommen worden seien.

Kämpfe in der Ostukraine Separatisten 4.2.2015
Kein einziger russischer Soldat in der Ukraine?Bild: Reuters/M. Shemetov

Die Ukraine fordert Waffen

Als Poroschenko von den vielen Opfern unter ukrainischen Soldaten und in der Zivilbevölkerung berichtet, wird es sehr still im Saal. Poroschenkos Englisch ist etwas holprig, aber der ukrainische Präsident will, dass alle seine Botschaft verstehen: Er verlangt von Russland einen sofortigen Waffenstillstand, "das ist eine ganz simple Forderung". Vom Westen will er Waffen, anders könne er diesen Krieg nicht gewinnen. "Diese Aggression hat die Büchse der Pandora für die internationale Sicherheit geöffnet", sagt Poroschenko und erlaubt sich einen kurzen Moment des Rückblicks: Auf der Sicherheitskonferenz vor einem Jahr - da war er noch nicht Präsident, sondern ein Anhänger der Maidan-Bewegung - sei er sehr stolz auf sein Land gewesen. Nun liege es teilweise in Trümmern.

Poroschenko mit russischen Pässen (Foto: picture-alliance/dpa)
Doch Russen in der Ukraine? Die Pässe habe man ihnen abgenommen, sagt der ukrainische Präsident PoroschenkoBild: picture-alliance/dpa

Die ukrainische Forderung nach Waffenlieferungen stößt vor allem bei amerikanischen Politikern auf Zustimmung, etwa beim republikanischen Senator Lindsey Graham. "Frau Merkel, Sie begehen einen großen Fehler", kommentiert er Angela Merkels klares "Nein" zu einer Ausrüstung der Ukraine mit tödlichen Waffen. Die Bundeskanzlerin will weiter den steinigen Pfad der Diplomatie beschreiten. "Militärisch ist das nicht zu gewinnen, das ist eine bittere Wahrheit", sagt sie. Geduld sei jetzt gefragt und ein langer Atem. Merkel kommt gerade aus Moskau, wo sie in der Ukraine-Krise vermittelt hat. Ob sie damit Erfolg hatte, wenigstens einen kleinen, vermag sie bei ihrem Auftritt auf der Sicherheitskonferenz noch nicht zu sagen. "Es ist ungewiss", erklärt sie nüchtern, aber nicht entmutigt - jeder Versuch zähle.

Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande verhandeln in Moskau mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über den Ukraine-Konflikt (Foto: AP Photo/Alexander Zemlianichenko)
Jeder Versuch zählt: Merkel und Hollande zu Besuch bei PutinBild: picture-alliance/AP/Zemlianichenko

Sind die Friedensbemühungen am Ende?

Am Sonntag will Merkel erneut mit dem russischen Präsidenten Putin über die "Rettung" des Minsker Friedensabkommens beraten, diesmal am Telefon. Der ukrainische Präsident Poroschenko und sein französischer Amtskollege Hollande werden ebenfalls zugeschaltet sein. Anschließend reist Merkel dann nach Washington, um sich am Montag mit US-Präsident Obama über die Ukraine-Krise auszutauschen. Putin habe es in der Hand, Einfluss auf die prorussischen Separatisten in der Ukraine zu nehmen, sagt Vizepräsident Joe Biden auf der Sicherheitskonferenz. "Putin muß eine einfache Entscheidung treffen: Abzug aus der Ukraine oder steigende wirtschaftliche Kosten zu Hause." Dann beerdigt Biden noch einmal offiziell den "Neustart" in den Beziehungen der USA zu Russland, den er vor sechs Jahren an gleicher Stelle vorgestellt hatte. Inzwischen herrscht, der Diskurs in München beweist es, ein tiefes gegenseitiges Misstrauen - und Lichtblicke sind weit und breit nicht zu erkennen.