Frust über Russland
3. August 2013"Trotziges Russland" betitelte die "New York Times" ihren Artikel zur Entscheidung der russischen Behörden, dem ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter und Whistleblower Edward Snowden für ein Jahr Asyl zu gewähren.
Von einem "Schlag ins Gesicht eines jeden Amerikaners" sprach der republikanische Senator John McCain. Andere Senatoren forderten den Boykott der Olympischen Spiele in Sotschi und die Verlegung des nächsten G-20-Gipfels, der Anfang September in Sankt Petersburg stattfinden soll, in ein anderes Land. Das Weiße Haus gab seine "tiefe Enttäuschung" zu Protokoll.
Die Aufregung ist aufschlussreich. "Im Moment wird sehr viel Zorn und übertriebene Erregung geäußert, vor allem im Kongress", sagt Cory Welt, stellvertretener Direktor der Elliott School of International Affairs der in der US-Hauptstadt ansässigen George Washington University. "Ich hoffe, dass dies vorübergeht und wir bald wieder zu den wichtigen Themen kommen."
Enttäuschte Erwartungen - nicht nur im Fall Snowden
Es dürfte noch etwas dauern, bis man zur Tagesordnung übergehen kann. Zu viele Emotionen sind gegenwärtig im Spiel, wenn man in Washington über Russland spricht. Der Fall Snowden hat den Frustrationspegel bei Präsident und Kongress auf seltene Höhen getrieben. Immerhin hat man bereits mit enttäuschten Erwartungen bei gemeinsamen Anstrengungen zur Beilegung des syrischen Bürgerkriegs und im Iran-Konflikt zu kämpfen.
Der Fall Snowden ist also symptomatisch für eine schwierige Beziehung, die der frisch gewählte Präsident Barack Obama im Jahre 2009 auf "Neuanfang" stellen wollte. Obama verfolgte damals die besten Absichten, ähnlich wie bei seinen weitreichenden Kooperationsangeboten an China und die Arabische Welt. Doch seine ausgestreckte Hand wurde von keinem der drei Adressaten ergriffen.
Vergebliche Bemühungen
Obama hat viel Zeit und politisches Kapital in die russisch-amerikanischen Beziehungen investiert. Das Ergebnis ist jedoch mager: Nicht nur im Fall Syriens und des Iran, auch bei der nuklearen Abrüstung, den Menschenrechten und anderen wichtigen politischen Fragen sind Amerikaner und Russen so weit auseinander wie lange nicht mehr.
Ist es da klug, die verbliebenen Kommunikationskanäle auszudünnen und etwa mit Absage des für September geplanten Treffens in Russland zu drohen? Matthew Rojanski, der Direktor des Washingtoner Kennan-Instituts, rät dem Präsidenten, nach Moskau reisen, "selbst wenn er nicht erwartet, dass Putin Snowden in die Vereinigten Staaten zurückschickt, seine Position zu Syrien ändert, einem Abkommen über nukleare Abrüstung zustimmt oder anderen Dingen, die höchste Priorität für Obama und die USA haben".
Gesprächsfaden nicht abreißen lassen
Obama ist nicht wirklich frei in seiner Entscheidung: Die Brüskierung durch Putin hat ihn gegenüber dem Kongress zusätzlich unter Druck gesetzt. Denn dort artikuliert sich inzwischen massiver Widerstand gegen jene Überwachungsprogramme, die Snowden erst bekannt gemacht hat. Renommierte Zeitungen wie die "New York Times" kritisieren eine "überaus agressive Verfolgung" von Informanten, die das Verhältnis zwischen Regierung und Öffentlichkeit belaste.
Der Präsident, so die übereinstimmende Meinung vieler Beobachter, sollte die Tür zum Kreml hin offen halten, um den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Ansonsten, so Rojanski zur Deutschen Welle, werde sich die unerfreuliche Serie fortsetzen. "Eine Provokation wird auf die andere folgen, und es wird sich kein Grundvertrauen bilden lassen, um wenigstens grundlegende Instrumente für ein gemeinsames Krisenmanagement zu entwickeln."
Innenpolitischer Druck
Dass es zu einer neuen Eiszeit zwischen den USA und Russland kommen könnte, zeichnete sich bereits im vergangenen Jahr ab, mit dem Beginn der dritten Amtszeit Wladimir Putins als Präsident. Seiner Wiederwahl waren heftige Proteste der russischen Opposition vorangegangen. Sie signalisierten, dass der russische Präsident um seine Macht kämpfen muss.
Abgesehen davon, dass Putin den Amerikanern immer noch deren Sympathien für die Protestbewegung nachträgt: Sein politischer Spielraum ist viel enger, als es nach außen hin erscheint.
Putin nutzt die Außenpolitik zur Mobilisierung nationaler Solidarität und damit zum eigenen Machterhalt. Dass ihn diese Postion der Schwäche auf der politischen Bühne noch so bemerkenswert gut aussehen läßt und Obama daneben eine eher unglückliche Figur abgibt, ist wohl Putins Instinkt und seinem großen Erfahrungsschatz zu danken.
Beziehung zu Russland wird zweitrangig
Sicher wird man sich in Washington schon auf die Zeit nach Putin vorbereiten. Bis dahin allerdings heißt es, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren. Auch mit der Konsequenz, dass Russland als Partner für die USA an Bedeutung verliert. "Das ist eine Beziehung, die unausweichlich von sekundärer Bedeutung für unsere wichtigsten nationalen Interessen sein wird", sagt Matthew Rojanski der Deutschen Welle. "Wenn wir uns beispielsweise um Terrorbekämpfung kümmern, sind die Russen höchstens ein zweitrangiger Player. Das gilt für alle Politikfelder, die im höchsten nationalen Interesse der USA sind."
Es sind stürmische Zeiten, in denen Russland gegenwärtig Politik macht, gibt auch Cory Welt zu bedenken. "Wir sollten nicht erwarten, uns auf Russland als einen stabilen Partner verlassen zu können. Wir müssen immer mit Überraschungen rechnen. Das heißt aber nicht, dass wir mit Wut und Empörung reagieren sollten."
Doch im Moment sieht es so aus, als könnten Moskauer Zeitungen auf die Schlagzeile der "New York Times" mit einer Retourkutsche kontern und mit einiger Berechtigung titeln: "Trotziges Amerika".